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23.04.2010 | 09:09 | Umweltforschung Schweiz  

Immer weniger Biodiversität

Zürich - Im Rahmen eines großen Forschungsprojekts haben über 80 Wissenschaftlerinnen und Fachexperten gezeigt: Die Biodiversität in der Schweiz ist nach wie vor bedroht. Das Ziel, bis 2010 den Verlust zu stoppen, wurde klar nicht erreicht.

Immer weniger Biodiversität

Die Biodiversität in der Schweiz nimmt weiterhin ab, weil zu wenig für ihre Erhaltung und Förderung unternommen wird. Das ist die Schlussfolgerung einer großen Tagung zum Abschluss eines Forschungsprojekts des Forums Biodi­versität Schweiz, dessen Ergebnisse jetzt als Buch veröffentlicht wurden. Gastgeberin der Tagung war die landwirtschaftliche Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART in Zürich.


Zwischen Berg und Tal

Die Biodiversität umfasst ganz unterschiedliche Bereiche der belebten Natur (siehe unten „Was ist Biodiversität?"). Deshalb haben die über 80 am Projekt beteiligten Wis­sen­schaftlerinnen und Fachexperten für ihre Analysen sowohl Daten zur Verbreitung von Arten einbezogen als auch zur Artenvielfalt, zur Ausdehnung und Qualität von Lebensräumen und zur genetischen Vielfalt. Das Ergebnis: Insgesamt nahm die Biodiversität zwischen 1900 und 1990 in der ganzen Schweiz rasant ab. „Allerdings verlief diese Entwicklung regional unterschiedlich", sagt Thomas Walter, Mitautor des Buches und Biodiversitäts-Experte bei ART. Während in den Tal-Lagen die Vielfalt auf ein sehr tiefes Niveau sank, verlief der Rückgang in den Berggebieten langsamer. Dort blieben denn auch seltene Arten und Lebensräume besser erhalten.

Die Hauptgründe für den Rückgang der Biodiversität bis 1990 liegen in der Produk­tions­­steigerung der Landwirtschaft mit der damit verbundenen Nutzungsintensivierung, der Waldbewirtschaftung mit der gezielten Förderung von wenigen Baumarten und der Hochwaldbewirtschaftung, der Ausdehnung des Siedlungsgebietes und der Transport- und Verkehrsinfrastruktur sowie der hydroelektrischen Nutzung und der Verschmutzung der Gewässer.


Einzelne Lichtblicke

Seit den 1980er und 1990er Jahren laufen vermehrt Anstrengungen, um den Rückgang der Biodiversität zu stoppen. Mit den Schutzverordnungen für Moore, Auen und Trockenwiesen und -weiden konnten verbleibende Reste dieser wertvollen Lebensräume gesichert werden. Ferner wurde in der Landwirtschaft der ökologische Leistungsnachweis mit der Erhaltung und Förderung von ökologischen Ausgleichsflächen eingeführt sowie erfolgreiche Programme zur Erhaltung der Vielfalt von Kulturpflanzensorten und Nutztierrassen lanciert.

Auch in der Waldwirtschaft ist ein klarer Trend zu häufigerer natürlicher Waldverjüngung festzustellen. Es wurden Waldreservate eingerichtet und Maßnahmen zur Förderung lichter Wälder umgesetzt. Positiv wirken sich auch Kläranlagen und die Renaturierung von Gewässern auf die Biodiversität aus. Artenförderungsprojekte helfen, die letzten Populationen seltener Pflanzen und Tiere vor dem Aussterben zu bewahren. All diese Bemühungen trugen dazu bei, dass der Rückgang der Biodiversität in den letzten 20 Jahren mancherorts gebremst werden konnte und in Einzelfällen Verbesserungen erreicht wurden.


Ziel verfehlt

Nichtsdestotrotz verfehlt die Schweiz das Ziel, den Verlust der biologischen Vielfalt bis zum Jahr 2010 zu stoppen, obwohl sie sich dazu im Mai 2003 an der 5. Ministerkonferenz „Umwelt für Europa" in Kiew zusammen mit anderen europäischen Nationen verpflichtet hat. Im Wald etwa konnte gerade bei den artenreichsten Gruppen wie den Insekten, Pilzen und Flechten der Rückgang noch nicht aufgehalten werden. Denn trotz Förderung der multifunktionalen Waldwirtschaft und trotz Zunahme der Waldfläche gibt es immer noch zuwenig lichten Wald und nicht genügend Tot- und Altholz.

