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03.07.2023 | 14:08 | Agroforstwirtschaft 

Kein Acker ohne Baum? Landwirte wollen die Erde vor Dürre schützen

Berlin/Briesen - Auf seinem Hof deckt Benedikt Bösel den Tisch im Sommer gerne mal mitten auf der Weide. Daneben grast die Rinderherde.

Acker mit Baum
Klimakrise, Dürresommer - Zukunftssorgen belasten die Landwirtschaft. Gerade in einer der trockensten Regionen Deutschlands will ein Öko-Bauer den Boden retten, er macht Ackerland zum Versuchslabor. Wissenschaftler halten ein Umdenken in der Landwirtschaft für nötig. (c) proplanta
Der 38-Jährige hat ein Landgut und eine große Farm in Brandenburg, in der trockensten Gegend Deutschlands. Längst ist er ein Promi unter den Öko-Bauern, auf vielen seiner Instagram-Videos, in seinem Buch und in Talkshows erzählt er, wie er den Boden retten will.

«Nun ist überall zu spüren, dass Wasser immer knapper wird und wir keinen gesunden Boden mehr haben», sagt Bösel, der in Alt Madlitz in der Gemeinde Briesen, etwa eine Stunde von Berlin entfernt, einen XXL-Betrieb mit 1.000 Hektar Ackerland und 2.000 Hektar Wald bewirtschaftet. Seine Felder sind eine Art Versuchslabor. In einer der niederschlagsärmsten Regionen Deutschlands mit den sandigen Böden entwickelt er angesichts der Klimakrise neue Formen der Landnutzung.

Agroforst-Systeme gehören dazu, um Dürreschäden und Erosion zu verringern. Einfach gesagt, werden dabei Bäume und Sträucher mit Ackerkulturen kombiniert. Die Gehölze stehen in regelmäßigen Abständen in Reihen auf den Feldern. Experten gehen davon aus, dass Feuchtigkeit so besser im Ackerboden gehalten wird und Wetterextreme weniger Schäden anrichten. Bislang sei es in der Landwirtschaft meist so, dass man im Ackerbau «schön lange geradeaus fahren möchte», sagt Bösel, der mit mehreren Forschungsinstituten zusammenarbeitet und vom Bundesagrarministerium gefördert wird.

Laut Dürremonitor beim Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) ist es in einem Streifen vom östlichen Niedersachsen über Sachsen-Anhalt bis Berlin und Brandenburg schon seit fünf Jahren permanent zu trocken. Die Agrarbetriebe im Osten Deutschlands, die weit größer sind als im Bundesdurchschnitt, müssen mit Ertragseinbußen rechnen.

In Dürre-Sommern ist zu sehen, wie Traktoren lange Staubwolken hinter sich her ziehen. «Wir haben die Landschaft ausgeräumt, immer größere Flächen einheitlich bewirtschaftet, das führt zu Nachhaltigkeitsproblemen», meint Klaus Müller, Professor am Leibniz-Zentrum für Agrarlandforschung (ZALF). Die großen Betriebe im Osten hätten nach der Wiedervereinigung lange Zeit gute Karten gehabt im «Kostensenkungswettbewerb».

Bei Bio-Landwirt Bösel gilt: Kein Acker ohne Baumreihen. Hundert Hektar große Flächen ohne Baum dazwischen, «das macht wenig Sinn», sagt Renke de Vries, der Agroforst-Experte in Bösels Team. Zitterpappeln, Ahorn, Birken, aber auch Haselnussbaum und Obstsorten wie Pflaumen, Birnen und Mispeln wachsen auf dem Acker. Der Boden ist mit Mulch abgedeckt, um Feuchtigkeit besser zu halten.

Der Deutsche Fachverband für Agroforstwirtschaft ist überzeugt, dass die großen Ackerflächen, wie sie landauf landab im Osten bestehen, inzwischen eher kontraproduktiv sind, auch für die Ernte und die Rendite. «Das rächt sich auf alle Fälle. Wenn das Wetter nicht mehr mitspielt, merkt man, dass man häufiger Ausfälle hat», sagt der Forstwissenschaftler Christian Böhm, der Vorstandsvorsitzende des Fachverbandes ist.

Auch sein Kollege, der Forstwissenschaftler Tobias Cremer von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde, sieht mehrere Vorteile der Agroforstwirtschaft für Klima und Natur: Schutz vor Winderosion, geringerer Feuchtigkeitsverlust im Boden, Humusausbau, Erhalt der Artenvielfalt. In der Landwirtschaft gebe es langsam ein Umdenken. Noch mehr Düngung und eine intensivere Bewirtschaftung tue dem Boden nicht gut.

«Wir können nicht so weiter machen wie bisher», meint Cremer, der ein Modellprojekt zu Agrofrost betreut, angesichts von Extremtemperaturen und Extremwetterereignissen wie Starkregen. Aber die Agrofrost-Landnutzung steht ihm zufolge noch ziemlich am Anfang, auch wenn das Interesse bei Landwirten in Deutschland wachse.

Neu ist diese Form der Bewirtschaftung nicht, laut Bundesinformationszentrum Landwirtschaft war sie schon im Mittelalter verbreitet. Zum Ende des 19. Jahrhunderts sei sie mit der Intensivierung der Landwirtschaft mehr und mehr verschwunden. Bäume seien als störend empfunden worden, heißt es. Bio-Landwirt Bösel sagt: «Die Landwirte und Landwirtinnen haben die letzten 40, 50 Jahre genau das gemacht, was sie machen sollten. Sie sollten viel produzieren - und das so günstig wie möglich. Das heißt, sie haben sich immer weiter spezialisiert und immer weiter technologisiert.»

Der Deutsche Bauernverband nennt hohe Kosten für Agroforst-Systeme als Vorbehalte bei Landwirten. Zudem sei es aufwendiger, die Fläche zu bewirtschaften. Laut Fachverband für Agroforstwirtschaft muss ein Landwirt pro Hektar um die 6.000 Euro investieren. Gefördert wird es bislang mit 60 Euro je Hektar. Eine Hürde sieht der Bauernverband auch darin, dass ein Großteil landwirtschaftlicher Flächen gepachtet ist. «Für die Pächter ist die Anlage von Agroforst nur dann möglich, wenn der Flächeneigentümer zustimmt und lange Vertragsdauern für die Pachtflächen bestehen.»

Einigkeit dürfte im Nutzen für das Klima bestehen. Denn Bäume und Sträucher binden das schädliche Treibhausgas CO2, der Acker kann auch durch mehr Humusaufbau zum besseren Kohlenstoffspeicher werden. Die Klimaleistung des Landwirts sollte besser vergütet werden, meint der Bauernverband. «Aktuell wird auf europäischer Ebene an einer einheitlichen Zertifizierung von «Kohlenstoffsenken» gearbeitet. Die Erwartungen seitens der Landwirte sind hoch», heißt es.

Benedikt Bösel in Alt Madlitz zeigt mit seinem Buch «Rebellen der Erde - wie wir den Boden retten und damit uns selbst!» viel Pioniergeist. «Wenn diese Methoden der regenerativen Landwirtschaft hier auf unserem Extremstandort ökonomisch, ökologisch und sozial funktionieren, dann können sie auch in anderen Regionen erfolgreich angewendet werden.» Will er zum Klimaretter werden? Jedenfalls formuliert Bösel, der auch «Landwirt des Jahres 2022» war, gerade in Zeiten des Hofsterbens Visionen wie diese: «Landwirt zu sein ist im Jahr 2035 längst einer der coolsten Jobs überhaupt.»
dpa
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