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16.10.2007 | 16:17 | Berliner Gespräche 

Chancen und Risiken der Bioenergie im Blick

Berlin - Bioenergie in Europa - Boom auf Kosten der Nahrungssicherheit in der Dritten Welt?

Mais
(c) proplanta
Dieses Thema diskutierten namhafte Experten unter der Moderation von Dieter Nürnberger (DLF) mit über 160 Teilnehmern beim 10. Berliner Gespräch der Fördergemeinschaft Nachhaltige Landwirtschaft (FNL) am 15. Oktober in der Bayerischen Landesvertretung in Berlin.

Im Mittelpunkt der Diskussion standen insbesondere die Chancen und Risiken der zunehmenden Nutzung von Bioenergie sowohl im Bezug auf Industrie- als auch Entwicklungsländer. Nach Auffassung der FNL, die zu dem Thema ein eigenes Positionspapier vorgelegt hat, kommt es zunächst darauf an, auf politischer Ebene eine umfassende Strategie für die nachhaltige Energieversorgung der Zukunft zu entwickeln. Die Bereitstellung von Biomasse zur energetischen Nutzung ist dabei zweifellos ein wichtiges Element einer nachhaltigen Entwicklung der Landwirtschaft.

In seinem Grußwort betonte Gerd Sonnleitner, Präsident des Deutschen Bauernverbandes und Vorsitzender der FNL, dass der Komplexität dieses globalen Themas in einer besonnenen und sachlichen Diskussion Rechnung getragen werden müsse. Sonnleitner betonte die Notwendigkeit internationaler Forschungsarbeit. "Wir dürfen als großer Industriestandort nicht vergessen, dass Deutschland auch auf dem Gebiet der Bioenergie eine Technologieführerschaft innehat. Wir müssen aktiv dafür Sorge tragen, dass international verbindliche und angemessene Standards für die Produktion von Bioenergie verankert werden", so Sonnleitner.

Gotthard Dobmeier, zuständig für Umweltfragen bei der Deutschen Bischofskonferenz, hob hervor, dass bei der Nutzung von Bioenergie ein "verantwortlicher und haushalterischer Umgang" mit den Ressourcen erforderlich ist. "Da geeignete Flächen in Europa nur begrenzt verfügbar sind, wird sich die Konkurrenzsituation zwischen der Produktion von Energiepflanzen und dem Anbau von Nahrungsmitteln weiter zuspitzen", betonte Dobmeier. "Die Leidtragenden dieser Entwicklung werden die Schwellenländer und Länder der Dritten Welt sein", so Dobmeier. Daher müsse der Einsatz von Bioenergie immer weltweit im Zusammenhang mit einer nachhaltigen Land- und Energiewirtschaft gesehen werden.

Als "ethisch fragwürdig" bezeichnete er dabei insbesondere den Import von Futtermitteln aus Entwicklungsländern durch Industriestaaten, wenn diese auf eigenen Flächen zunehmend Energiepflanzen anbauten. Dies verschärfe die Verteilungsgerechtigkeiten zwischen Arm und Reich. Dobmeier forderte weltweit international anerkannte Sozial- und Umweltstandards für die Bioenergiegewinnung. Die Nutzung von Bioenergie sei nur dann zukunftsfähig, so der Experte, wenn sie mit einer Steigerung der Energieeffizienz und einer Senkung des Energieverbrauchs einhergehe.

Als "nahezu absurd" bezeichnete hingegen Helmut Lamp, Vorsitzender des Bundesverbandes BioEnergie (BBE), die Diskussion über die  Nutzungskonkurrenz von Nahrungsmittelproduktion und Energiepflanzenanbau. Seiner Ansicht nach gibt es weltweit noch erhebliches Potenzial an Agrarflächen, das für den Energiepflanzenanbau erschlossen werden kann. Allein in Indien stünden zum Beispiel rund 30 Millionen Hektar für den Anbau von Energiepflanzen zur Verfügung, die derzeit noch brachlägen.

Außerdem sei, so Lamp, die Ergänzung des Anbauspektrums in Europa durch Energiepflanzen "eine Riesenchance" für die Kulturlandschaft. Zudem seien mit der Bioenergie weitere Vorteile verbunden, wie zum Beispiel die Schaffung von Arbeitplätzen, ein hohes Innovationspotenzial, die Erschließung von Exportchancen und schließlich die Wertschöpfung in der Region. Im Zentrum stehe allerdings die Bewältigung der Zukunftsherausforderungen Ressourcenschonung und insbesondere Klimaschutz.

Gerd Sonnleitner pflichtete dieser Einschätzung bei und betonte, dass die Erzeugung von Bioenergie weltweit einer Nachhaltigkeitsbewertung bedürfe. "In diese muss die Internationale Gerechtigkeit ebenso einfließen wie das CO2-Minderungspotenzial bzw. der jeweils pro Hektar erzielbare Nettoenergiegewinn. Die Grundversorgung, die Erhaltung sozialer Strukturen, der Schutz der Landschaft und der Natur müssen dabei ebenso berücksichtigt werden wie die Existenzsicherung der Landwirte", so Sonnleitner.

"Der Agrar-Boom nützt den Entwicklungsländern und den 850 Millionen Hungernden der Welt derzeit kaum - eher im Gegenteil." Ralf Südhoff, Pressesprecher des UN World Food Programme (WFP), prognostizierte in der Diskussion einen eher steigenden Druck auf die Entwicklungsländer - durch eine Reihe von Trends. "Zum einen werden laut UN-Klimabericht die Erträge der Landwirtschaft in Afrika durch den Klimawandel bis 2020 um bis zu 50 Prozent sinken", sagte Südhoff. Zum anderen führe die "globale Biosprit-Expansion" zu einer immer engeren strukturellen Verbindung von Nahrungs- und Energiepreisen. Hohe Energiepreise dürften zudem die Konkurrenz um Agrarflächen, Wasser und erzeugte Produkte weiter verschärfen.

"Durch diese Situation sind die Preise vieler Güter auf den Weltmärkten explosionsartig gestiegen. Insbesondere Grundnahrungsmittel wie Weizen, Reis und Mais sind in der jüngsten Vergangenheit um mehr als 50 Prozent teurer geworden", so Südhoff, der eine "Entschleunigung" dieser Entwicklung anmahnte. Diese Preissteigerung stelle die Staaten selbst vor ganz neue Probleme, denn gerade die ärmsten Entwicklungsländer seien zumeist große Importeure dieser Nahrungsmittel, so Südhoff.

Die Berliner Gespräche der FNL richten sich an Vertreter von Politik und Verwaltung, an die Agrarwirtschaft, an Verbände, Organisationen und gesellschaftliche Gruppen. Sie sind ein Forum für den Austausch zu gesellschaftlich bedeutsamen Themen. Ziel ist, auf Problembereiche aufmerksam zu machen, gleichzeitig aber auch im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung nach sinnvollen und konsensfähigen Lösungen zu suchen. (ots)
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