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21.09.2011 | 16:19 | Bedürftigenhilfe 

Deutschland blockiert EU-Lebensmittelhilfe für Arme

Brüssel - Ein Streit um die Lebensmittelhilfen für Arme in Europa droht Millionen Menschen in den Hunger zu treiben.

Lebensmittelhilfen
Die EU-Landwirtschaftsminister konnten sich bei ihrem Treffen am Dienstag in Brüssel nicht über die Grundlagen für Lebensmittelhilfen einigen. Damit droht nicht nur eine drastische Kürzung, sondern gar eine Unterbrechung der Hilfen für die Bedürftigen Europas.

Deutschland hat zusammen mit Großbritannien, Dänemark, Schweden, den Niederlanden und Tschechien die Vorschläge der EU-Kommission, zur Änderung des Programms, blockiert. «Damit sind die Hilfen gefährdet», sagte ein EU-Diplomat. «Die sechs Länder müssen die Verantwortung dafür tragen, das Programm gegen die Wand zu fahren», kritisierte EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos.

Die Lebensmittelhilfen werden seit 1987 aus dem EU-Agrarhaushalt finanziert. Sie waren gestartet worden, um Lebensmittelüberschüsse mit Hilfe wohltätiger Organisationen an die Armen zu verteilen - etwa in Form von Nahrungskörben oder Tafeln. «Jetzt haben wir aber keine Überschüsse mehr», sagte Agrarstaatssekretär Robert Kloos, der Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) bei dem Treffen vertrat. Daher sollten die EU-Länder selbst die Hilfen finanzieren - und zwar aus ihren Sozialhaushalten.

Tatsächlich sind die Lagerbestände in den vergangenen Jahren deutlich kleiner geworden. Das liege an den Reformen der letzten Jahre, sagte ein EU-Diplomat. Sie hätten das Problem der Subventionen in der Agrarpolitik angepackt - die Produktion orientiere sich nun stärker an der Nachfrage.

«Im Grundsatz ist die Bedürftigenhilfe gut, aber sie ist Aufgabe der nationalen Staaten», sagte Kloos. Die Teilnahme an dem Programm ist freiwillig - Deutschland beteiligt sich derzeit nicht. 2012 wollen 20 EU-Länder mitmachen. Gestritten wurde über die Hilfen der kommenden zwei Jahre.

In der EU leben laut Brüsseler Schätzungen 43 Millionen Menschen am Existenzminimum - sie können sich jeden zweiten Tag keine richtige Mahlzeit leisten. Die Lebensmittelhilfen haben 2009 rund 18 Millionen Menschen erreicht. Mehr als 440 Tonnen Essen wurde verteilt, oftmals an Kinder mittelloser Familien oder ältere Menschen, an Obdachlose, Behinderte oder Asylbewerber. «Europa ist nicht nur der Kontinent der Satten und Glücklichen», sagte Polens Agrarminister, Marek Sawicki.

Frankreichs Landwirtschaftsminister Bruno Le Maire kritisierte die Blockade der sechs Länder scharf: «Ich werde heute auf den Tisch hauen und sagen: Wir können kein Europa akzeptieren, das nicht den Armen hilft.» Und Le Maire tat es. «Was für ein Europa wollen wir? Eine Ansammlung nationaler Egoismen?», sagte er. «Europa ist Solidarität.» Daher müssten die Hilfen weiter aus einem europäischen Budget finanziert werden. «Es kommt nicht infrage, diese Hilfe zu renationalisieren.»

2012 steht damit eine drastische Kürzung an. Obwohl Hilfen im Wert von 500 Millionen Euro vorgesehen waren, können im nächsten Jahr nur 113 Millionen Euro eingesetzt werden. Verantwortlich dafür ist vor allem Deutschland: Der Europäische Gerichtshof hatte auf eine Beschwerde Berlins hin geurteilt, dass die Nahrungsmittel für das Programm nur aus überschüssigen Lagerbeständen kommen dürfen. Zukäufe auf dem Markt - eine gängige Praxis in den vergangenen Jahren - seien nur in Notfällen zulässig. Resultat: Knappe Lager - knappe Hilfen.

«Der Richterspruch hindert uns nicht, eine Entscheidung zu treffen», sagte Agrarkommissar Ciolos. Die Vorschläge der Kommission, die seit 2008 und 2010 auf den Tischen der Minister liegen, hätten die juristischen Bedenken vorweggenommen und ausgeräumt. Er hoffe auf eine Entscheidung beim nächsten Ministertreffen. Möglicherweise werden die Lebensmittelhilfen auch beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs Mitte Oktober in Brüssel diskutiert, sagte die polnische Ratspräsidentschaft. (dpa)
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