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19.11.2016 | 09:23

Klimaforschung und das Problem der Stromversorgung im Regenwald

Kein Strom im Regenwald
Der Amazonas-Regenwald gilt als mitentscheidend im Kampf gegen die Erderwärmung. Wie wirken sich Abholzen und Brandroden auf den riesigen, grünen Kohlenstoff-Speicher aus? Deutsche Forscher wollen mit dem höchsten Klima-Messturm der Welt Wissenslücken schließen. (c) proplanta

Ein Rekord-Turm im Urwald: Auf der Spur der Klimageheimnisse



Der Unterschied zwischen den deutschen und den brasilianischen Turm-Pionieren springt sofort ins Ohr. Während drei Wissenschaftler aus Mainz konzentriert und still Edelstahlrohre zur Messung von Mini-Luftpartikeln zusammenschrauben, schlurfen drei brasilianische Arbeiter heran - eine halbe Stunde zu spät und mit Musik.

Aus dem Smartphone dröhnen Sambaklänge, die die Urwaldgeräusche locker übertönen. Hinter ihnen, mitten im Regenwald, ragt ein orange-weißes Bauwerk 325 Meter steil in den Himmel empor.

Das Amazon Tall Tower Observatory, kurz Atto, ist der weltweit bisher höchste Klima-Messturm, höher als der Eiffelturm. Der Stahl-Gigant soll mit seinen Daten helfen, dass die Menschheit die richtigen Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel ergreift.

Als einer der Arbeiter mit einem Stemmeisen an einem empfindlichen Edelstahlrohr herbohren will, treibt das Christopher Pöhlker noch mehr Schweißperlen auf die Stirn, als es die feuchte Hitze ohnehin tut. Der Forscher vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz hat keine leichte Aufgabe: Er soll, rund 9.000 Kilometer von der Heimat entfernt, das bisher einmalige Projekt fertigstellen helfen.

Deutsche und Brasilianer betreiben es gemeinsam. Der Stahlturm, der weit über das grüne Dach der Amazonaswälder ragt, wurde bereits im August 2015 eröffnet. Aber erst jetzt wird er betriebsbereit gemacht. Wegen bürokratischer Hürden, Geräten, die im Zoll festhingen, und einem Regierungswechsel in Brasilien gab es viele Verzögerungen.

Derzeit machen Meteorologen und Chemiker von zwei Max-Planck-Instituten (MPI) in Mainz und Jena Dutzende Leitungen zum Ansaugen von Treibhausgasen und Feinstaubpartikeln am Turm startklar.

Eine neue Dimension der Forschung



Der Regenwald stabilisiert der Klima der Erde. Das ist im Groben klar. Doch wie genau dort Wald, Wolken, Winde, Niederschlag und die Miniteilchen in der Luft zusammenhängen, welche Veränderungen durch Treibhausgase entstehen, gibt noch manches Rätsel auf. Für den Klimaschutz und bessere Prognosen zu Erderwärmung müssen sie gelöst werden.

Die Messgeräte sollen in verschiedenen Höhen Daten sammeln zum Wandel der Prozesse im Regenwald, zur Kohlendioxid-Konzentration in den Luftmassen. Es geht bei Atto um Millionen von Daten - und darum, eine profunde Basis für die Weltklimaberichte zu liefern.

Dafür ist es so wichtig, dass der Turm fernab von menschlichen Einflüssen durch Autoverkehr und Industrie steht. Acht Millionen Euro hat das Projekt bisher gekostet - zur Hälfte vom deutschen und brasilianischen Forschungsministerium finanziert. Weil Atto so hoch ist, kann man mit ihm die Atmosphäre über eine Fläche von 700 Kilometern Länge und 550 Kilometer Breite analysieren.

Durch das ständige Aufnehmen von Feuchtigkeit und Wieder-Abregnen funktioniert das Amazonasbecken wie eine Klima-Waschmaschine. Ohne den Wald dort wären große Teile Südamerikas eine Wüste. In Afrika, wo es solche Waldflächen nicht gibt, ist der Unterschied gut zu sehen.

