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16.09.2011 | 01:12 | Klimaforschung 

Klimawandel - Meere verändern sich, Menschen sind bedroht

Brüssel - «Vieles liegt im Meer versteckt. Was dort aber passiert, ändert auch unser Leben an Land.» Meeresbiologin Katja Philippart spricht diesen Satz schnell und laut.

Klimawandel
(c) proplanta
Wer ihr zuhört, weiß, dass sie es ernst meint. Als nächstes redet sie von schweren Überschwemmungen und Stürmen, von arbeitslosen Fischern. Ihr Kollege Carlo Heip, Direktor des Niederländischen Instituts für Meeresforschung, nimmt Worte wie Cholera in den Mund, spricht von Gefahren für küstennahe Städte, auch in Deutschland.

Diese und andere Entwicklungen und Szenarien greift ein neuer rund 200 Seiten starker Bericht zum Klimawandel auf, der insbesondere die Folgen für die Meere untersucht. Ein Team von Wissenschaftlern, zu dem auch Philippart und Heip gehören, hat für das EU-Meeresforschungsprojekt «Clamer» die Ergebnisse aus über 100 EU-finanzierten Forschungsprojekten der vergangenen Jahre zusammengetragen - und auch neue, unveröffentlichte eingebracht. «Der Bericht bringt alles Wissenswerte in einem einzigen Dokument zusammen», sagt Heip.

Die Ozeane verändern sich in einem beispiellosen Tempo, heißt es im Bericht. Während Eisdecken schmelzen, steigen Wasserspiegel und -temperatur immer schneller an. «Wir können den Klimawandel nicht mehr stoppen. Wir haben diesen Pfad längst eingeschlagen», so die Forscher. Nur auf lange Sicht seien Folgen des Klimawandels umkehrbar, «vielleicht in Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten».

Allein in den vergangenen 25 Jahren habe die durchschnittliche Erwärmung der Meere zehnmal so schnell zugelegt, wie im letzten Jahrhundert. Während weltweit ein Temperaturanstieg von im Schnitt 2 Grad Celsius an der Wasseroberfläche bis zum Ende des 21. Jahrhunderts erwartet werde, soll sich die Nordsee um 1,7 Grad erwärmen, die Ostsee jedoch sogar um 2 bis 4 Grad.

In dem wärmeren Wasser fühlen sich einige der «gefährlichsten bakteriellen Krankheitserreger» wohl. Forscher, darunter auch deutsche, fanden heraus, dass durch die höheren Temperaturen die Verbreitung bestimmter Bakterien aus der Gattung der Vibrionen begünstigt werde, die auch Cholera verursachen.

Eine «potenzielle Bedrohung» sei das, auch an deutschen Küsten, sagt Heip. «Im Augenblick haben wir aber keine Cholera in der Nordsee.» Dennoch könnten «Gesundheitskosten in Millionenhöhe» daraus resultieren, dass Menschen verseuchte Meeresfrüchte essen, heißt es in dem Bericht.

Doch Krankheiten seien nicht die einzige Folge: Viele Fischarten ziehen immer weiter Richtung Norden, wo das Wasser kälter ist. «Der Süden verliert dadurch einige seiner kommerziellen Fischarten, etwa Kabeljau», sagt Philippart. In der Ostsee etwa drohe er auszusterben.

Durch die Migration der Fische werde nicht nur das Ökosystem gestört. Die Fischerei im Süden Europas müsse mit kleineren Fängen rechnen, im Norden dagegen - etwa in Grönland, Island und Norwegen - sei es umgekehrt. Fischer müssten vielerorts ihre Schiffe und Netze an die neuen Gegebenheiten anpassen.

Schmelzende Eisdecken und Gletscher tragen zur Verunsicherung bei. Auch hier zeigt der Bericht eine steigende Tendenz: Während der Anstieg des Meeresspiegels im vergangenen Jahrhundert durchschnittlich rund 1,8 Millimeter pro Jahr betrug, legte er seit 1993 drastisch zu und stieg jährlich um rund 3,3 Millimeter. «Ein Anstieg von 80 bis 200 Zentimeter könnte ganze Länder auslöschen», schreiben die Autoren des Berichts.

Küstennahe Städte seien vom ansteigenden Meer bedroht. «Sie könnten große Schwierigkeiten bekommen», sagt Heip. Selbst Hamburg, obwohl die Stadt nicht direkt am Meer liegt. Sturzfluten entlang der Elbe, immense Regenfälle, all das werde immer wahrscheinlicher - für den Norden Deutschlands und Frankreichs, Dänemark, den Süden Englands und Osteuropa. «Das sind nicht nur Szenarien für eine ferne Zukunft, das alles passiert längst», sagt Philippart. Das Wetter werde immerhin auch von den Ozeanen gesteuert. Jährliche Schäden sollen dem Bericht zufolge allein in Deutschland um 37 Prozent steigen.

«Nicht alles ist schlecht. Dinge verändern sich nun mal. Aber wir müssen uns dieser Veränderungen bewusst sein und uns vorbereiten», sagt Heip. «Wir müssen die Ozeane weiter beobachten.» Der Bericht sei in erster Linie an Politiker und Wissenschaftler gerichtet - und zeige ihnen genau auf, wo es Forschungslücken gebe. Neben dem Bericht ist auch ein Buch, eine TV-Dokumentation und eine Umfrage entstanden. Sie zeigt, was die Bevölkerung zehn verschiedener Länder Europas vom Klimawandel hält. Nirgends waren die Befragten mehr von ihren eigenen Kenntnissen über den Klimawandel überzeugt, als in Deutschland. (dpa)
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