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15.08.2009 | 13:48 | Panorama  

Heiß und fettig: die Currywurst wird (mindestens) 60

Berlin - Herbert Grönemeyer hat ihr schon vor einem Vierteljahrhundert in einem Lied gehuldigt.

Grillwürstchen
(c) proplanta
So richtig berühmt wird sie nun aber erst mit 60: die Currywurst. Zum runden Geburtstag der runden Häppchen mit roter Soße eröffnet am 15. August in Berlin das «Deutsche Currywurstmuseum». Das Haus legt Wert darauf, dass die Currywurst eine Berliner Erfindung aus dem Sommer 1949 ist. Hamburger Ansprüche? Nur eine Legende. Ruhrgebiet? Kam später. Außerdem ist das alles Vergangenheit. Für die Gegenwart billigt das private Museum der fleischigen Jubilarin eine grandiose Erfolgsstory zu: Die Currywurst, heißt es im Internet-Auftritt, sei ein Stück Kultur- und Gesellschaftsgeschichte sowie ein «gewaltiger Wirtschaftsfaktor».

Die erste Begegnung mit einer Berliner Currywurst kann dennoch zu Irritationen führen. Am Kurfürstendamm machen japanische Touristen alles genau so, wie es in ihrem dicken Berlin-Führer steht. Sie reihen sich artig in die Schlange vor Imbiss «Ku 195» ein, der auf dem Kult-Buden-Index der Hauptstadt etwa gleichauf mit «Konnopke's» im Prenzlauer Berg und «Curry 36» in Kreuzberg rangiert. Doch dann wird den schmächtigen Gästen die gepriesene Spezialität in einer derben Pappschale gereicht, zugematscht mit braun-roter Soße.

«Currywurst?», fragt ein Japaner zur Sicherheit noch einmal zaghaft nach. «Wasn' sonst?», schallt es in Berliner Schnauze von der Theke zurück. Die Gäste aus Sushi-Land ziehen sich leicht verstört an einen Stehtisch zurück und beobachten, wie ihre Nachbarn Sekt zur Wurst ordern. Was für eine seltsame Stadt.

800 Millionen Currywürste verdrücken die Deutschen im Jahr, heißt es im neuen Museum. Zweifel an der Spezialität sind in der Hauptstadt nicht erwünscht. Längst hat sie die Welt der Imbissbuden, die in der TV-Dauerserie «Drei Damen vom Grill» ihr Denkmal bekam, verlassen. Die Wurst erhielt höhere kulinarische Weihen. Im Luxushotel Adlon steht sie manchmal auf der Speisekarte - mit Champagner. Bei Berlinale-Partys gilt sie als «hippes» Fingerfood, und beim Bundespresseball genießt sie nach Mitternacht Kultstatus. Auf dem politischen Parkett outete sich Alt-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) gern als Currywurst-Liebhaber. Heute wird die Wurst sogar in Kundus, Afghanistan, serviert, zubereitet von einem ehemaligen Bundeswehr- Koch. Soviel zum Thema Internationalität.

An diese Karriere der Currywurst mag Herta Heuwer noch nicht gedacht haben, als sie am 4. September 1949 an ihrem Imbissstand in Berlin-Charlottenburg Tomatenmark, Worcestershiresoße, Currypulver und andere Gewürze zusammenmischte und über eine gebratene, kleingeschnittene Brühwurst goss. Für überzeugte Berliner ist das die wahre Geburtsstunde der Currywurst. Sicher ist aber nur, dass Heuwer 10 Jahre später ihre Soße unter dem Namen «Chillup», Wortmischung aus «Chilli» und Ketchup, beim Patentamt in München anmeldete. Das Rezept nahm sie 1999 mit ins Grab.

Eine nette Geschichte. Nur leider hat Hamburg auch eine. Schriftsteller Uwe Timm schrieb die Entdeckung der Currywurst Lena Brücker vom Großneumarkt zu - für das Jahr 1947. Dass es dazu nun einen brandneuen Film mit Schauspielerin Barbara Sukowa gibt, bringt die Hamburger Version in einen leichten Vorteil. Wahr an den Geschichten ist vielleicht nur, dass die Currywurst ein deutsches Nachkriegsphänomen war. Sie mag eine Reaktion auf die Esskultur der US-Besatzer gewesen sein. Die aßen gern Steaks mit Ketchup und Hotdogs. Brühwurst mit einer Soße auf Tomatenmark-Basis als Imitation ist in der Not und Improvisationskunst der späten 40er Jahre durchaus vorstellbar - frühes Fast Food für die «kleinen Leute».

Eng verbunden ist die Currywurst auch mit dem Ruhrgebiet. Niemand hat diese heiß-fettige Liebe so schön im passenden Jargon festgehalten wie Herbert Grönemeyer 1982 auf seinem Album «Total egal»: «Kommse vonne Schicht, wat schönret gibt et nich als wie Currywurst.» An Imbissbuden gilt bis heute die Ansage: Curry mit Pommes Schranke. Was soviel heißt wie Currywurst mit Pommes frites, Ketchup und Mayonnaise, süffisant auch Mantaplatte oder Schimanski- Teller genannt.

Denn multimedial inszenierte sich die Currywurst zuerst im Ruhrpott-«Tatort» samt Horst Schimanski (Götz George). Nun pieksen sie die Kölner Kommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) regelmäßig an der Deutzer Rheinbrücke auf die Plastikgabel. Weiter südlich hatte der Snack weniger Chancen. Nach den Frankfurter Würstchen im Rhein-Main-Gebiet als erstem Bollwerk wirkt der Weißwurst-Äquator als natürliche Grenze. Der Osten setzt die echten Thüringer und Halberstädter Würstchen dagegen.

In Berlin hat sich die Currywurst an Hunderten Imbissbuden gegen den Döner behauptet. Auch wenn Ernährungsexperten die Portionen als «zu fettig, zu salzig und zu süß» brandmarken, wird auch das neue Bio-Fast-Food kein ernst zu nehmender Gegner für sie werden. Das neue Museum nahe dem Checkpoint Charlie hat natürlich auch eine Probierstube - Spezialität: Currywurst mit Blattgold. (dpa)
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