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20.06.2023 | 05:19 | Bodenseefischerei 

Steht der Bodenseefischerei ein Umbruch bevor?

Langenargen - Der Blaufelchen ist das Aushängeschild der Bodensee-Fischerei. Doch die Erträge gehen seit Jahren massiv zurück.

Bodenseefischerei
Im Bodensee gibt es immer weniger Felchen. Ein Fressfeind macht es dem Speisefisch schwer. Die Wissenschaft sieht Handlungsbedarf. Eine Konferenz soll über ein Fangverbot entscheiden. Für Fischer könnte sich einiges ändern. (c) proplanta
Fressfeinde und zu wenig Nährstoffe in dem Binnengewässer zwischen Deutschland, Österreich, Liechtenstein und der Schweiz machen es dem Speisefisch schwer. Nun sieht die Wissenschaft großen Handlungsbedarf. Seit Jahresbeginn wird eine mehrjährige Schonzeit für Felchen diskutiert. Eine Entscheidung könnte an diesem Mittwoch bei der Internationalen Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei (IBKF) fallen.

Für den Leiter der Fischereiforschungsstelle in Langenargen ist ein Fangverbot alternativlos. «Nie hätte ich vor einem Jahr gedacht, dass wir so schnell zu diesem Punkt kommen», sagt Alexander Brinker. «Und tatsächlich halte ich persönlich eine Schonzeit mit anschließender Prüfung der Wirksamkeit für alternativlos.»

Einen wesentlichen Grund für den plötzlichen Handlungsbedarf sieht die Wissenschaft in einem ehemaligen Aquariumsfisch, dem Stichling. Er mache mittlerweile rund 90 Prozent der Fische im Freiwasser des Bodensees aus und bedroht der Felchen massiv.

«Zum ersten Mal im Bodensee wurde der Stichling 1952 nachgewiesen», sagt der Experte. Zur damaligen Zeit sei der kleine silberne Fisch beliebt bei Aquariumsbesitzern gewesen. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass ihn manche Fischhalter im Bodensee in die Freiheit entlassen haben. Über Jahre habe er sich massiv verbreitet.

Der Stichling sei eigentlich eher in Ufernähe beheimatet, der Blaufelchen sei ein Freiwasser-Fisch. Bis 2012 sei unproblematisch gewesen. Doch vor Jahren habe der Plankton-Fressfeind des Felchens aus unbekannten Gründen sein Verhalten geändert und sei auch ins Freiwasser eingewandert. Dort trete er mit dem Felchen nun in Nahrungskonkurrenz. Und noch mehr: «Vieles spricht dafür, dass ein zumindest kleiner Teil der Stichlinge die Eier und Larven der Felchen frisst. Wenn nur fünf Prozent der Stichlinge das tun, ist das schon genug, um dem Felchen zu schaden.»

Um Felchen nachhaltig am Bodensee zu sichern, müsse neben dem Fangverbot auch ein Stichlings-Management her. Die Fische müssten aus dem See gefischt werden. «Das Essen der Fische ist keine gute Option, weil sie bitter schmecken.» Sie haben zudem viele Knochenplatten und Stacheln. «Aber man könnte sie zu Fischmehl oder Tierfutter verarbeiten», so die Überlegungen.

Außerdem werde auch diskutiert, die Besatzstrategie der fünf Brutanstalten am Bodensee zu ändern. Heißt: Man würde die Felchen, die man jährlich aufzieht, erst mit einer gewissen Größe in den See entlassen. «Wenn sie zu groß sind für die Mäuler der Stichlinge und ihnen nicht mehr zum Opfer fallen können.»

Mehr als zwei Millionen Felchen könnte demnach theoretisch jährlich auf die entsprechende Größe aufgezogen werden. «Das große Fragezeichen aber ist: Lässt sich überhaupt genug Laich dafür fangen?» Im letzten Jahr seien so gut wie keine Laichfische gefangen worden. Für den Experten steht so oder so fest, dass schnell gehandelt werden müsse. «Es ist kurz vor Zwölf.»

Gehandelt werden könnte bei der bei der Internationalen Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei (IBKF). Bei dem Treffen der Bevollmächtigten der Anrainerstaaten wird am Mittwoch in Ittingen (Thurgau) in der Schweiz nicht-öffentlich tagen. Einer Sprecherin zufolge wollen die Verantwortlichen am Donnerstag über das Ergebnis informieren. Jeder Anrainer hat einen Bevollmächtigten in dem Gremium. Über ein Fangverbot für Felchen kann nur einstimmig entschieden werden.

Eine Anordnungs- oder Vollzugsgewalt hat die IBKF nicht. Der Beschluss muss erst von allen Uferstaaten in das jeweilige Recht umgesetzt werden. Betroffen wären dann alle Berufsfischer entlang des Bodensees. Begeistert von der aktuellen Diskussion sind die Fischer, die seit Jahren wegen der gesunkenen Erträge um ihr Auskommen kämpfen müssen, nicht.

Für die Genossenschaft der Bayerischen Bodenseeberufsfischer ist das diskutierte Felchenfangverbot «ausgemachter Schmarrn». «Wir fangen doch mit den momentan zulässigen Netzen sowieso keine Felchen mehr», sagt Vorstandsvorsitzender Roland Stohr in Wasserburg. Eine ganzjährige Schonzeit sei die einfachste und uneffektivste Lösung und nur ein Aktionismus der Behörden, so der Berufsfischer mit Blick auf die Erträge, die marginal seien.

2021 gingen einem Bericht nach rund 107 Tonnen Felchen ins Netz, vor zehn Jahren waren es noch mehr als 600 Tonnen. Nach Ansicht der Fischer führt der zu niedrige Nährstoffgehalt im Bodensee zu einer geringen Nahrungsmenge für die Tiere - wodurch sie langsamer wachsen.

Das notwendige Phosphat, welches im Nährstoffkreislauf den Felchen fehlt, werde seit vielen Jahren in den Kläranlagen in zu hoher Dosis entzogen, so Stohr. «Diese übertriebene und gleichzeitig sehr teure Reinigung müsste man aus Sicht der Fischer dringend überdenken, statt über ein Felchenfangverbot nachzudenken.»

Bedeuten würde so ein Fangverbot für die Fischer, dass sie nicht mehr mit den Felchen-Netzen fischen dürften. Doch mit diesen Netzen würden sie auch andere Speisefische wie Rotaugen, Trüschen, Saiblinge und Barsche fangen. Er und seine Kollegen wollen den bayerischen Bevollmächtigten davon überzeugen, gegen eine ganzjährige Schonzeit mit Verbot der Felchen-Netze zu stimmen.
dpa
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