Im schwäbischen «Streuobstparadies» sieht es an manchen Orten wieder aus wie zur Kirschblüte in Japan. Doch das Paradies ist gefährdet. (c) proplanta
Den Anfang machen nun die Blüten an den Kirschbäumen. Dann folgen Apfel und Birne. Schätzungen nach weist Baden-Württemberg die größten zusammenhängenden Streuobstbestände Europas mit 7,1 Millionen Streuobstbäumen auf etwa 89.000 Hektar Wiesenfläche auf. Um das Jahr 1900 gab es noch 19 Millionen Bäume in Baden-Württemberg. Der Verein Schwäbisches Streuobstparadies in Bad Urach spricht von rund 2.000 jetzt noch existierenden alten Obstsorten, darunter die Birne «Gräfin von Paris» und die Apfelsorten «Freiherr von Berlepsch» und «Geheimrat Dr. Oldenburg». Doch die Bestände gehen zurück.
Der Streuobstanbau ist seit März 2021 von der deutschen Unesco-Kommission als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Als Hotspot der Biodiversität stehen die Streuobstwiesen im Land seit 2020 unter einem Erhaltungsgebot. Ab einer Größe von 1.500 Quadratmetern darf ein Streuobstbestand mit einer Genehmigung umgewandelt werden. Jedoch nur, wenn die Gründe für die Umwandlung so wichtig sind, dass der Erhalt dahinter zurückstehen muss. In diesen Fällen muss ein Ausgleich erfolgen - vorrangig durch die Anlage eines neuen Streuobstbestandes. Nach der Roten Liste der Biotoptypen Baden-Württembergs mit naturschutzfachlicher Beurteilung sind die Streuobstbestände des Landes in den vergangenen 50 Jahren stark zurückgegangen und als gefährdet eingestuft.
Laut dem Agrarministerium gingen die Baumzahlen seit 1965 um rund 60 Prozent zurück. Nach Angaben der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg bieten Streuobstwiesen zahllosen Tier- und Pflanzenarten einen Lebensraum. Wendehals, Steinkauz, Wiedehopf, Grauspecht und Igel sowie zahlreiche Insekten und Spinnen betrachten die Wiesen und Bäume als ihr Zuhause genauso wie zahllose Pflanzenarten. Für Streuobstwiesen gelte das Motto «Erhalt durch Nutzung»: Sie könnten nur erhalten werden, wenn die Pflege der Bäume und des Grünlandes gewährleistet seien.
Doch warum gehen die Bestände eigentlich so drastisch zurück? Hauptsächlich seien es mangelnde Pflege, der Siedlungs- und der Straßenbau, die den Streuobstwiesen zusetzten, erzählt Maria Schropp, Geschäftsführerin des Vereins Schwäbisches Streuobstparadies. «Viele Bewirtschaftende sehen auch wegen der niedrigen Mostobstpreise mit durchschnittlich 5 bis 10 Euro pro 100 Kilogramm keinen Anreiz mehr zur Pflege der Bestände.» Im Verein sind sechs Landkreise organisiert. Viele Eigentümer bekomme man nicht zu fassen, denn sie lebten nicht vor Ort, wollten oder könnten die anstrengende Arbeit nicht mehr leisten. Die Streuobstwiese behalten sie trotzdem, denn es könnte ja sein, dass gerade das eigene Flurstück als Bauland ausgewiesen werde.
Laut jüngsten Angaben des Naturschutzverbandes BUND sind allein im Zeitraum von März 2021 bis Februar 2022 54 Rodungsanträge für eine Gesamtfläche von mehr als 30 Hektar gestellt worden, von denen nur zwei abgelehnt worden seien. Meistens würden Straßen gebaut, die neuen Verkehr verursachten, sowie Gewerbegebiete und Einfamilienhäuser.
«Es ist sehr viel Arbeit, so eine Streuobstwiese zu pflegen. Ein Problem ist zum Beispiel, dass die Leute nicht die Maschinen haben, diese Wiesenpflege zu machen. Da wäre es gut, wenn die Gemeinden sich darum kümmern, dass man so einen Balkenmäher ausleihen kann, dass das nicht jeder selber haben muss, sondern es irgendwie ein Verleihsystem gibt», sagt die Naturschutzreferentin vom BUND, Almut Sattelberger. Auch könnten mehr Gemeinden dezentrale Häckselplätze anbieten für das Schnittgut. «Das gibt es zum Teil, aber das gibt es viel zu wenig», sagt Sattelberger.
Außerdem bräuchte es eine weitergehende Agrarförderung. «Leute, die das hobbymäßig betreiben, wollen natürlich nicht noch draufzahlen, wenn sie ihre Streuobstwiese pflegen. Das heißt, es sollte schon ein bisschen Ertrag auch dabei herauskommen.» Die EU unterstütze die Obstbaumbesitzer mit einer Prämie von 5 Euro pro Baum. Aber nur die Landwirte. Privatleute mit Wiesen gingen leer aus. Und selbst die 5 Euro pro Landwirt seien zu wenig. «Das müssten mindestens 10 Euro pro Baum sein, dass das einigermaßen auskömmlich für die Landwirte wäre.»
Das Land habe eine Streuobstinitiative gestartet. Sie soll laut Sattelberger demnächst veröffentlicht werden. Laut Schropp gibt es aber auch viele Menschen, die sich aktiv für den Erhalt der Streuobstwiesen engagieren. Junge Bäume müssten richtig «erzogen» und erwachsene Bäume richtig «gepflegt» werden. So bietet der Verein zahlreiche Schnittkurse an und Tipps für Werkzeuge. Maschinen müsse man sich nicht selbst kaufen, man könne sie ausleihen. Und Schropp macht jetzt schon darauf aufmerksam: Früchte - selbst die am Wegesrand - stünden im Eigentum eines anderen. Darauf machten auch Schilder entlang der Wiesen aufmerksam. Gelbe Bänder entlang Streuobstwiesen bedeuteten dagegen, dass eine Ernte ausdrücklich erwünscht sei. «Im Optimalfall gefällt das den Leuten so gut, dass sie sich eine eigene Streuobstwiese suchen.»