Zucker ist eines der selbstverständlichsten Lebensmittel in Deutschland. Dabei galt das «weiße Gold» in Europa noch bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts als ein teures Luxusgut.
Nachdem die weltweit erste Rübenfabrik 1801 in Schlesien eröffnet worden war, erkannten auch die Bauern zwischen Magdeburg und Hannover schnell, dass die «Königin des Ackers» auf ihrem fruchtbaren Lössboden hohe Gewinne bringen könnte. 19 Landwirte schlossen sich 1838 zusammen und gründeten die Zuckerfabrik Klein Wanzleben - eine der Keimzellen der
Nordzucker AG. 175 Jahre später ist der Braunschweiger Konzern zweitgrößter Zuckerproduzent Europas.
Damals waren die norddeutschen Bauern früh am Start: Rund 30 Jahre später setzte in Europa ein wahrer Gründungsboom ein, 1024 Fabriken wurden gebaut. «Allein in den deutschen Anbaugebieten wurden 304 Fabriken gegründet», sagt Nordzucker-Sprecherin Tanja Schneider-Diehl. In den meisten Fällen handelte es sich wie in Klein Wanzleben um ein ganz spezielles Geschäftsmodell der Landwirte, die zum einen die Rüben liefern und gleichzeitig das Kapital für die Fabriken stellen und ihren Gewinn dann über die Dividenden ihrer Aktien bekommen.
Die beiden Weltkriege und ihre Folgen, sowie später wirtschaftliche Zwänge führten seit den 1950er Jahren zu immer mehr Zusammenlegungen von kleinen Zuckerfabriken. In den 1980er Jahren verarbeiteten in Norddeutschland nur noch ein gutes Dutzend Werke Rüben zu Zucker, sie waren in den drei Dachunternehmen Zuckerverbund Nord AG (ZVN/Braunschweig), Zucker-Aktien-Gesellschaft Uelzen-Braunschweig (ZAG/Uelzen) und die Union-Zucker Südhannover GmbH (Nordstemmen) vereint. Diese drei Gesellschaften fusionierten dann nach jahrelangem Gerangel 2003 zur Nordzucker AG.
Dass Zucker heute eine alltägliche Ware ist, verdanken die Mitteleuropäer dem Chemiker Andreas Sigismund Marggraf und Friedrich dem Großen. Der Preußenkönig bestand angesichts knapper Staatskassen darauf, die Einfuhr von Kolonialwaren einzuschränken. Marggraf untersuchte daher systematisch die Inhaltstoffe einheimischer Pflanzen auf ihren Zuckergehalt. 1747 fand der Chemiker der Berliner Akademie der Wissenschaften in der Runkelrübe «einen wahren, vollkommenen Zucker, der dem gemeinen, aus Zuckerrohr gefertigten Zucker vollkommen ähnlich war».
Inzwischen hat die Nordzucker AG 18 Standorte in ganz Europa und beschäftigt 3.300 Mitarbeiter. Rund 15.000 Landwirte, etwa die Hälfte davon aus Norddeutschland, liefern die Hackfrüchte an die Fabriken.
Den Landwirten gehört das Unternehmen nach wie vor weitgehend, die meisten Aktien sind in ihren Händen. Sie werden vom Dachverband Norddeutscher Zuckerrübenanbauer (DNZ) vertreten. «Es gab eine Menge Hochs und Tiefs, unterm Strich ist die Geschichte der Zuckerindustrie aber eine Erfolgstory», sagte Heinrich-Hubertus Helmke vom DNZ.
Für die Zukunft wird der Wegfall der Zuckermarktordnung eine Herausforderung für die Branche sein. Sie hat den Import des günstigeren Rohrzuckers geregelt und wirkte somit preisregulierend auf den europäischen Zuckermarkt, soll aber 2017 abgeschafft werden. Dann muss sich die europäische Zuckerindustrie auf dem Weltmarkt behaupten. «Wir investieren Jahr für Jahr 80 Millionen Euro in unsere Anlagen, um die Verarbeitung zu optimieren und so unsere Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern», sagte Nordzucker-Chef Hartwig Fuchs.
Helmke, als Vertreter der Landwirte, sieht gelassen in die Zukunft: «Mir ist nicht bange, die Nordzucker ist gut aufgestellt.» Die Kunden, insbesondere die Lebensmittel- und Getränkeindustrie, bräuchten nicht nur Zucker, sondern auch verlässliche Lieferanten. (dpa)