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05.06.2022 | 09:01 | Ukraine-Krieg 

Scharfe Kritik an Russland wegen Aneignung ukrainischer Agrarprodukte

Brüssel - Der Europäische Rat hat die Zerstörung und die „rechtswidrige Aneignung der landwirtschaftlichen Erzeugung in der Ukraine durch Russland“ nachdrücklich verurteilt.

Ukraine-Krieg
EU-Staats- und Regierungschefs befassen sich mit den Folgen der russischen Aggression auf die weltweite Ernährungsunsicherheit. (c) proplanta
In diesem Zusammenhang beklagen die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten in ihren Schlussfolgerungen zu dem am Dienstag (31.5.) zu Ende gegangenen Sondertreffen in Brüssel auch die Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine „auf die weltweite Ernährungssicherheit und die Erschwinglichkeit von Lebensmitteln“.

Die Regierung in Moskau wird aufgefordert, ihre Angriffe auf die Verkehrsinfrastruktur in der Ukraine zu beenden, die Blockade der ukrainischen Schwarzmeerhäfen aufzuheben und die Ausfuhr von Lebensmitteln, insbesondere aus Odessa, zuzulassen. Unterstrichen werden die von der EU ergriffenen Maßnahmen zur Erleichterung der ukrainischen Agrarausfuhren und zur Unterstützung des dortigen Agrarsektors im Hinblick auf das aktuelle Erntejahr.

Dabei ersuchen die Staats- und Regierungschefs die Mitgliedstaaten, die Arbeit an den von der Kommission vorgeschlagenen Solidaritätskorridoren zu beschleunigen und Lebensmittelausfuhren aus der Ukraine über verschiedene Landrouten und Häfen der Union zu erleichtern. Des Weiteren wird in den Ratsschlussfolgerungen auch die Bedeutung der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) für den Beitrag der EU zur Ernährungssicherheit betont. In diesem Kontext pochen die Staats- und Regierungschefs auf „die rasche Annahme der GAP-Strategiepläne“.

Düngereinsatz muss effizienter werden

Außerdem ruft der Europäische Rat angesichts des Mangels an Düngemitteln auf dem Weltmarkt zu einer enger abgestimmten Zusammenarbeit mit internationalen Partnern auf. Erforderlich seien ein effizienterer Einsatz der Düngemittel sowie die Förderung von Alternativen. Im Weiteren wird in den Schlussfolgerungen zu „einer wirksamen internationalen Koordinierung“ aufgerufen, um die weltweite Ernährungssicherheit zu gewährleisten.

In dieser Hinsicht begrüßt der Europäische Rat die Mission für die Resilienz im Lebensmittel- und Agrarsektor (FARM). Dies gilt auch für die Globale Krisenreaktionsgruppe der Vereinten Nationen (UN) sowie die angekündigte Initiative der G7 zur Gründung einer Globalen Allianz für Ernährungssicherheit.

Die EU-Staats- und Regierungschefs bekräftigen in dem Zusammenhang ihre Entschlossenheit, den weltweiten Handel mit Lebensmittelgütern vor ungerechtfertigten Handelshemmnissen zu schützen, und ihre Solidarität mit den von Hungersnot gefährdeten Ländern. Die lokale nachhaltige Nahrungsmittelerzeugung sei zu steigern; Ziel müsse es sein, strukturelle Abhängigkeiten zu verringern.

EU erwartet Weizenexporte von 40 Millionen Tonnen

Kommissionspräsidentin Dr. Ursula von der Leyen stellte im Anschluss an das Treffen fest, dass es aufgrund der anhaltenden russischen Blockade der ukrainischen Seehäfen zunächst eine Ausweitung der Ausfuhren über Straße und Schiene mittels der sogenannten „Solidaritätsrouten“ über die EU bedürfe. Zwar sei dies äußerst aufwendig, aber derzeit ohne Alternativen.

Von der Leyen hob zudem hervor, dass die EU für das kommende Wirtschaftsjahr besonders unfangreiche Weizenexporte von 40 Mio t erwarte. Diese Zahlt hatte zuletzt auch der Generaldirektor der Generaldirektion für Landwirtschaft (DG AGRI), Dr. Wolfgang Burtscher, im Interview mit AGRA-EUROPE genannt, allerdings noch auf die Unsicherheiten im Hinblick auf den weiteren Witterungsverlauf und die Erntemengen hingewiesen.

Bundeskanzler Olaf Scholz betonte in der Pressekonferenz der deutschen Delegation nach dem Ratstreffen, dass weiterhin an Lösungen gearbeitet werde, möglichst schnell Getreide sowie Düngemittel nach Afrika transportieren zu können.

AU befürchtet Verschärfung der Hungerkrise

Gerade Vertreter der Afrikanischen Union (AU) betrachten die Blockade ukrainischer Weizenlieferungen über die Schwarzmeerhäfen durch Russland mit großer Sorge. Wie der amtierende AU-Vorsitzende und Präsident des Senegals, Macky Sall, als Gast bei dem Sondertreffen des Europäischen Rates erklärte, hat sein Kontinent bereits mit mehr als 280 Millionen unterernährten Menschen zu kämpfen.

Neben der Seehafenblockade durch Moskau seien die explodierenden Preise für Düngemittel ein weiteres ernstes Problem. Diese hätten sich in den Ländern der AU im Vergleich zum Vorjahr verdreifacht. Sall äußerte die Befürchtung, dass die Getreideerträge in Afrika auch aufgrund ausbleibender Düngemittellieferungen in diesem Jahr um 20 % bis 50 % einbrechen könnten. Gegenüber dem Europäischen Rat betonte der AU-Vorsitzende deshalb, dass „alles“ getan werden müsse, um die Getreidevorräte der Ukraine dem internationalen Markt wieder zur Verfügung zu stellen.

Auf Twitter dankte Sall im Namen der Afrikanischen Union den Staats- und Regierungschefs der EU, ihn an der Tagung des Rates teilnehmen zu lassen, um gemeinsam Lösungen für die Ernährungskrise zu erörtern, die durch den Krieg in der Ukraine verursacht worden sei und die sich auf Afrika besonders auswirke. Die AU werde dazu ihre Konsultationen mit der EU fortsetzen.

Ernährungssouveränität keine Selbstverständlichkeit

Bereits im Vorfeld der Brüsseler Zusammenkunft hatte der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Joachim Rukwied, einen stärkeren Fokus der Europäischen Union auf die Sicherung der Lebensmittelversorgung angemahnt. „Die Ernährungssouveränität Europas ist keine Selbstverständlichkeit und muss bei der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und beim Green Deal umfassend berücksichtigt werden“, erklärte der vormalige Präsident des EU-Ausschusses der Bauernverbände (COPA).

Rukwied mahnte in Richtung der Regierungschefs, „Versorgungssicherheit ist eine strategische Aufgabe für Europa. Wir müssen die vorhandenen Potentiale nutzen. Hier muss dringend nachjustiert werden.“ Zur GAP ab 2023 stellte er fest, dass auch diese einen Beitrag leisten könne und müsse, damit die europäische Landwirtschaft die Ernährungssicherheit weiterhin gewährleisten könne.

Der Bauernverbandspräsident verwies auf das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP), das vor den globalen Folgen der Nichtausfuhr von ukrainischem Getreide warne, die in anderen Teilen der Welt zu Hungersnot führen könne. Der Versuch der Erpressung durch Russland, Ausfuhren von Getreide und Dünger erst nach Aufhebung westlicher Sanktionen zu ermöglichen, zeige, „wie wichtig die Ernährungssouveränität Europas ist“, so Rukwied.
AgE
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