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19.05.2018 | 07:11 | Luftverschmutzung 

Diesel-Fahrverbote: Wie geht es nun weiter?

Leipzig / Berlin - Im Kampf gegen zu schmutzige Luft können Städte einzelne Straßen für ältere Diesel sperren - Fahrverbote für größere Innenstadtbereiche sind aber nicht so leicht möglich.

Luftverschmutzung
Über Fahrverbote für dreckige Diesel wird seit Jahren diskutiert. Nun erläutern die obersten Verwaltungsrichter ihr Grundsatzurteil, das solche Eingriffe generell zulässt - es kommt auf manche Details an. (c) proplanta
Das geht aus der schriftlichen Begründung des Bundesverwaltungsgerichts hervor, das Verbote schon grundsätzlich für zulässig erklärt hatte.

Knapp drei Monate nach den Urteilen erläutern die Richter nun näher ihre zentrale Anforderung, dass Beschränkungen «verhältnismäßig» sein müssen. Als bundesweit erste Stadt könnte Hamburg noch in diesem Monat Sperrungen für zwei vielbefahrene Straßen verhängen. Die große Koalition streitet weiter, wie Fahrverbote noch zu vermeiden sind.

Die Begründung war mit Spannung erwartet worden. Zwar beziehen sich die höchstrichterlichen Entscheidungen konkret auf Fälle in Stuttgart und Düsseldorf. Sie haben aber Signalwirkung, welche Spielräume es für Eingriffe zum Gesundheitsschutz von Anwohnern gibt.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die die Leipziger Urteile mit vorheriger Klage erwirkt hatte, forderte die Umsetzung von Fahrverboten in allen Städten mit zu hoher Luftverschmutzung durch Diesel-Abgase noch in diesem Jahr. «Dieses Urteil ist ein Debakel für die amtierende Bundesregierung», sagte DUH-Chef Jürgen Resch.

Die Behörden wollen die Begründung nun jedoch erst einmal gründlich prüfen. Dabei ist ein zentraler Punkt des Bundesverwaltungsgerichts, klar zwischen einzelnen Straßen und größeren Zonen zu unterscheiden.

Streckenbezogene Verbote: Sollen nur einzelne Straßen oder Abschnitte gesperrt werden, sehen die Richter keine größeren Hürden. Denn solche Einschränkungen gingen in ihrer «Intensität» nicht über andere Halte- oder Durchfahrtverbote hinaus, «mit denen Autofahrer stets rechnen und die sie grundsätzlich hinnehmen müssen». Eine uneingeschränkte Anfahrt «bis unmittelbar vor die Haustür» gehöre in Ballungsräumen nicht zum Kernbereich von Möglichkeiten für Anlieger. Laut Begründung zu Düsseldorf sind aber auch Ausnahmen etwa für Handwerker zu prüfen.

«Zonale Verbote»: Geht es um größere City-Bereiche wie etwa schon existierende Umweltzonen, listen die Richter Bedingungen auf. Denn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verbiete es, so «weitreichende Verkehrsverbote ohne Berücksichtigung der damit für die Betroffenen verbundenen wirtschaftlichen Folgen auszusprechen».

Zu prüfen ist demnach eine «phasenweise Einführung», bei der Verbote zunächst nur für ältere Autos etwa bis zur Abgasnorm Euro 4 kommen. Für neuere Euro-5-Wagen komme das «nicht vor dem 1. September 2019» in Betracht. Zudem seien Ausnahmen etwa für Handwerker oder Anwohner zu prüfen - und auch Übergangsfristen bei einer Nachrüstung von Euro-5-Wagen.

Gesundheitsschutz: Die Richter verweisen auf EU-Richtlinien mit dem Tenor: Gesundheitsschutz hat Vorrang. Demnach sind Überschreitungen von Schadstoff-Grenzwerten «so kurz wie möglich» zu halten. Dies setze aber nicht voraus, «dass die zu erreichenden Maßnahmen auf einen Schlag zur Zielerreichung führen». Wegen der anhaltenden Überschreitung von Grenzwerten verklagt nun auch die EU-Kommission Deutschland und fünf andere Länder vor dem Europäischen Gerichtshof.

Entschädigung/Wertverlust: Viele Kfz-Halter fürchten Wertverluste. Hier schützen die Bundesrichter vor allem Euro-5-Autos, für die ganze Cityzonen nicht vor 1. September 2019 gesperrt werden dürften. Dies ist vier Jahre nach Inkrafttreten der folgenden Abgasnorm 6 für alle Neuwagen zum 1. September 2015 und sichere eine «uneingeschränkte Mindestnutzungsdauer» über die ersten drei Jahre hinaus, in denen erfahrungsgemäß hoher Wertverlust eintritt.

Generell sei durch lokale Verbote kein «Zusammenbruch des Gebrauchtwagenmarktes» zu erwarten, zumal sie nur für einen «Bruchteil» des deutschen Straßennetzes in Betracht kämen. Bei verhältnismäßigen Verboten seien auch keine Entschädigungsregelungen für betroffener Auto-Eigentümer zu treffen.

Blaue Plakette: Bei der praktischen Umsetzung kommt es darauf an, Autos zu unterscheiden. Umweltschützer und Grüne fordern eine neue «blaue Plakette», mit der moderne Diesel von Verboten ausgenommen werden könnten - die Bundesregierung ist bisher dagegen. Die Richter erklären, ohne eine solche Kennzeichnung wäre der Vollzug «deutlich erschwert», wenn auch nicht rechtswidrig.

Politischer Streit: In der großen Koalition dringt die SPD angesichts der EU-Klage verschärft auf Umbauten an Motoren älterer Diesel. «Den Menschen vorzumachen, das Problem durch Software-Nachrüstung lösen zu können, ist der falsche Weg», sagte Fraktionsvize Matthias Miersch.

Für saubere Luft zu sorgen und Fahrverbote zu verhindern, werde durch eine «Aussitztaktik» von Verkehrsminister Andreas Scheuer aber nahezu unmöglich. Der CSU-Politiker und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) haben erhebliche Bedenken gegen Hardware-Nachrüstungen. Die deutschen Autobauer lehnen sie unter anderem wegen hoher Kosten ab.
dpa
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