Allein in Brasilien wurde in den vergangenen 40 Jahren eine Fläche abgeholzt, die mit 763.000 Quadratkilometer über zweimal so groß ist wie Deutschland. Plastischer ausgedrückt: Pro Stunde wurden 526 Fußballfelder abholzt. Oder noch anders: Über 2.000 Bäume gingen vier Jahrzehnte lang jede Minute zu Boden. Bereits heute würde eine Reduzierung der Abholzung auf «Null» nicht mehr reichen, um die essenzielle Klima-Rolle des Ökosystems zu garantieren, warnen Forscher.
Die Zahlen sind Teil der vom Netzwerk ARA in Auftrag gegebenen Studie «Klimatische Zukunft des Amazonas», die der Wissenschaftler Antonio Donato Nobre vom brasilianischen Nationalen Institut für Raumfahrtforschung (INPE) vorstellte. Dazu wurden etwa 200 Studien und wissenschaftliche Artikel über die Klima-Rolle des Ökosystems ausgewertet. Der Amazonas ist der größte zusammenhängende tropische Regenwald der Welt. Die Forscher bezeichnen ihn als «grünen Ozean».
Die Baumriesen und die üppige Vegetation befeuchten die Luftströme hoch über dem Regenwaldach, sie helfen bei der Regenbildung, speichern Kohlenstoff und produzieren Sauerstoff. Zudem ziehen die Bäume im Amazonasbecken Wasser aus der Erde und «schwitzen» es wie Dampf-«Geysire aus Holz» wieder aus. «20 Milliarden Tonnen Wasser werden so pro Tag transpiriert. Um eine Vorstellung zu bekommen: Das Wasservolumen, das aus dem Amazonas-Fluss täglich in den Atlantik fließt, liegt bei etwas mehr als 17 Milliarden Tonnen», erläutern die Forscher in der Studie.
Rolle und Bedeutung des Amazonas-Beckens als «grüne Lunge der Erde» sind eigentlich hinlänglich bekannt. Trotz der anerkannten Erfolge der brasilianischen Regierung beim Waldschutz schrumpft der Regenwald aber weiter, wenn auch mit verminderter Geschwindigkeit. Waren es 2004 noch 27.772 Quadratkilometer, die in Brasilien zerstört wurden, lag diese Quote 2011/2012 «nur» noch bei 4571 Quadratkilometern. «Brasilen verdient Anerkennung dafür, dass es diese Reduzierung erreicht hat», loben die Wissenschaftler in der Studie. Doch sie machen klar, dass «egal zu welchen Kosten» ein absoluter Stopp notwendig ist und mehr noch. Es muss wiederaufgeforstet werden.
Das ist auch eine multilaterale Aufgabe, denn die verbliebenen rund 6,9 Millionen Quadratkilometer Amazonas-Regenwald erstrecken sich über neun Länder: Bolivien, Brasilien, Kolumbien, Peru, Ecuador, Surinam, Venezuela, Guyana und Französisch-Guyana. «Es gibt eine grenzüberschreitende Waldzerstörung», gibt Cláudio Maretti, der für die Umweltstiftung
WWF die «Iniciativa Amazônia Viva» leitet, zu Bedenken. Oft werde die Abholzung durch unkoordinierte Aktionen der einzelnen Länder begünstigt. «Was wir brauchen ist eine integrierte Politik und abgestimmte Aktionen», so Maretti.
Ausdrücklich lobt er den Erfolg Brasiliens, die Abholzungsrate binnen zehn Jahren um 80 Prozent gedrückt zu haben. Damit sei in dem Zeitraum der weltweit bedeutendste Beitrag zur Reduzierung der CO2-Emissionen gelungen. Allerdings habe Brasilien nicht alles getan, was es hätte tun können. «Wir fordern «Zero Desamatamento» (Null-Abholzung) und das schon bis 2020. Das ist möglich und wirtschaftlich machbar», sagte Maretti der Nachrichtenagentur dpa.
Auch wenn die Umweltschutzbestimmungen in Brasilien hart sind, es gibt zu viele Schlupflöcher, die das illegale Abholzen und das Verschiffen wertvoller Hölzer nach Übersee ermöglichen. Die Abholzungsrate stieg 2012/2013 wieder um 29 Prozent auf 5.981 Quadratkilometer an. Die Umweltschutzorganisation
Greenpeace dokumentierte die Machenschaften der Holzmafia im Bundesstaat Pará, traditionell einer der Regionen mit der höchsten Waldzerstörungsrate.
Greenpeace-Aktivisten statteten die schweren Transport-Lkw heimlich mit GPS-Sendern aus und verfolgten deren illegale Fahrten zu den Sägewerken. Zur «Legalisierung» der Transporte in die USA oder in EU-Staaten dienen gefälschte Papiere, die in Brasilien nicht schwer zu bekommen sind. Oft werden laut Greenpeace auch Genehmigungen für legalen
Holzeinschlag nicht genutzt und stattdessen für illegale Holzlieferungen zweckentfremdet.
Zwar gibt es auch in der EU scharfe Gesetze, die illegalen Holzhandel ahnden. Doch sei da eben nur der «Erstinverkehrbringer» haftbar. Sollte das Holz also etwa auf dem Seeweg in den Niederlanden ankommen, dort aber nicht konfisziert werden, kann es auch auf dem deutschen Markt landen. Am Donnerstag war nach Greenpeace-Angaben ein Schiff mit illegaler Holzfracht aus Brasilien in Rotterdam angekommen. «Es bleibt abzuwarten, ob die Behörden tätig werden oder illegalen Holzhandel weiter als Bagatelle missachten», schrieb Greenpeace mit Blick auf die heiße Ware aus dem Amazonas. (dpa)