«Heute hat doch kaum jemand noch Zeit, an einem Wochentag einen aufwendigen Braten zuzubereiten», sagt Züchterin Brunhilde Mödder in Bergheim bei Köln. Daher müssen nur 30 der 100 Gänse im Stall der Mödders schon in diesen Tagen dran glauben, wie es eigentlich Tradition ist. Immer mehr Braten werden erst zu Weihnachten in die Röhre geschoben. So kann die Mehrzahl der Gänse noch wochenlang über die Weide wackeln - statt schon jetzt gefüllt mit Äpfeln, Gewürz-Beifuß oder Brot auf dem Teller neben Maronen zu landen.
Ein Gänsebraten gehörte einst zum Martinstag wie die Laternen. Denn an diesem Tag beginnt in der katholischen Tradition eine 40- tägige vorweihnachtliche Fastenzeit. Warum der Vogel im Ofen? Am Martinstag wurden einst ausstehende Zahlungen mit Gänsen beglichen, die als ausgewachsen und damit schlachtreif galten. «Die Tradition, Gänsebraten selbst zuzubereiten, gibt es kaum noch», sagt Landwirtin Mödder. Die Zubereitung ist zeitintensiv. Fünf Stunden lang muss das Fleisch garen. «Die Mehrheit meiner Kunden sagt sich auch: Wenn Gänsebraten auf den Tisch kommt, dann nur noch an besonderen Festtagen wie Weihnachten.»
Das bestätigen die Zahlen der Zentralen Markt- und
Preisberichtstelle (
ZMP) in Bonn. «Die Martinsgans ist eigentlich eine Weihnachtsgans», so Sprecher Thomas Els. Nur 22 Prozent des bundesweit verkauften Gänsefleischs entfiel 2007 auf den November. Zwei Drittel wurden im Dezember gekauft. Nur noch jede achte Gans auf deutschen Tellern kommt auch aus heimischen Landen. Denn die Aufzucht in Freilandhaltung ist aufwendig. Auf einer Weide vor dem Gutshof Mödder wachsen die 100 Tiere sieben Monate lang heran. Immer Mitte Mai kommen die Küken auf die Weide und bleiben dort bis zum Schlachten im November. Dann wiegen die Tiere vier bis fünf Kilo. Für jedes Kilo Vogel zahlt der Kunde bei Bauer Raimund Mödder 9,50 Euro. Produkte aus Osteuropa oder Frankreich kosten im Supermarkt nur fünf bis sechs Euro pro Kilo.
«Diese Tiere stammen aus der Käfighaltung», prangert Bio-Landwirt Mödder an. Außerdem sei Supermarkt-Ware oft zu fett und weniger schmackhaft. Doch der Preisdruck macht den Bauern zu schaffen. Als Folge des Preiskampfes und der sinkenden Nachfrage nach frischen Produkten gibt es hierzulande immer weniger Zuchtbetriebe für Gänse. Bei der
Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen zum Beispiel sind derzeit weniger als 1.300 Gänsehalter registriert - darunter nur rund 150 Zuchtbetriebe. «Von diesen 150 kann aber fast keiner allein davon leben», sagt der Sprecher der Landwirtschaftskammer, Bernhard Rüb.
Aber nicht jeder bricht mit der Tradition. «Manche ändern ihre Gewohnheiten zum Glück nie», sagt Züchterin Mödder und geht ans Telefon: «Frau Fischer, Sie bekommen natürlich Ihre Gans wie immer zum 11.11.» (dpa)