Bis zu 143 Baumarten pro Hektar gibt es rund um Atto. Der Regenwald tauscht dort mehr Kohlenstoffe und Wasser aus als alle anderen Ökosysteme. Dabei ist es bereits viel trockener als früher. Für das Weltklima gilt die Amazonasregion als entscheidendes Kipp-Element.

Fakten sammeln für die Regierungen



Gerade erst ist der Pariser Weltklimavertrag in Kraft getreten. Darin verpflichten sich die Länder, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen.

Die USA haben das Abkommen zwar ratifiziert. Doch der künftige Präsident Donald Trump bezeichnete den Klimawandel mal als eine Erfindung der Chinesen, um der US-Industrie zu schaden. Wenn er den Vertrag ausbremst, könnten weitere Staaten folgen. Schon jetzt nimmt auch der Regenwald in Brasilien durch Abholzungen weiter ab.

Atto-Projektmanager Reiner Ditz aus Mainz betont, wie wichtig diese auf Jahrzehnte angelegte Forschung ist: «Fakten sind das A und O. Wir von der wissenschaftlichen Seite würden nie mit emotionalen Argumenten hantieren.» Inwieweit die Politik am Ende zuhöre und welche Entscheidungen sie treffe, stehe auf einem anderen Blatt. «Natürlich ist es bedenklich, wenn plötzlich Leute wie Donald Trump das Sagen haben, die an Fakten gar nicht interessiert sind», so Ditz.

Neuland im Regenwald



Christopher Pöhlker (33) ist in Mainz Gruppenleiter für Aerosol-Messungen. «Ich bin bisher auch kein Experte für Pipelinebau», sagt er. Aber nun muss er hier die teuren, sensiblen Rohre mit riesigen Schlüsseln so zusammenschrauben, dass später kein Staubkorn eindringt.

«Ave Maria», meint Elenaldo Palmer von der brasilianischen Firma San, als er Pöhlkers Riesen-Schraubenschlüssel sieht. Er muss mit seinen Kollegen die Rohre mit einem Lastenaufzug Stück für Stück am Turm befestigen, bis in über 300 Meter Höhe.

Am Fuß Attos stehen drei Spezialcontainer - Stückpreis: 55.000 Euro - einer Firma aus Bremen, in denen die Partikel und die über andere Leitungen angesaugten Treibhausgase analysiert werden. Täglich um Mitternacht werden alle Daten per Satellit nach Mainz übertragen, das kostet allein 1.600 Euro im Monat.

Bei einem schon 2011 in der Nähe eingeweihten Turm, der nur 80 Meter hoch ist, kostet allein der Lufttrockner für die angesaugten Partikel über 150.000 Euro. Wenn Pöhlker keine Rohre schraubt, sitzt er dort in einem Laborcontainer und wertet Daten aus. Weil Termiten den Boden durchgefressen hatten, musste ein neuer Stahlboden her. Beim Wiederanschließen der Geräte gab es eine Stichflamme, ein Gerät ging kaputt: 20.000 Euro Schaden.

Die Wissenschaftlercrew, rund 30 Mann stark, dürfte sich bei all den Widrigkeiten - ein Jaguar zerfleischte den Wachhund ihres Camps - ein wenig an Werner Herzogs Filmdrama «Fitzcarraldo» (1982) erinnert fühlen. Mit dem irrewirkenden Klaus Kinski, der mit seinem Traum eines großen Opernhauses mitten im Amazonas-Dschungel scheitert. Aber hier steht zumindest schon der Turm. Das höchste Bauwerk Südamerikas. Sechs Stunden von der Metropole Manaus entfernt: 120 Tonnen Stahl, mit nur drei mal drei Metern Grundfläche, gehalten von Drahtseilen.

Warum ein Klimaturm?



