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13.03.2011 | 19:30 | Ernährungssicherung und E10 

Konkurrenz zwischen Tank und Teller: E10 kann Welthunger und Umweltzerstörung steigern

Stuttgart - Geschäftsführer des Food Security Centers der Universität Hohenheim sieht durch den Biokraftstoff mittelfristige Risiken für die globale Ernährungssicherung.

E10
Beim „Benzin-Gipfel“ ging es vor allem um die Belange der Mineralölkonzerne und Endverbraucher. Umweltminister Röttgen sieht auf Nachfrage für Deutschland keine Gefahr, dass es zu einer Konkurrenz im Anbau von Pflanzen für die Ernährung und Treibstoffgewinnung kommen könnte. Dr. Detlef Virchow, Geschäftsführer des Food Security Centers der Universität Hohenheim nimmt dazu Stellung. Das Interview ist ein Beitrag im Rahmen des Themenjahrs 2011 „Universität Hohenheim – stark durch Kommunikation“.


Herr Dr. Virchow, teilen Sie Umweltminister Röttgens Auffassung, wonach der neue Biokraftstoff in Deutschland zu keinem verstärkten Kampf zwischen Tank und Teller führen wird?

Ja und nein. Ich würde hier geographisch und von der Fristigkeit der Auswirkungen her unterscheiden. Sicherlich würde es in Deutschland oder den entwickelten Staaten auf der nördlichen Halbkugel zu keiner direkten Konkurrenz von Pflanzenanbau zur Ernährung und zur Herstellung von Ethanol kommen. Dafür hat Deutschland derzeit noch genügend brachliegende Flächen und kann momentan noch jederzeit auf dem Weltmarkt fehlende Nahrungsmittel einkaufen. Für die hiesigen Landwirte könnte zusätzlicher Anbau nachwachsender Energieträger neue Einkommensquellen erschließen. Auch erhöhte Preise für diese Pflanzen könnten einen weiteren positiven Effekt für die Landwirte mit sich bringen. Auch sehe ich kurzfristig keine dramatischen Auswirkungen.


Also keine Gefahr?

Keine unmittelbare. Mittelbar braucht jede Pflanze, die zur Ernährung der Weltbevölkerung dient, aber nicht bei uns angebaut wird, anderswo eine Anbaufläche. Hier sehe ich die Gefahr, dass sich das Problem in andere Länder verlagern wird. Das wären, wie schon bei bisherigen Problemen im Agrarsektor, vornehmlich die Entwicklungsländer. Die Tortilla-Krise in Mexiko bietet nur einen Vorgeschmack darauf, wie sich das Anbauverhalten der USA auf den amerikanischen Kontinent mittelfristig auswirken könnte.


Aber in diesem Fall gab es doch gar keinen echten Mangel an Mais für die Ernährung?

Richtig. Aber sie zeigt, dass jede Verknappung im Ernährungssektor die Spekulation auf den Märkten anfeuert – mit den bekannten Folgewirkungen für die Entwicklungsländer: Hunger und weitere Verarmung. Beispielsweise die Hungerrevolten auf Haiti auf Grund von explodierenden Preisen und einer tatsächlichen Verknappung der Nahrungsmittel zu Beginn des Jahres 2008 haben gezeigt, dass sich die Armen und Hungernden nicht mehr mit Vertröstungen abspeisen lassen.


Diese Gefahr besteht doch nicht für Deutschland?

Natürlich nicht. Aber ich empfehle zu bedenken, dass das Verhalten eines Global Players wie Deutschland Signalwirkung auf andere Länder hat. Entscheiden wir uns dafür, großflächig Ackerbauflächen für die Treibstoffgewinnung zu nutzen, dann werden andere Länder sich an unserem Beispiel orientieren und nachziehen. Und die Menschen mit schwächerer Kaufkraft, also die Armen vor allem in den Entwicklungsländern, werden ihren Bedarf an Lebensmitteln nicht mehr bzw. nicht mehr vollständig am Markt decken können.


Das heißt mit E10 fahren wir riskant?

Ja. Die deutschen Autobesitzer mögen zwar vor allem an ihre Motoren denken, aber gleichzeitig verursachen wir damit über verschiedene Wirkungsketten, dass Hunger und Armut in den Entwicklungsländern steigt – und in der Regel steigt damit auch die Umweltzerstörung. Da braut sich ein explosives Gemisch zusammen, welches nur in den seltensten Fällen so produktiv genutzt wird wie in Tunesien und Ägypten. Hinzu kommt der allgemeine Zweifel, ob mit E10 tatsächlich die Umweltbelastung hier in Deutschland reduziert werden wird. Meines Erachtens sollte es daher intelligentere Lösungen für unser Energieproblem geben als E10.


Hintergrund: Food Security Center der Universität Hohenheim

Das Food Security Center leistet weltweit einen innovativen und wirkungsorientierten wissenschaftlichen Beitrag zur Verminderung von Hunger und Verbesserung der Ernährungssicherung und trägt dadurch zur Erreichung des Millenniumsentwicklungsziels 1 bei. Geleitet wird es von Dr. Detlef Virchow. Dabei hat das Zentrum an der Universität Hohenheim ein starkes Rückrat: Dort forschen rund 50 Professoren aus den Agrar-, Natur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mit besonderer Tropen-Kompetenz. In Afrika, Asien und Lateinamerika hat das Food Security Center verschiedene Universitäten und Forschungszentren als Partner. Forschungsthemen sind neben der Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln der Zugang und deren Verwendung, aber auch Qualität und Sicherheit von Nahrungsmitteln sowie deren Verwertung. Besonders wird dabei auf die Rolle der Geschlechter und der Nachhaltigkeit des landwirtschaftlichen Produktionsprozesses und der Wertschöpfungsketten Bezug genommen.


Hintergrund: Themenjahr 2011 „Universität Hohenheim – stark durch Kommunikation“

Das Themenjahr „Kommunikation“ der Universität Hohenheim soll einem breiten Spektrum unterschiedlicher Wissenschaftsbeiträge eine Plattform bieten. Die Universität Hohenheim selbst bezieht dabei ihrem Grundauftrag entsprechend keine eigene Position, allein die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellen ihre fundierten Standpunkte nach außen dar. (idw/Uni Hohenheim)
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