Vorsprung durch Wissen
Das Informationszentrum für die Landwirtschaft
07.03.2013 | 19:41 | Strompreis-Bremse 

Weiterhin Uneinigkeit bei der Energiewende

Berlin - So richtig zufrieden ist derzeit keiner mit der Energiewende: Die Regierung kämpft gegen die Kosten, Umweltverbände und Grüne gegen ein Ausbremsen des Wind- und Solarausbaus. Jeder hat Ideen - es mangelt aber an einer klaren Linie. Das zeigt ein Treffen im Kanzleramt.

Strompreis-Bremse
(c) proplanta
Angela Merkel zählt die ganzen Arbeitskreise auf. Netzplattform, Kraftwerksforum, Plattform erneuerbare Energien und die Plattform für Energieforschung. «Hier findet praktisch ein beständiger Dialog über die notwendigen Fragen statt», referiert die Kanzlerin am Donnerstag nach einem Spitzentreffen mit Wirtschaft, Gewerkschaften und Umweltverbänden im Kanzleramt. Sie spricht von einer klaren Arbeitsstruktur, die man habe. Immerhin fast genau zwei Jahre, nachdem die Bilder der havarierten Fukushima-Reaktoren hierzulande zur Abschaltung von acht Atomkraftwerken führten.

Doch der Beschluss zum Atomausstieg war noch die leichteste Übung. Auf dem Podium im Kanzleramt sitzt Merkel am Donnerstag mit sieben Herren, mehrere betonen eigene Interessen. BDI-Präsident Ulrich Grillo warnt vor zusätzlichen Belastungen der Industrie. Der Präsident des Naturschutzringes, Hartmut Vogtmann, vor einem Abwürgen des Ausbaus erneuerbarer Energien durch die «Strompreisbremse». Alle wollen die Energiewende, bekräftigen Merkel, ihre Minister und die Vertreter aus Industrie und Zivilgesellschaft. Doch wie?

Merkels Herangehensweise ähnelt ein wenig ihrem Vorgehen zur Lösung der Euro-Krise. Es gibt auch bei der Energiewende nicht den einen großen Befreiungsschlag, sondern Merkel verfolgt eine Politik der kleinen Schritte, die Kritiker mit Flickschusterei vergleichen. Etwa wenn unrentable Gaskraftwerke zur Sicherung der kritischen Winterversorgung zwangsweise am Netz bleiben müssen. Am 21. März trifft sich Merkel mit den Ministerpräsidenten - dann will sie eine Einigung zur sogenannten Strompreisbremse. Doch hier könnte am Ende ein Ergebnis stehen, das maximal eine Mini-Bremse darstellt. Denn maximale Interessenunterschiede bedeuten oft minimaler Konsens.

Die Herausforderungen sind unterschätzt worden - so droht eine zu einseitige Belastung der Bürger mit immer neuen Umlagen, die auf den Strompreis aufgeschlagen werden. Das gefährdet die Akzeptanz für «das größte Projekt seit dem Wiederaufbau» (Bundesumweltminister Peter Altmaier). Erst am Mittwoch hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf die Befreiung stromintensiver Unternehmen von den Netzkosten für nichtig erklärt - auch die EU-Kommission stellt dieses Geschenk an die Industrie auf den Prüfstand. Merkel verspricht nun eine rasche Reform - sie betont aber, wer wirklich im internationalen Wettbewerb stehe, brauche weiter Rabatte bei der Energiewende.

Klaus Töpfer und Matthias Kleiner, die beiden Vorsitzenden der Ethikkommission zum Atomausstieg, hatten 2011 eindringlich ein «Gemeinschaftswerk» gefordert. «Nur wenn alle Ebenen der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft gemeinsam handeln, wird die Energiewende gelingen.» Ein Nationales Forum Energiewende sollte dies sicherstellen. Es gibt zwar nun viele Foren und Plattformen. Aber es geht oft eher egoistisch zu: Die Industrie kämpft für Stromrabatte, Windbranche und Grüne gegen Einschnitte bei der Windstrom-Förderung und die Biogasbranche gegen das Aus für den lukrativen «Gülle-Bonus». Immerhin wollen Umweltverbände den Netzausbau stärker unterstützen, eine Schlichtungsstelle soll jahrelange Klageverfahren vermeiden.

Union und FDP betonen derzeit eher die Kosten statt der Vorteile, wie mittelfristig sinkende Energiekosten und jetzt schon Einsparungen von mehreren Milliarden Euro für den Import von Öl, Kohle und Gas. Noch hat jede «Energierevolution» viel Geld gekostet. Das war bei Atom und Kohle auch nicht anders, nur hier wurden milliardenschwere Subventionen meist nicht direkt auf die Strompreise abgewälzt.

Aber auch die Opposition hat kein Patentrezept für den richtigen Kompass. Das von der SPD geforderte Energieministerium wird sicher nicht alle Probleme lösen können - zumal die Energiewende derzeit auf die Ministerien Umwelt, Wirtschaft, Bau, Forschung, Finanzen und Agrar verteilt ist. Das alles herauszureißen und in ein Ministerium zu überführen, dürfte weitere Zeit nach der Bundestagswahl kosten, die nicht da ist. Die Grünen-Pläne für Milliarden-Mehrbelastungen bei der Industrie könnten tausende Arbeitsplätze vernichten.

Einigkeit herrscht nur in einem Punkt: Es muss rasch Klarheit her, wie die Förderung erneuerbarer Energien von derzeit jährlich 20 Milliarden Euro wieder runtergefahren werden kann. Und wie Investoren zum Bau neuer Gaskraftwerke motiviert werden können, damit sie das Aus der Atommeiler bis zum Jahr 2022 abfedern. Sonst bleiben Braun- und Steinkohle noch lange die dominanten Energieträger. Wäre das eine saubere Energiewende? Das fragt nicht nur Eon-Chef Johannes Teyssen.
zurück
Seite:12
weiter
Kommentieren
weitere Artikel

Status:
Name / Pseudonym:
Kommentar:
Bitte Sicherheitsabfrage lösen:


  Weitere Artikel zum Thema

 Habeck sieht sinkende Strompreise trotz Atomausstieg

  Kommentierte Artikel

 Mehr Tote bei weniger Unfällen

 Bundesbeauftragte fordert Nachbesserungen bei Tierschutz in Ställen

 Geld wie Heu - Geht auf den Bauernhöfen wirklich die Post ab?

 Tote Ziegen im Schwarzwald gehen auf Rechnung eines Wolfs

 Gärtner verzweifeln über Superschnecke

 Bauerndemo in Brüssel für faire Preise

 Tierschutznovelle erntet Kritik von allen Seiten

 Online-Abstimmung über Verbrenner-Verbot manipuliert?

 Wut und Wahlen 2024: Die zunehmend mächtige Gruppe der Nichtwähler

 NRW-OVG verhandelt Streit um ein paar Gramm Wurst zu wenig