Bisher ist das Bauwerk die wohl höchste Schwalben-Toilette der Welt. Zum Sonnenuntergang umfliegen Tausende der Vögel die Turmspitze. Sie haben die Plattform auf 322 Metern mit Kot eingedeckt. Mit dem Aufbau darüber sind es 325 Meter. Nach einem schweißtreibenden Aufstieg, eine Stunde lang, gesichert mit Karabinerhaken an einem Stahlseil, gibt es einen atemberaubenden Blick über noch ungestörten Regenwald, und ins Ohr dringen Laute von Affen und Papageien.

Früher wurden für viel Geld Flugzeuge für Luftmessungen gechartert. Das war aber nicht kontinuierlich genug. Mit dem Turm kann man in unterschiedlichen Höhen über rund 40 Messeinheiten zuverlässig und tagtäglich Zahlen sammeln.

Die Partikelforschung ist zum Beispiel wichtig, um die Gletscherschmelze etwa in den Anden zu verstehen. Durch die Brandrodungen im Regenwald steigt die Konzentration der Teilchen auf bis zu 2.000 je Kubikzentimeter - statt rund 200. Zum Vergleich: Bei Smog in Peking können es bis zu 100.000 Partikel sein.

Lagern sich immer mehr schwarze Partikelteilchen auf den Gletschern ab, kann das Sonnenlicht nicht mehr so stark reflektiert werden und das Schmelzen nimmt zu. Pöhlker kann sogar Brände in der Sahara durch die Luftströmungen hier nachweisen. «Was beunruhigend ist, wir messen selbst hier viel mehr Verschmutzung, sogar in der Regenzeit.»

Pöhlker versucht zudem, die Wolken zu «lesen», Erklärungen zu finden, warum es längere Trockenzeiten im Regenwald gibt. Die angereisten MPI-Forscher aus Jena sind spezialisiert auf Treibhausgasmessungen. Die Verantwortung für das Atto-Projekt wird künftig in den Händen der US-Wissenschaftlerin Susan E. Trumbore vom MPI in Jena liegen.

Vorreiter Zotto - und die Kontrolle der Daten



Die verrücktesten Ideen entstehen manchmal an der Bar. Diesmal im Jahr 2005, bei einem Treffen mit Forschern des Max-Planck-Instituts Jena in Barcelona. «Mensch, wir bräuchten einen Turm, so 300 Meter hoch», so lautete die Idee an der Bar. Daraus entstand Zotto - oder Zotino Tall Tower Observation Facility -, ein 304 Meter hoher Messturm in Sibirien. Dort gibt die riesigen Waldflächen der Taiga.

Zudem können dort Daten gewonnen werden, wie viel Methan zum Beispiel das Auftauen von Permafrostböden freisetzt. Aber auch wie sich Kohlendioxid-Konzentrationen in Sumpfgebieten entwickeln, wie stark der Treibhauseffekt so zunimmt. Die Daten von Zotto und Atto sind ganz entscheidend für die Klimaforscher und ihren neuen Modelle.

Doch in Sibirien gibt es einige Restriktionen. Die Messdaten dürfen nicht täglich automatisch nach Deutschland übermittelt werden, es gibt Auflagen und Kontrollen, nicht alle Treibhausgase können gemessen werden. Es gibt anders als bei Atto keinen Online-Zugriff, was auch die Überwachung der Instrumente erschwert. Manchmal bekommen die Forscher die Werte erst mit einem Vierteljahr Verzögerung.

Wie es zu Atto kam



Der Anstoß zu Atto kam dann 2007, als Max-Planck-Koordinator Jürgen Kesselmeier mit dem damaligen Forschungsstaatssekretär Frieder Meyer-Krahmer auf einem kleinen Klimaturm in der Nähe von Manaus stand. Meyer-Krahmer fragte Kesselmeier, was er für einen wissenschaftlichen Traum habe. Dem schwebte ein richtig hoher Turm auch im größten zusammenhängenden Regenwaldgebiet der Welt vor.

Vier Wochen Zeit bekam er, einen Antrag auszuarbeiten. Daraus wurde mit dem brasilianischen Instituto Nacional de Pesquisas da Amazônia (INPA) das Atto-Projekt. Der Stahlbau steht auf einem Hochplateau. Anfangs gab es noch nicht einmal einen Weg, die 14 Kilometer vom Fluss musste man laufen. Heute existiert auch eine Holzbaracke, in der bis zu 40 Leute in Hängematten schlafen und ein Waschtrakt.

