Auf den oberen neun Zehnteln ist alles noch ganz normal, doch die Antarktis, die sonst weiß schimmert, ist auf der Weltkugel in dem Büro in Buenos Aires in bunte Tortenstückchen unterteilt. Es sind die Gebietsansprüche von sieben Nationen auf den sechsten Kontinent, mit denen der Geologe täglich zu tun hat. Als erster Deutscher leitet der 57-jährige Reinke das Büro des Antarktisvertrages, der vor 50 Jahren (1. Dezember) unterzeichnet wurde.
Zwei Jahrhunderte lang lockte der Eiskontinent nur Abenteurer und Forscher. Im Zeitalter des Nationalismus rammten sie zwar den britischen Union Jack, die Stars and Stripes oder das skandinavische Kreuz Norwegens oder Dänemarks in den harschen Schnee, doch richtig etwas anfangen konnte man mit der Antarktis nicht. Außer Robbenfängern, die gelegentlich vorbeisegelten, lebten und leben auf den 13,2 Millionen Quadratkilometern - größer als Europa - nur ein paar Forscher. Das sind auf etwa 80 Stationen zwar zuweilen 4.000 Menschen, Bevölkerung ist das aber nicht. Die schon früh vermuteten gewaltigen Rohstoffvorkommen verschloss die vier Kilometer dicke Eisdecke zuverlässig.
«Man hat auf etwas verzichtet, an das man sowieso nicht herankam. Deshalb konnte der Antarktisvertrag 1959 überhaupt zustande kommen», erklärt Reinke. Gleichzeitig war Neid im Spiel: «Die Russen wollten den Amerikanern nichts gönnen und umgekehrt, die Argentinier den Briten nicht und umgekehrt, die Chilenen nicht den Norwegern und so weiter.» Zudem hatte Washington Angst, dass die westliche Allianz mitten im Kalten Krieg über den kalten Kontinent zerbricht. Und so erklärten zwölf Staaten am 1. Dezember 1959, keine Ansprüche auf das «dauerhaft nichtaneignungsfähige Nichtstaatsgebiet» zu haben oder sie zumindest ruhen zu lassen. Militär sollte es im Eis ebenso wenig geben wie den Abbau von Bodenschätzen.
«Das ist ein Friedensvertrag», sagt Reinke. «Selbst der Falklandkrieg hat am 60. Breitengrad haltgemacht.» Stabilisiert werde der Vertrag von inzwischen 28 Staaten von der Unsicherheit: «Wer Ansprüche hat, hat Angst, sie zu verlieren. Wer keine hat, hat Angst, dass andere welche kriegen.» Und auch durchsetzen. Denn die Goldgräberstimmung der 70er, als man die Antarktis als einen Hort von Fischen, Gold und Öl sah, sind noch gut in Erinnerung. «Deshalb traten in den Achtzigern plötzlich ganz viele Staaten dem Vertrag bei - mit Dollarzeichen in den Augen und der Hoffnung, vom Kuchen etwas abzukriegen.»
Doch statt der Vorratskammer ist die Antarktis längst die «Umweltikone» (Reinke) der Erde. «Hier lagern 87 Prozent des Süßwassers. Wenn das schmilzt, steigt der
Meeresspiegel um 70 Meter.» Derzeit lebe die Menschheit zwar in der kältesten von drei Kälteperioden und vor 50 Millionen Jahren habe es kein Eis auf der Erde und wohlige 20 Grad am Nordpol gegeben. «Aber das Klima ist eine ganz labile Angelegenheit. Und da hat sich in den letzten 100 Jahren gewaltig viel getan. Beängstigend viel.» (dpa)