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06.07.2023 | 15:12 | Größte Landsäugetiere Europas 

Wisente-Artenschutzprojekt vor dem Aus - Runder Tisch sucht Lösung

Siegen - Für Deutschlands einzige freilebende Wisent-Herde sucht ein Runder Tisch auch nach dem angekündigten Aus für das einst gefeierte Artenschutzprojekt nach Perspektiven.

Wisente-Artenschutzprojekt
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Der Streit um Deutschlands einzige freilebende Wisent-Herde wird über die Landesgrenzen hinaus beobachtet. Das einst gefeierte Artenschutzprojekt steht vor dem Aus. Die Tiere verursachen weiter Schäden. Gibt es noch eine Lösung? (c) proplanta
Zu den Inhalten wurde Vertraulichkeit vereinbart, wie es auch beim nordrhein-westfälischen Umwelt- und Naturschutzministerium auf Anfrage hieß. An diesem Donnerstag komme die Runde - nach Gesprächen zuvor in kleinerer Besetzung - erstmals zusammen, teilte der Waldbauernverband NRW auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit.

«Bei einem weltweiten Bestand von nur 8.500 Wisenten haben wir eine große Verantwortung. Es wird international beobachtet, was hier abläuft», betonte Vorstandsmitglied Theo Josef Nagel. Er hatte das Projekt innerhalb einer Koordinierungsgruppe als Vertreter des Waldbauernverbands mit begleitet.

Blick zurück: Vor zehn Jahren war eine achtköpfige Herde dieser Wildrinder im Wittgensteiner Land im Rothaargebirge freigesetzt worden - auf Grundlage eines Vertrags unter anderem zwischen dem Trägerverein Wisent-Welt-Wittgenstein, dem Kreis Siegen-Wittgenstein und der Bezirksregierung Arnsberg. Wisente galten in Europa lange als fast ausgestorben. Das Projekt fand große Beachtung. Wisente sind die größten Landsäugetiere Europas.

Doch die Herde wanderte und verursachte große Schäden vor allem an den Buchen. Ein ausgewachsenes Tier frisst am Tag gut 50 Kilogramm Gräser, Baumrinden und Kräuter. Waldbauern klagten auf Schadenersatz. Zuletzt hatte ein Gericht (OLG Hamm) dem Trägerverein auferlegt, er müsse dafür sorgen, dass Schäden an den Bäumen verhindert werden.

Nagel kritisierte den Trägerverein, der Gerichtsurteile missachte. Obwohl klagenden Waldbauern Schadenersatz zuerkannt und zudem ein «Betretungsverbot» ausgesprochen worden sei, verursachten die Tiere weiter erhebliche Schäden auf privatem Gelände der Waldbesitzer. Der Trägerverein hatte auf dem Höhepunkt des Streits im Herbst 2022 die damals auf rund 25 Wisente angewachsene Herde für «herrenlos» erklärt. Das Projekt sei damit «abgeschlossen», die Rinder würden «in die Zuständigkeit des Landes NRW» fallen. Gemäß Artenschutzrecht seien die streng geschützten Wisente «damit auch von den Waldbauern (wieder) zu dulden», schrieb der Verein auf seiner Webseite. Aktuell wollte sich dort niemand äußern.

Die Kolosse streifen weiter umher. «Die Tiere ohne Ohrmarken einfach loszulassen, ist nicht in Ordnung», sagte Verbandsvorstand Nagel. «Die Herde umfasst jetzt rund 40 Tiere und hat sich geteilt: Eine Hälfte ist im Siegerland unterwegs, die andere im Hochsauerlandkreis.» Die Waldbauern hätten sich stets an Recht und Gesetz gehalten, die Nerven behalten bei allen Problemen, doch das Projekt in der bisherigen Form sei «totgeritten» und es brauche dringend eine Lösung.

Der Kreis hatte kurz nach dem Ausstieg des Trägervereins die Abwicklung des Projekts verkündet. Auch aus dem Düsseldorfer Naturschutzministerium war Kritik am Vorgehen des Wisent-Vereins gekommen. Damals hieß es: «Der einseitige Schritt des Trägervereins wirft vertragsrechtliche, artenschutzrechtliche und finanzielle Fragen auf.»

Der Runde Tisch wird nun moderiert von Ursula Heinen-Esser (CDU) und Johannes Remmel (Grüne), die früher das NRW-Umweltministerium geführt hatten. Der Auftrag lautet: «Perspektiven für das Projekt vorurteilsfrei erörtern beziehungsweise erarbeiten», wie ein Sprecher des Kreises Siegen-Wittgenstein erläutert. Infos zu Zwischenständen oder Diskussionsverläufen seien nicht vorgesehen. Immerhin hätten die Beteiligten vereinbart, in der Arbeitsphase untereinander keine Rechtsstreitigkeiten auszutragen.

Die Umweltorganisation WWF begrüßt nach eigenen Worten den Austausch der Akteure am Runden Tisch. Zudem forderte die Organisation, dass die Landesregierung mehr Verantwortung für den Schutz der bedrohten Tierart übernimmt. «Denn seit die Wisentherde herrenlos ist, steht sie unter dem strengen Schutz von EU- und Bundesrecht. Ein wohlhabendes Land wie die Bundesrepublik muss seinen Verpflichtungen aus dem europäischen Artenschutzrecht nachkommen», sagte Moritz Klose, WWF-Programmleiter Wildtiere in Deutschland und Europa.

Dem Waldbauernverband geht es nicht nur um Entschädigung für eigene Schäden, unterstrich Nagel. «Auch artenschutzrechtlich gesehen läuft es nicht zielführend.» So sollten etwa Bullen aus der Herde entnommen werden, Stichwort Inzucht. Für eine Kontrolle über den Bestand hält der Verband große Gatter für unverzichtbar. Und: «Wir stehen vor der gewaltigen Herausforderung der Wiederbewaldung. Wenn 40 Rinder täglich viele Kilo Jungpflanzen fressen, ist das ein Riesenproblem für den Wald.» Dieser habe wichtige Nutzungs-, Erholungs- und Klimaschutzfunktionen. Im Sauerland sei der Wald zudem von essenzieller Bedeutung für den Wasserhaushalt der Region.

Ein wissenschaftliches Gutachten hatte schon Ende 2021 betont, eine Fortführung sei nur mit einem großen internationalen Projektpartner möglich. Ein kleiner Verein könne die Aufgaben nicht stemmen. Dass es bereits am Donnerstag zu einer einvernehmlichen Lösung kommt, erwartete der Waldbauernverband nicht. Aus einer anderen Quelle hieß es vorsichtig, es gebe Hoffnung, dass der Prozess in einen Kompromiss münde. Offiziell soll die Runde ihre Arbeit im Herbst abschließen.
dpa/lnw
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