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21.02.2016 | 15:15 | Zugvogelroute 

Zugvögel reagieren auf den Klimawandel

Tel Aviv - Ein paar routinierte Handgriffe, dann hat Schai Agmon sein Fernrohr auf die Nadel im Heuhaufen fixiert.

Zugvogelroute
Etliche Millionen Zugvögel fliegen im Frühjahr durch Israel. Ein begehrter Rastplatz ist für sie das Hulatal im Norden, auch für Vögel aus Deutschland. Auf den Klimawandel reagieren die Tiere bereits - etwa mit kürzeren Routen. (c) proplanta
Die Nadel, das sind zwei Jungfernkraniche. Der Heuhaufen, das sind Tausende Graue Kraniche, für den Laien kaum von ihren kleineren, dunkleren Artgenossen zu unterscheiden. «Das ist das erste Mal, dass ich ein Pärchen hier in Israel zusammen sehe», sagt Agmon aufgeregt.

Der Vogelbeobachter verfolgt seit 25 Jahren das Leben von Vögeln. Agmon erzählt, dass er schon als Kleinkind den Enten hinterhergelaufen sei. Er schwärmt von den romantischen, lebenslangen Beziehungen der Kraniche und unterbricht sich selbst, damit die Besucher des Hulatals den Balzgesang der Weibchen hören können. Bevor es jedoch dazu kommt, steigen Tausende Vögel auf und drehen eine Platzrunde über dem Tal - auch die beiden Jungfernkraniche.

Das Hulatal liegt im äußersten Norden Israels, im Dreiländereck mit Syrien und dem Libanon. In der Talebene herrscht auch im Winter feuchtwarmes Klima - so ist sie der nördlichste Ort der Welt, an dem Papyrus wächst. Vor allem aber kommen im Hulatal rund 300 Vogelarten vor, so viele wie in ganz Deutschland. Wo heute jedes Jahr eine halbe Million Touristen auf Fahrrädern und Golfmobilen auf Vogelsafari gehen, war bis vor 60 Jahren ein Sumpf: 1952 legte der Jüdische Nationalfonds KKL-JNF die Talsohle trocken, um Ackerland zu gewinnen und die Malaria in der Region auszurotten. «Als Ornithologe sage ich rückblickend, es war ein Fehler», sagt Schai Agmon.

Aus den neu gewonnenen Feldern wurden Mineralien ausgewaschen, der Jordan schwemmte sie in den nahen See Genezareth. Der größte Süßwasserspeicher Israels setzte Algen an. Um diesen Prozess aufzuhalten, renaturierte KKL-JNF in den 1990ern große Teile des Hulatals. Die neu entstandenen, knietiefen Seen sind seither zum Rückzugsort unzähliger Zugvögel geworden.

Für sie ist das Hulatal eine wichtige Landmarke: Hier beginnt der Große Afrikanische Grabenbruch - eine Spalte zwischen zwei Kontinentalplatten, die sich über das Tote und das Rote Meer durch Äthiopien und Kenia bis Mosambik zieht. Dort entlang fliegen Zugvögel zum Überwintern nach Afrika. Für Schwärme aus Zentralasien, aber auch aus weiten Teilen Europas ist Israel eine wichtige Drehscheibe zwischen den Kontinenten.

Die meisten Vögel aus Deutschland und westlichen Teilen Europas wählen die Straße von Gibraltar, aber es kommen auch einige Arten in Israel vorbei. Auf weit über 500 Millionen schätzen israelische Forscher die Zahl der Zugvögel, die zwei Mal jährlich durch das Land ziehen. «Am auffälligsten sind Weißstörche und einige Greifvögel wie Schreiadler und teilweise Schwarzmilan», sagt Franz Bairlein, der das Institut für Vogelforschung «Vogelwarte Helgoland» (IfV) in Wilhelmshaven leitet. «Unter den Singvögeln sind es Klappergrasmücke, Sumpfrohrsänger, Sprosser, teilweise Mönchsgrasmücke.»

Schai Agmon zeigt auf etwa 30 Schwalben, die sich gerade auf den kahlen Ästen eines Obstbaums ausruhen. «Die sind heute erst angekommen, wahrscheinlich aus Kenia oder Tansania.» Nach der Rast im Hulatal trennen sich ihre Wege: «Die mit den roten Bäuchen bleiben in Asien, die mit den weißen fliegen nach Europa.» Dort orientierten sie sich dann an Flüssen wie Donau oder Rhein.

Wie lange so eine Reise dauere, sei von Art zu Art verschieden, sagt Wolfgang Fiedler von der Vogelwarte Radolfzell des Max-Planck-Instituts für Ornithologie. «Bei Störchen dauert die Reise von Ostafrika über Israel bis Norddeutschland wenige Wochen, manche schaffen es in weniger als einem Monat.»  Fiedler dokumentierte bereits 2004 gemeinsam mit anderen Ornithologen die Auswirkungen des Klimawandels auf Zugvögel. Fast alle der 30 untersuchten deutschen Arten verkürzten ihre Reisen ins Winterquartier. Auch in Afrika stoßen die Reisenden auf Probleme: Die Sahelzone wird zunehmend trockener und somit unwirtlicher für die Wintergäste.

Von den 120.000 Kranichen, die in jeder Saison das Hulatal passieren, bleibt seit etwa 15 Jahren jeder Dritte den Winter über dort. Nicht nur wegen des Klimawandels, sondern auch in Folge der Renaturierung. Damit die Vögel nicht über die Felder der Bauern herfallen, werden sie mehrmals täglich mit Mais gefüttert. Das jährlich 2,5 Millionen Schekel (574.000 Euro) teure Programm zeigt laut KKL-JNF Wirkung: Die Kraniche fressen nur dort, wo sie sollen.

Im Februar ist bei den Fütterungen besonders viel los, weil sich zu den Wintergästen Kraniche auf der Durchreise gesellen. Ihre Rufe sind schon von weitem zu hören, ständig fliegen Tiere auf. Am Himmel formieren sich Weißstörche, die vermutlich nach Europa wollen. «Falsche Richtung, Leute!», ruft Schai Agmon ihnen zu und rudert mit den Armen. «Ihr solltet jetzt in diese Richtung fliegen!»
dpa
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