Um die Gewässer steht es nicht besser. Nach wie vor ist jedes sechste Fließgewässer im Mittelland eingedolt und rund hunderttausend Hindernisse fragmentieren Flüsse und Bäche. Zwar zeigen sich gerade bei der Restaurierung von Feuchtgebieten wie Mooren lokal erste Erfolge, jedoch kompensieren sie nur einen Bruchteil der Verluste der letzten zweihundert Jahre. Darum sinkt ihre Qualität als Folge von aktiven Drainagesystemen und Nährstoffeinträgen nach wie vor weiter.

Ebenso nahmen die Fläche und die Qualität der Trockenwiesen und -weiden in den letzten 20 Jahren weiter ab, unter anderem weil der Siedlungsbau unvermindert anhält. Der mit dem Siedlungsbau verbundene Kulturlandverlust übt Druck auf die landwirtschaftliche Produktion aus, was den Rückgang der Biodiversität beschleunigt; ein Prozess, der zunehmend auch die Berggebiete betrifft.

Neben den bisherigen Gefahren dürften in Zukunft invasive Arten, die Zunahme der Tourismus- und Freizeitaktivitäten sowie der Klimawandel der Biodiversität zusetzen.


Verlust hat Konsequenzen

Wenn unsere Lebensräume und Landschaften immer stärker verarmen und vertraute Arten verschwinden, betrifft dies nicht nur den Naturschutz. Denn der Mensch profitiert auf vielfältige Weise von den Arten und von funktionierenden Ökosystemen. „Es ist zu befürchten, dass die Leistungen der Ökosysteme wie die Abpufferung von Klimaänderungen, ihre Funktion als Kohlenstoff-Speicher, die Reinigung des Wassers und die Erholungsfunktion mit einer Biodiversität auf solch tiefem Niveau langfristig nicht mehr garantiert sind", erklärt Daniela Pauli, Geschäftsleiterin des Forums Biodiversität Schweiz. Schon allein im Sinne des Vorsorgeprinzips sollte die Schweiz die großflächige Erhaltung, Aufwertung und Neuschaffung von wertvollen Lebensräumen an die Hand nehmen. Das kann jedoch nur gelingen, wenn alle Gesellschafts- und Politikbereiche ihre Verantwortung für die Bio­diversität wahrnehmen und aufbauend auf den bestehenden positiven Beispielen Maßnahmen verstärkt und effektiver umsetzen. Die nationale Biodiversitäts-Strategie, die zurzeit erarbeitet wird, muss diesen Aufbruch initiieren.


Was ist Biodiversität?

Die Biodiversität ist die Vielfalt des Lebens. Es werden folgende hierarchische Stufen unterschieden:

  • Vielfalt der Ökosysteme (z.B. Acker, Bach, Wald, Boden, Moor)
  • Vielfalt der Arten (Tiere, Pflanzen, Pilze, Mikroorganismen)
  • Vielfalt der Gene (Genetische Unterschiede innerhalb von Arten, Unterschiede zwischen den Rassen und Sorten von wildlebenden und domestizierten Arten)


Die wichtigsten Handlungsempfehlungen

  • Größere und qualitativ bessere Biodiversitäts-Förderflächen bereitstellen, die geeignet im Raum verteilt sind.
  • Die Qualität der ökologischen Ausgleichsflächen in der Landwirtschaft verbessern. Bessere Abstimmung der quantitativen und qualitativen Ziele auf die regionalen Aspekte der Biodiversität. Erhaltung und Förderung der Vielfalt an Nutztierrassen und Kulturpflanzensorten.
  • Waldreservate sollen deutlich mehr als die vorgesehenen zehn Prozent der Waldfläche einnehmen. Über die ganze Waldfläche verteilt, braucht es lichte Bestände, eine hohe Strukturvielfalt sowie deutlich mehr Totholz. Beibehalten der im Rahmen des naturnahen Waldbaus erreichten Standards.
  • Die Gewässer des Mittellandes ökologisch weiter aufwerten.
    •Die Siedlungsausdehnung markant reduzieren und parallel dazu die Bio­diversität im bebauten Gebiet fördern.
  • Die Biodiversität als unsere Lebensgrundlage anerkennen und in Wert setzen.
  • Aspekte der Biodiversität im Alltag und in allen Sektoren vermehrt berücksichtigen.


Forum Biodiversität

Das Forum Biodiversität der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) setzt sich seit zehn Jahren für die Erforschung der Biodiversität ein und pflegt den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Verwaltung, Politik und Gesellschaft (www.biodiversity.ch). Das Projekt „Wandel der Biodiversität in der Schweiz seit 1900" wurde von der Bristol-Stiftung, dem Bundesamt für Umwelt und dem Bundesamt für Landwirtschaft unterstützt. (art)

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