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26.11.2008 | 09:05 | Ziel Marktstabilisierung  

Frankreich will EU-Agrarmilliarden für die Zukunft festschreiben

Brüssel - Es geht um Europas größte Fördertöpfe.

Frankreich
(c) proplanta
55 Milliarden Euro Steuergelder fließen in der Europäischen Union jährlich in die Landwirtschaft. Nur noch wenige Wochen hat Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy Zeit für seinen Plan, dafür zu sorgen, dass das auch so bleibt. Bis Ende des Jahres sitzt der Franzose als EU-Ratspräsident am Hebel. Ein Grundsatzbeschluss aller 27 EU-Staaten, dass in der Agrarpolitik alles beim Alten bleibt, könnte ihm den Abschiedsschmerz als «Geschäftsführer» des mächtigen Blocks versüßen. Denn Frankreich ist mit weitem Abstand größter Profiteur.

Die Verteidigung des Agrar-Füllhorns hat Sarkozy deshalb zur Chefsache gemacht. Doch viele Partner leisten Widerstand. Ganz traditionell verliefen die Frontlinien, heißt es in Verhandlungskreisen. Die Grande Nation habe ihre alten Verbündeten um sich geschart wie die Länder des Mittelmeerraums. Im gegnerischen Lager: Großbritannien, Schweden, Dänemark, die Niederlande - und Deutschland.

Mehr als 9 Milliarden Euro fließen jedes Jahr in die Taschen von Frankreichs Landwirten, danach folgen Spanien (5,9 Milliarden Euro) und Deutschland (5,5 Milliarden Euro). Für 7 Jahre legt die EU ihren Finanzrahmen jeweils fest; der momentane läuft 2013 aus. «Wir sind nicht bereit, uns jetzt schon auf etwas Konkretes für die Zeit nach 2013 festzulegen», heißt es in Kommissionskreisen. Erstmal seien die Verhandlungen zum nächsten EU-Budget dran. Skepsis auch in Berlin. Es dürften nicht schon jetzt Positionen vereinbart werden, auf die Paris sich später berufen könne, sagen deutsche Diplomaten.

Für Deutschlands neue Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner zeichnet sich die zweite schwierige Mission innerhalb einer Woche ab. Diesen Freitag trifft sich die CSU-Politikerin erneut mit ihren Amtskollegen in Brüssel, um über eine Beschlussvorlage der Franzosen zu beraten. Hatte es vergangene Woche noch eines nächtlichen Verhandlungsmarathons bedurft, bis sich die Runde auf Umschichtungen bei den Bauern-Subventionen geeinigt hatte, so sind diesmal nur drei Stunden angesetzt. Dabei will Frankreich wuchtige Pflöcke zu seinen Gunsten einrammen - Streit ist programmiert. Der Entwurf müsse «offener gestaltet werden», fordern Diplomaten.

Zwar nennt das Papier, auf das Paris die Partner festnageln will, keine konkreten Beträge. Doch es sind die Formulierungen, die Frankreich - so die Befürchtung - als Hebel nutzen könnte, um seinen Landwirten auch in Zukunft die Milliarden garantieren zu können. Ackerbau und Viehzucht stünden «im Mittelpunkt der für unsere Gesellschaft entscheidenden Herausforderungen», heißt es.

Besonders im Visier der Gegner: Frankreich will das Ziel der «Marktstabilisierung» verankern - sprich: auch weiterhin sollen Produkte bei einem Überangebot vom Staat aufgekauft werden und es einen Mindestpreis geben. Kritiker befürchten ein Zurück zu «Butterbergen» und «Weinseen», zur sinnlosen Überproduktion wegen dieser lukrativen Anreize. Festgeschrieben werden soll auch der Vorrang von EU-Produkten vor importierten Nahrungsmitteln. Gut zwei Wochen, nachdem sich die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer auf eine Wiederbelebung der «Doha»-Runde zur Liberalisierung des Welthandels geeinigt hatten, würde sich die EU auf das Prinzip von Zöllen festlegen.

Kein Wort von der vergangene Woche beschlossenen «Mini-Reform», mit der die Minister weiter Direktbeihilfen in den Topf für ländliche Entwicklung umgelenkt haben. EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel will diesen Weg nach 2013 fortsetzen und weitere Milliarden in Klimaschutzprojekte oder die Entwicklung neuer Wirtschaftszweige im ländlichen Raum umleiten. Kritiker fordern seit langem ein Umdenken in der Agrarpolitik, die Großbauern bevorzuge und die Märkte in Entwicklungsländern zerstöre. «Angesichts von Hunger und Armut in der Welt, Klimawandel und Artensterben können wir es uns nicht leisten, die Agrargelder weiter blind zu verteilen», mahnt Marita Wiggerthale von der Hilfsorganisation Oxfam.

Frankreich wehrt sich. «Wir müssen die Ziele und Herausforderungen der Agrarpolitik festlegen», sagen französische Diplomaten. «Auf der Grundlage kann dann das Budget beschlossen werden.» Anders als vergangene Woche ist der Verhandlungsrunde diesmal immerhin eine klare Frist gesetzt: Fischer Boel muss am frühen Nachmittag ein Flugzeug erwischen. Und in deutschen Delegationskreisen betont man: «Ein Beschluss muss einstimmig getroffen werden.» (dpa)
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