Bei einem Podiumsgespräch der Veranstaltungsreihe „The Future of Food and Farming” wies die Leiterin des
OECD Berlin Centre, Nicola Brandt, am Mittwoch (22.6.) in Berlin darauf hin, dass die von der russischen Blockade der Ukraine-Exporte ausgelöste Krise nicht so sehr eine Frage fehlender Getreidemengen am
Weltmarkt sei.
Vielmehr werde das eigentlich lösbare Problem durch die Abschottung etlicher Staaten vom Weltmarkt überhaupt erst akut. Brandt warb deshalb dafür, gerade in Zeiten wie diesen Handelsbarrieren zu vermeiden und den Warenaustausch zu fördern.
Die derzeitigen Engpässe zeigen für sie zudem exemplarisch die Gefahren hoher Abhängigkeiten von einzelnen Getreidelieferanten auf. Beispielsweise habe Ägypten in den letzten Jahren bis zu 70 % seines Weizenbedarfs in der Ukraine gedeckt. Sie empfiehlt deshalb solchen Ländern, die Handelsbeziehungen zu diversifizieren.
Auch nach Auffassung des Hauptgeschäftsführers vom Afrika-Verein, Christoph Kannengießer, wäre eine Abkehr von der
Globalisierung und internationalen Lieferketten der falsche Weg. Er warnt zudem davor, Probleme wie die aktuelle Lebensmittelkrise oder die aktuell „dramatisch hohe Abhängigkeit“ afrikanischer Länder vom Weltmarkt „mit
Subventionen zuzukleistern“ und in die Preisbildungsmechanismen der Lebensmittelmärkte einzugreifen.
Hohe Preise böten schließlich immer die Chance, die landwirtschaftliche Produktivität auch in bisher auf Importe angewiesenen Regionen zu stimulieren, betonte Kannengießer.
Möglichkeiten nicht überschätzenVergleichsweise wenig hält Kannegießer davon, dass der Westen oder andere Akteure auf Dauer die
Nahrungsmittelversorgung von Entwicklungsstaaten übernehmen. Europa und Deutschland dürften hier die eigenen Möglichkeiten nicht überschätzen, so der Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins. Die europäische Gunstregion könne - und müsse - zwar ihren Beitrag zur
Welternährung leisten, könne aber beispielsweise im Fall von Afrika nicht die
Ernährung von 1,3 Milliarden Menschen stemmen.
Kannengießer plädiert vielmehr für Hilfe zur Selbsthilfe und für eine daran anschließende „internationale Arbeitsteilung“. Nichts spreche beispielsweise dagegen, dass die EU in Zukunft verstärkt
Biokraftstoffe für den eigenen Bedarf erzeuge und Weizen aus Afrika importiere, so Kannegießer. Dafür müsse der Schwarze Kontinent aber erst über den Abbau tarifärer und nichttarifärer Handelshemmnisse in die globalen Handelssysteme integriert werden.
Gegen pauschale StilllegungZuvor hatte der Geschäftsführer der
Bayer CropScience GmbH, Peter R. Müller, Politik und Gesellschaft an die Verantwortung Deutschlands bei der internationalen
Ernährungssicherung erinnert. Die Bundesrepublik verfüge über exzellente natürliche Voraussetzungen für die
Pflanzenproduktion und könne sich auf hervorragend ausgebildete Landwirte verlassen.
In Anbetracht einer international knappen Versorgungslage hält Müller deshalb die
Stilllegung von
Agrarflächen für verfehlt. Er plädierte für eine offene Debatte über innovative Agrartechnologien, die eine ressourcenschonende und intensive Landwirtschaft ermöglichten.
Die Studentin und Agrarbloggerin Marie Hoffmann kann pauschalen Stilllegungsvorgaben von 4 % der gesamten Nutzflächen ebenfalls nichts abgewinnen. Diese würden auch ertragreiche Standorte betreffen und daher die Produktivität der deutschen Landwirtschaft übermäßig reduzieren. Besser wäre es, lediglich solche Flächen aus der Produktion zu nehmen, die „nicht so wertvoll sind“, so Hoffmann.
Fleischkonsum nicht zu verordnenDamit stieß Hoffmann beim Geschäftsführer des Deutschen Naturschutzrings (DNR), Florian Schöne, auf Widerspruch. Er stellte fest, dass sich die breit aufgestellten Mitglieder der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) auf eine Zielmarke von 10 % ungenutzter Fläche in der Agrarlandschaft geeinigt hätten. Dieser Anteil sei auch nötig, um Natur und
Artenvielfalt adäquat zu schützen.
Schöne sieht ohnehin noch großes Potential zur Sicherung der
Agrarproduktion, ohne zusätzliche natürliche Ressourcen in Anspruch zu nehmen. Er schlägt dazu beispielsweise eine Reduzierung des Fleischkonsums und den Verzicht auf Biokraftstoffe vor, damit mehr Getreide für die menschliche Ernährung zur Verfügung steht.
Der FDP-Bundestagsabgeordnete Ingo Bodtke gab allerdings zu bedenken, dass man eine Senkung des Fleischkonsums nicht einfach so verordnen könne. Auch baue kaum ein Landwirt
Futtergetreide an, wenn er auf seinem Acker die Möglichkeit habe, höherwertiges Getreide zu ernten. Der Verzicht auf Fleisch und damit Tierbestände stehe zudem im Widerspruch zum Kreislaufgedanken, da dann
Wirtschaftsdünger zur
Versorgung der Pflanzenbestände fehle, so Bodtke.