Der Kampf um den Regenwald



Die Bedrohung des Regenwaldes durch wirtschaftliche Interessen lässt sich schon am Eingang des Greenpeace-Büros in Manaus erfahren - die Umweltschützer sind wegen ihrer Kampagnen zum Tropenschutz unbeliebt. Ein eigener Sicherheitsdienst, eine Schleuse, im ganzen Büro Kameras. «Mitarbeiter von uns sind schon häufiger bedroht worden», sagt Romulo Batista, Experte für den illegalen Holzeinschlag im Amazonas-Gebiet.

Er fürchtet, dass durch Trumps Wahl der Druck beim internationalen Klimaschutz sinken wird. Auch bei der neuen Mitte-Rechts-Regierung von Brasiliens Präsident Michel Temer sind viele unsicher, ob sie sich noch an das Ziel, die illegale Abholzung zu stoppen, gebunden fühlt. Immerhin ist mit Blairo Maggi einer der weltweit größten Sojaproduzenten neuer Agrarminister Brasiliens geworden. Greenpeace verlieh ihm 2005 den Negativpreis «Goldene Kettensäge».

Fleisch, Soja und Wasserkraft: Warum so viel abgeholzt wird



2014/2015 wurden in Brasilien rund 6.000 Quadratkilometer abgeholzt, die 6,5-fache Größe Berlins. Tendenz steigend. Etwa 60 Prozent entfallen auf Weideflächen für Rinder. Stichwort: wachsender globaler Fleischkonsum. Und da die Tiere ernährt werden müssen, verschwinden immer mehr Regenwaldflächen für den Sojaanbau.

«Man kann den Preis für Land verdoppeln, wenn man es wirtschaftlich nutzt», betont Batista. Auf 3,2 Millionen Hektar werde in Brasiliens Regenwald Soja angebaut - ein Zehntel der Sojaanbaufläche im Land. Und für Tropenhölzer gibt es bis 3.000 US-Dollar (2.785 Euro) je Kubikmeter.

Die großen Flächen sind kaum wirksam zu schützen. Bis die Polizei irgendwo ist, haben die Abholzer den Wald wieder verlassen. «Das Hauptproblem sind die unklaren Besitztitel, wem das Land gehört», sagt Batista. Und natürlich spielt Korruption vor Ort eine traurige Rolle.

Und dann ist da noch der brasilianische Staat, der im Amazonasgebiet massiv auf Wasserkraft setzt. «Nur zwei große Flüsse sind noch ohne Dämme», kritisiert Batista. Jüngst wurde auch der deutsche Siemens-Konzern zur Zielscheibe von Protesten. Wegen der möglichen Beteiligung an einem geplanten 8.000-Megawatt-Wasserkraftwerk im Tapajos-Fluss, das zur Vertreibung der Munduruku-Indigenas geführt hätte. Es wurde aber wegen Umweltbedenken erst einmal auf Eis gelegt.

Das ist nur ein Zwischenerfolg. Wer sich von Christopher Pöhlker und den anderen Forschern ihre Datenerhebungen und Instrumente zur ständigen Wolkenbeobachtung erklären lässt, gewinnt den Eindruck, dass es nicht gut aussieht. Im August explodierten die Partikelkonzentrationen, ein klares Zeichen für viele Brandrodungen.

Im Atto-Camp gibt es zwar keinen Telefonempfang - aber einen Fernseher. Pöhlker verfolgte dort am 8. November den US-Wahlabend. Als sich abzeichnete, dass Trump das Rennen machen würde, trankt er erstmal einen Cachaça-Schnaps.

Aber die Atto-Crew spornt der Wahlausgang eher an. Denn jenseits aller Debatten über Wahrheit und Lüge in der Klimafrage haben sie hier nun ein einmaliges Faktenerhebungsinstrument auf ihrer Seite, das majestätisch den Amazonas-Regenwald überragt.
dpa
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