11.09.2006 | 14:29 | Futtermittel
Europäische Futtermittelindustrie will EU-Recht kippenBRÜSSEL (Dow Jones)--Um die verlässliche Angabe aller Bestandteile in Mischfuttermitteln, die im Zuge der BSE- und Dioxin-Krisen rechtsgültig wurde, beginnt ein neues Ringen in Brüssel. |
(c) proplanta Im Europäischen Parlament kommt am Montag dem 11. September im Agrarausschuss der Streit auf die Tagesordnung. Der Verband der Europäischen Mischfuttermittelhersteller (FEFAC) in Brüssel will geltendes EU-Recht rückgängig gemacht wissen. Es sieht derzeit eine offene Angabe aller Bestandteile von Futtermitteln in Prozentanteilen vom Gesamtprodukt vor. Die entsprechende EU-Richtlinie 2002/2/EG lässt den Herstellern bei der Angabe der Mengen eine Genauigkeitstoleranz von 15% je Futterbestandteil. Wenn also ein Futteranteil 30% des Ganzen beträgt, darf die tatsächliche Dosierung dieses Einzelfuttermittels zwischen 25,5% und 34,5% schwanken.
Am 7. September verlangte FEFAC-Präsident Martin Tielen nun von den Europaabgeordneten per Brief, sie sollten bei der derzeit laufenden Neufassung der entsprechenden EU-Richtlinie die Pflicht zur prozentualen Mengenangabe komplett herausstreichen. „Wir teilen die Stellungnahme der Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten, die keinen Nutzen in dieser Sonderbestimmung für den Gesundheitsschutz erkennen kann”, so Tielen wörtlich.
EU-Abgeordnete bestätigten, dass Lobbyisten der Futtermittelwirtschaft hinter den Parlamentskulissen in Brüssel derzeit Befürworter suchten, um die aufgrund des BSE-Skandals beschlossene Futtermittel-information wieder abzuschaffen. Für FEFAC scheint der Moment günstig: Zwar hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 6. Dezember 2005 per EuGH-Urteil wesentliche Teile der EU-Richtlinie 2002/2/EG zur „Offenen Deklaration” von Mischfuttermitteln bestätigt. Doch den Richtern missfiel ein einzelner Richtlinien-Paragraph. Dieser betraf das Recht der Futtermittel-Kunden, beim Hersteller die exakte Menge der Futterbestandteile zu erfahren. „Unverhältnismäßig” sei das, urteilten die Richter.
Zugleich aber wies der EuGH das Argument der klagenden Futtermittelindustrie zurück, wonach die Futterrezepturen Unternehmensgeheimnis bleiben müssten und dieses geistige Eigentum wichtiger sei als öffentliche Schutzinteressen. „Die Verpflichtung zur Angabe der Gewichtshundertteile der Bestandteile eines Futtermittels stellt eine Maßnahme dar, die zum Ziel des Schutzes der Gesundheit von Tieren und Menschen beitragen kann. Sie erlaubt es nämlich, die vermutlich verunreinigten Bestandteile eines Futtermittels zu identifizieren, ohne die Ergebnisse der Laboruntersuchungen abzuwarten, und dieses Futtermittel schnell dem Verbrauch zu entziehen”, urteilten die Richter.
FEFAC argumentierte per Post vom 7. September an die EU-Abgeordneten nun auf ganz anderer Ebene: „Die obligatorische Prozent-Deklaration mit einer Toleranzspanne von ±15% für jedes Futtermittel-Ausgangserzeugnis bietet keinen angemessenen Know-how-Schutz der Futtermittelbetriebe, insbesondere für forschungsintensive Mikro-Ausgangserzeugnisse. Dies wird sich negativ auf die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit im EU-Tierernährungssektor auswirken (schätzungsweise ca. 1,7 Mrd EUR pro Jahr)”. In der Folge werde „die Fähigkeit des Futtermittelsektors zur Verbesserung der Futtermittelrezepturen stark beeinträchtigt, die erheblich zur Kostensenkung und damit einer verbesserten Wettbewerbsfähigkeit der EU-Tierhalter gegenüber ihren Konkurrenten aus Drittländern beiträgt”, warnte FEFAC.
EU-Verbraucherschutzkommissar Markos Kyprianou jedoch gab den Argumenten des EuGH-Urteils stärkeres Gewicht. Er entschloss sich in Brüssel, einen Vorschlag zur leichten Korrektur der geltenden EU-Richtlinie 2002/2/EG vorzulegen, was auch geschah. Mit diesem Vorschlag befasst ist nun der Vizevorsitzende des Agrarausschusses des Europäischen Parlaments, Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf. Als Berichterstatter wird er voraussichtlich am 3. Oktober den endgültigen EU-Gesetzesentwurf präsentieren. Da Baringdorf im Jahr 2001 maßgeblich für eine bessere Futtermittelkontrolle eingetreten war und auch der Agrarausschuss des EP mit 23 zu einer Gegenstimme fraktionsübergreifend für die „Offene Deklaration” der Futtermittelbestandteile gestimmt hatte, dürfte FEFAC Probleme haben, die Uhr hinter BSE-Zeiten zurückzudrehen.
Allerdings haben Beobachter in Brüssel im EU-Ministerrat eine „Unruhe” ausgemacht. „Vertreter einiger Mitgliedstaaten, die nie eine offene Deklaration der Futtermittelbestandteile wollten, könnten versucht sein, diese nun wieder zu kippen”, so ein langjähriger Agrarexperte in Brüssel. Als Kläger vor dem EuGH gegen die „Offene Deklaration” laut Richtlinie 2002/2/EG waren damals Unternehmen aus Großbritannien, der Niederlande und Italien aufgetreten. Der aktuelle Streit dürfte zwischen EU-Parlament, Ministerrat, der Futtermittelindustrie und der EU-Kommission mindestens bis Dezember diesen Jahres andauern. Dann wird mit einem Gesetzesbeschuss gerechnet. DJG/§sen/ste/11.9.2006
(END) Dow Jones Newswires September 11, 2006 11:16 ET (15:16 GMT) Copyright (c) 2006 Dow Jones & Company, Inc.
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