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30.10.2009 | 17:05 | Tierschutz 

Tierschutzforderung biologisch begründen

Zürich - Die Diskussion um zwei Primatenversuche der ETH und der Universität Zürich rückt Tierversuche ins Rampenlicht.

Tierschutzforderung
(c) P. Rüegg/ETH-Zürich
Der Experte für Tierhaltungsfragen, ETH-Dozent Markus Stauffacher, sagt, dass an der ETH viel für Versuchstiere im Experiment und bei der Haltung getan wird.


Herr Stauffacher, wie bewerten Sie den Bundesgerichtsentscheid, dass ETH und Uni Zürich zwei Versuche mit Primaten nicht durchführen dürfen?

Ich bin froh, dass der Entscheid des Bundesgerichts zur Beschwerde von Uni und ETH Zürich zu diesen beiden Versuchen endlich da ist. Er bedeutet leider eine Ablehnung der Beschwerde, aber solange die Begründung nicht vorliegt, kann man ihn nicht kommentieren.


Wie wirkt sich dieser Entscheid auf die Primaten-Forschung aus?

Ob diese Versuche abschliessend verboten worden sind oder mit Auflagen doch noch durchgeführt werden können, wird die Begründung zeigen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich betrifft die reine Grundlagenforschung, nicht aber Forschung, deren anwendungsorientierter Nutzen innert weniger Jahre ersichtlich wird. Entscheidend ist nun, auch den Juristen klarzumachen, dass man Grundlagen- und Anwendungsforschung nicht sinnvoll trennen kann. Angewandte Forschung auf Hochschulniveau ist unmittelbar mit der Suche nach grundlegenden Kenntnissen verbunden.


Wie geht es mit den vom Veto betroffenen Forschern weiter?

Ursprünglich bewilligte das Veterinäramt des Kantons Zürich die Primatenversuche der ETH Zürich und der Uni, ehe die Tierversuchskommission diese untersagte. In der Diskussion wurden die beteiligten Forscher sehr schnell mit unsachlichen und ungerechtfertigten Vorwürfen konfrontiert. Das ist nicht in Ordnung. Ich glaube aber nicht, dass durch den Entscheid Forscher abwandern. Die Schweiz ist und bleibt für die biomedizinische Forschung eine Topadresse. Auch wird sich das Urteil nicht stark auf andere Tierexperimente in der Schweiz auswirken. Dass die öffentliche Diskussion zum Thema Tierversuche wieder aufgenommen worden ist, finde ich gut; dass gewisse Kreise aber statt auf Dialog auf medienwirksame Konfrontation und Polarisierung aus sind, bedauere ich.


Ist Forschung an Primaten noch zu verantworten?

In der Schweiz wurden 2008 345 Primaten eingesetzt, aber rund 420.000 Mäuse. Von diesen 345 Affen wiederum verwendeten Forscher 88 Prozent für Versuche, die nicht oder nur schwach belastend waren, zum Beispiel Verhaltensstudien oder wenig invasive Experimente. Wenn mit einem Affen zum Beispiel eine Blutentnahme gut trainiert wird, er subjektive Sicherheit von seinem vertrauten Pfleger bekommt und obendrein fürs Mitmachen noch belohnt wird, belastet das Experiment das Tier kaum. Ein Fisch leidet vermutlich stärker unter der Belastung, wenn man ihn in der Hand hält, weil er diese Situation nicht mittels kognitiver Fähigkeiten verarbeiten kann. Doch solche Fragen werden in der Tierschutzdebatte leider kaum gestellt.


Fühlen sich Forscher durch den Tierschutz eingeschränkt?

Ich bin überzeugt, dass Forscher in der Schweiz Tierexperimente nur durchführen, wenn diese unabdingbar sind. Ich bin auch sicher, dass Experimente mit Hunden, Katzen und Primaten ganz besonders hinterfragt werden. Die Tierschutzgesetzgebung setzt normative Leitplanken. Diese werden von vielen Forschern weniger als Einschränkung, sondern viel mehr als politische Absicherung in einem emotional diskutierten Forschungsfeld verstanden - und deshalb akzeptiert.


Ist diese vorbildliche Tierhaltung nicht bloss ein Feigenblatt?

Nein, keineswegs. Tierschutz ist ethisch begründet, also Anliegen von uns Menschen. Was Tiere zu ihrem Schutz brauchen, muss dagegen biologisch begründet sein. Die Biologie untersucht den Zustand der Tiere mit naturwissenschaftlichen Methoden und erfasst ethologische, physiologische und klinische Parameter. Wohlbefinden und Leiden sind ethische Begriffe, dazu haben Naturwissenschaften keinen direkten Zugang. Wir können zwar darauf schliessen, dass es Tieren mit Verhaltensstörungen, physiologischen Schäden oder höherer Mortalität aufgrund der Haltung nicht gut geht. Aber ob und wie sie Leid und Glück erleben, darüber können wir keine naturwissenschaftlichen Aussagen machen.


