29 Prozent aller Tierarten in Deutschland sind akut bedroht beziehungsweise von deutlichen Bestandsrückgängen betroffen. Das ist das Ergebnis der bisher umfassendsten Bestandsaufnahme zur Lage der Natur und biologischen Vielfalt, die Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) am Mittwoch in Berlin vorgestellt hat. Als Hauptursachen gelten die intensive Landwirtschaft mit hohem Düngemitteleinsatz sowie das Umbrechen von Grünland. Nach den Angaben ist der Zustand nur bei 25 Prozent der Arten und 28 Prozent der Lebensräume gut.
Insgesamt wurden 92 Lebensräume von Flussauen bis zu Wäldern sowie 195 EU-weit bedeutsame Arten erfasst - von Säugetieren über Fledermäuse, Amphibien und Fische bis hin zu Schmetterlingen und Schnecken. Bei den 250 Brutvogelarten wurden bei einem Drittel abnehmende Bestände ermittelt. «Die Ergebnisse zeigen ein durchaus gemischtes Bild», sagte Hendricks. Teils seien sie besorgniserregend. «Sorgen machen uns die Flüsse, Moore und vor allem die Grünland-Lebensräume wie Weiden und Wiesen.»
Positiv sieht die Entwicklung etwa bei Wildkatzen aus, kritisch dagegen bei Amphibien und Schmetterlingen. «Beim Schweinswal in der Nordsee steht die
Ampel in der Nordsee auf Gelb, in der Ostsee auf Rot», sagte Hendricks zudem. Regional am schwierigsten ist die Lage im Norden und Westen, vor allem wegen intensiver Landwirtschaft. Negativ wirkt sich der zunehmende Umbruch von Grünland aus. Am besten sieht es noch im alpinen Raum aus.
Hendricks betonte, der Flächenverbrauch solle von 70 Hektar am Tag auf 30 Hektar zurückgeführt werden, um natürliche Lebensräume zu erhalten. Der
Maisanbau solle nicht ausgeweitet werden. «Das reicht jetzt», sagte die Ministerin. Daher sei von Union und
SPD geplant, dass neue Biogasanlagen nur noch mit Abfall und Reststoffen betrieben werden dürfen, nicht mehr mit Mais. Auch beim Biosprit will sie einen Deckel einziehen. Die Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz, Beate Jessel, betonte, es gebe nur noch ein Drittel früherer Überschwemmungsflächen - Flussauen seien aber für den Erhalt der biologischen Vielfalt wichtig.
Insgesamt wurden fast 12.000 Stichproben erhoben, vom Gipfel des Feldbergs bis hin zu Nord- und Ostsee. Bei den Lebensräumen wird der Buchenwald-Zustand vielerorts als gut bewertet. Zwei EU-Richtlinien, die Vogelschutzrichtlinie und die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, die die Ausweisung von Schutzgebieten für EU-weit bedeutende Arten fordern, hatte die «Generalinventur» erforderlich gemacht. Die Daten wurden über vier Jahre erhoben.
Der Präsident des Naturschutzbundes, Olaf Tschimpke, sorgt sich besonders um den Erhalt der Vogelvielfalt. «Es verschwanden in den vergangenen zwölf Jahren über die Hälfte aller Kiebitze und ein Drittel der Feldlerchen», kritisierte er. «In der intensiv bewirtschafteten Landschaft finden sie kaum mehr Nahrung und geeignete Brutplätze.» Wichtige Lebensräume wie artenreiche Wiesen würden in Maisäcker umgewandelt, kritisierte er mit Blick auf die Ausweitung zur Tierfutter- und Energiegewinnung.
Die Umweltstiftung
WWF betonte, es reiche nicht, Schutzgebiete auf dem Papier auszuweisen. Als Sofortmaßnahme forderte der WWF die Verdoppelung der Finanzmittel für das Bundesprogramm zur Förderung der biologischen Vielfalt von 15 auf 30 Millionen Euro pro Jahr. «Die Landwirtschaft ist nach wie vor eine Problemzone des Naturschutzes», betonte WWF-Vorstand Eberhard Brandes.