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21.06.2023 | 12:40 | Haushaltsentwurf 

Karlsruhe prüft Haushalt: Darf Bund Corona-Geld fürs Klima nutzen?

Karlsruhe/Berlin - Es war der erste Haushaltsentwurf des damals ganz neuen Finanzministers Christian Lindner (FDP) - und er landete gleich vor dem höchsten deutschen Gericht.

Corona-Geld
Darf der Staat in Notzeiten finanziell aus dem Vollen schöpfen - oder setzt die Verfassung dem Grenzen? Eine Klage gegen eine Entscheidung zum Bundeshaushalt im Kampf gegen die Klimakrise ist in Karlsruhe gelandet. Ein Thema dabei: ob die Schuldenbremse eine Spaßbremse ist. (c) proplanta
Am Mittwoch hat sich das Bundesverfassungsgericht mit dem Nachtragshaushalt von 2021 befasst. Das Urteil dazu kommt erst später, könnte dann aber die Etatplanung der Bundesregierung kräftig durcheinanderwirbeln. Es geht um 60 Milliarden Euro, die für den Klimaschutz eingeplant sind.

Was ist das für Geld?

Der Bundestag hat im Januar 2022 nachträglich den Haushalt des Vorjahres geändert. So wurden 60 Milliarden Euro umgeschichtet, die in der Corona-Krise zur Pandemiebekämpfung als Kredite genehmigt waren, aber nicht gebraucht wurden. Das Geld wurde in den sogenannten Klima- und Transformationsfonds geschoben, aus dem die Regierung langfristige Investitionen für mehr Klimaschutz bezahlt. Es bekam eine Zweckbindung: Die Mittel dürfen etwa für CO2-neutrale Mobilität und zur Förderung energieeffizienter Gebäude genutzt werden. Bau und Verkehr gehören zu den größten Sorgenkindern beim Klimaschutz.

Wer hat geklagt - und mit welchen Argumenten?

Die Mitglieder der oppositionellen Unionsfraktion zogen vor Gericht. Sie kritisierten, die Bundesregierung lade sich auf Vorrat die Taschen voller Geld und umgehe so bewusst die Schuldenbremse im Grundgesetz. Denn ohne das Geld aus dem Sonderfonds müssten für die Klimaprojekte womöglich an anderer Stelle viele Milliarden eingespart werden, da man keine neuen Kredite aufnehmen darf. Fraktionsvizechef Mathias Middelberg sagte in Karlsruhe, eine Haushaltswirtschaft, mit der rückwirkend Etats geändert und Zwecke abgeändert werden, sollte verhindert werden. Die Union sei der Meinung, «dass die Schuldenbremse eine wirklich starke Bremswirkung haben muss».

Auch der Bundesrechnungshof hatte die Umschichtung schon früher als «verfassungsrechtlich zweifelhaft» bezeichnet. Das Geld sei ursprünglich gezielt zur Bekämpfung der Corona-Pandemie genehmigt worden. Nun werde nicht schlüssig begründet, warum es für den Klimaschutz zweckentfremdet werde. Der Klimawandel müsse mit den normalen Haushaltsregeln bewältigt werden, argumentierten die Prüfer.

Wie rechtfertigt Bundesregierung die Umwidmung?

Der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Werner Gatzer, sprach am Mittwoch von einer außergewöhnlichen Notsituation. Die Schuldenbremse sei mitsamt dieser Ausnahme konzipiert worden. Nach der coronabedingten Delle könne die konjunkturelle Entwicklung auch mit Hilfe von Investitionen in den Klimaschutz angekurbelt werden. Als Bevollmächtigter der Bundesregierung sagte Joachim Wieland, ein Sondervermögen gebe der Wirtschaft zudem das Signal, dass das Geld sicher zur Verfügung steht - unabhängig von der politischen Stimmung.

Sein Kollege Alexander Thiele sagte, die Schuldenbremse sei in gewisserweise eine Spaßbremse. «Und das soll sie auch sein.» Damit sei aber nichts über Ausnahmen gesagt. Er warb dafür, nicht allzu pauschale und enge Maßstäbe an diese Ausnahmen zu legen. Man wisse nicht, welche Krisen in Zukunft kommen und was man womöglich brauche.

Gab es so eine Umschichtung schonmal?

Ja, und daran war ausgerechnet die Union selbst beteiligt. Im Jahr 2020 verschob die schwarz-rote Bundesregierung 28 Milliarden Euro ebenfalls in den Klimafonds. «Genau dasselbe haben wir in der letzten Koalition auch gemacht», argumentierte der SPD-Haushälter Dennis Rohde in der Debatte zum Nachtragshaushalt. Damals habe die Union von einer «Vitaminspritze für die Zukunft unseres Landes» gesprochen.

Wann wird ein Urteil im aktuellen Fall gesprochen?

Das steht noch nicht fest. Meist vergehen bis dahin mehrere Monate.

War denn schon eine Tendenz des Senats erkennbar?

Nicht wirklich. Die Richterinnen und Richter haben Vertretern beider Seiten auffällig viele Fragen gestellt. Dabei ging es zum Beispiel um Aspekte des Staatsschuldenrechts, zeitliche Fristen bei der Etatplanung, die Verhältnismäßigkeit bei der Aufnahme von Krediten und Transparenz. Richterin Sibylle Kessal-Wulf etwa fragte als Berichterstatterin schon einleitend unter anderem, ob es für Sondervermögen - auch Nebenhaushalte genannt - ein eigenes Regime geben könne und dürfe. Die Senatsmitglieder formulierten einige Fragen sogar in ähnlicher Weise in beide Richtungen. (Az. 2 BvF 1/22)

Welche Folgen könnte das Urteil haben?

Bei einer sogenannten abstrakten Normenkontrolle, um die es hier geht, überprüfen die Richterinnen und Richter, ob eine Regelung mit dem Grundgesetz beziehungsweise mit sonstigem Bundesrecht vereinbar ist. Falls dem nicht so ist, erklärt das Bundesverfassungsgericht die Rechtsnorm für nichtig oder unvereinbar mit dem Grundgesetz.

Dann wäre die Übertragung der Kreditermächtigungen ungültig. Wie die Politik dann damit umgeht, bliebe voraussichtlich ihr überlassen. Fest steht, dass Lindner das Geld nicht einfach auf der hohen Kante hat. Die Ausgaben aus dem Klima- und Transformationsfonds sind schon jetzt eng gestrickt - und es kommen immer mehr Ideen auf, was daraus bezahlt werden könnte. So etwa auch Fördermittel für den Austausch alter Öl- und Gasheizungen gegen klimafreundlichere Modelle.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte am Mittwoch im Bundestag: «Wenn diese Klage erfolgreich ist, das würde Deutschland wirklich wirtschaftspolitisch hart, hart treffen. Wahrscheinlich so hart, dass wir das nicht bestehen werden.» Es würde bedeuten, «dass uns der Fußboden weggezogen wird, auf dem wir versuchen, die wirtschaftliche Situation in Deutschland zu stabilisieren».
dpa
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