Die Gesellschaft reagiert auf Tierversuche sehr sensibel. Wieso?

Unsere Gesellschaft argumentiert bei diesem Thema kontrovers. Gesellschaftspolitischer Konsens ist, dass wir hohe Ansprüche an die Entwicklung neuer Medikamente und medizinischer Verfahren sowie an die Sicherheit von Medikamenten und Nahrung haben. Wir verlangen auch, dass Versuche nicht an Menschen stattfinden. Gleichzeitig lehnt ein Teil der Gesellschaft Tierversuche strikt ab, weil den Tieren bewusst Leid zugefügt würde. Damit stecken wir in einem Dilemma.


Was macht man, um Leiden zu mildern?

Leiden ist ein ethischer Begriff. Wir müssen den Tieren diejenigen Fragen stellen, die sie mit ihrem Verhalten und physiologischen Reaktionen eindeutig beantworten können. So können wir überprüfen, ob und wie Versuchstiere belastet sind, und das Experiment oder die Haltungsbedingungen im Sinne des Tierwohls verbessern. Zudem definieren die Forscher im Voraus Kriterien, nach denen das Experiment am Tier abgebrochen wird, falls Probleme auftreten. In der Schweiz und in der EU sind die Vorgehensweisen bei Tierversuchen stark standardisiert und streng reguliert. Das hat extrem viel gebracht.


Wo sehen Sie einen Ausweg?

In der Entwicklung von zuverlässigen Alternativen. Viele Experimente, aber nicht alle, kann man mittlerweile auch an Zellkulturen oder Gewebeproben durchführen. Insgesamt sind Tierversuche zwischen 1983 und 2000 um 80 Prozent gesunken.


Zurzeit steigen aber die Zahlen an verwendeten Mäusen. Warum?

Durch transgene Mäuse können wir Krankheitsmechanismen im Detail verstehen. Diese Technik gab es vorher nicht. Wenn wir Krankheiten wirklich verstehen, sind die Tierversuche zum Wohl der Menschen geschehen. Die grossen Durchbrüche gelingen in der Grundlagenforschung, können aber nicht geplant werden. Auf dem Verstehen der Grundlagen baut die angewandte Forschung auf.


Nicht jeder Versuch führt zum angestrebten Ziel. Kann es sein, dass hunderte von Tieren «vergeblich» eingesetzt werden?

Kennzeichen guter wissenschaftlicher Forschung ist, dass das Ergebnis nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden kann, ja, Überraschungen den grössten Fortschritt bedeuten können. Selbstverständlich muss ein Forscher immer eine Güterabwägung vornehmen, wenn er einen Tierversuch plant. Zwischen seinen eigenen Interessen, denen des Tieres, der Gesellschaft und des gesamten forschungspoltischen Umfelds. Ich bin überzeugt, dass die meisten Forscher dies laufend tun. Wenn es uns gelingt, die Studierenden schon früh zu sensibilisieren, dann haben wir die Garantie, dass sie später einmal nicht nur Gesetze befolgen, sondern verantwortungsbewusst und respektvoll Forschung betreiben, ganz besonders dann, wenn sie für den Erkenntnisgewinn Leben einsetzen.


Was sollte man auf politischer Ebene tun, um Tierversuche zu gesellschaftlicher Akzeptanz zu verhelfen?

Mein Stil ist es nicht, gegen einmal verfügte Auflagen und Verbote zu lobbyieren oder mittels Drohungen zu polarisieren. Ich bin für einen konstruktiven Dialog zwischen Forschern, Politikern, Ethikern, Tierschützern und der Gesellschaft. Es stimmt zudem nicht, dass eine Mehrheit der Bevölkerung gegen Tierversuche ist. Mehrere Initiativen dazu wurden an der Urne abgelehnt. Wir brauchen lösungsorientierte Tierschutzinstitutionen, solange sie nicht militant sind. Diese haben erreicht, dass man sich auch ethische und gesellschaftspolitische Fragen zum Tierwohl stellt. Das hat nicht zuletzt auch die Forscher veranlasst, ihre Arbeit unter dem Aspekt des Tierschutzes immer wieder zu hinterfragen sowie naturwissenschaftliche Beurteilungskriterien zu erarbeiten und bewusst selbstkritische Entscheide zu fällen. (ETH-Zürich)
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