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17.05.2018 | 08:30 | Luftschadstoffe 

Schmutzige Luft in Deutschland: Legt Brüssel die Daumenschrauben an?

Brüssel - Dieser zehnte Geburtstag ist kein Anlass zum Feiern: Am 21. Mai 2008 traten in der Europäischen Union neue Vorschriften in Kraft, um die Bürger vor Luftschadstoffen zu schützen.

Luftschadstoffe Deutschland
Seit Monaten wird über eine Klage der EU-Kommission gegen Deutschland spekuliert, weil die Luft in deutschen Städten zu schmutzig ist. Jetzt könnte es ernst werden. Was bedeutet das für die Bürger? (c) proplanta
Doch noch immer überschreiten Deutschland und andere EU-Staaten die einst gemeinsam vereinbarten Grenzwerte. Die EU-Kommission hat deshalb mit Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof gedroht, und an diesem Donnerstag dürfte sich zeigen, ob sie Ernst macht. Damit geht wohl auch die Debatte über die Schreckensvision aller Dieselbesitzer in die nächste Runde: Fahrverbote in deutschen Innenstädten.

Wieso erwägt Brüssel eine Klage?

Die Einhaltung eines Grenzwertes von 40 Mikrogramm Stickoxiden pro Kubikmeter Luft ist seit 2010 überall in der EU Pflicht. In 66 deutschen Städten gelang dies aber auch 2017 nicht. Zwar hat sich die Luft überall schrittchenweise verbessert, doch sind etwa 20 deutsche Kommunen immer noch sehr weit von den Vorgaben entfernt, allen voran München, Stuttgart und Köln. Die EU-Kommission hat bereits 2015 ein Verfahren eingeleitet, weil Deutschland gegen EU-Recht verstößt. Wenn mehrfaches Ermahnen nicht hilft, ist eine Klage vor dem EuGH der übliche nächste Schritt.

Hat Deutschland denn nichts unternommen?

Doch, aber die Verbesserung dauert extrem lange. Zwei Trends sind der Hemmschuh: In den zehn Jahren seit Inkrafttreten der Grenzwerte ist die Zahl der Diesel-Autos sehr stark gestiegen, weil sie als verbrauchsarm und deshalb klimafreundlich galten. Diese Dieselautos waren aber wegen unzulänglicher Tests und Manipulationen weit weniger sauber als angegeben. Die Bundesregierung steuerte 2017 mit dem «Sofortprogramm für saubere Luft» nach. Dieses zielt vor allem auf den öffentlichen Verkehr und fördert die Umstellung auf Elektrobusse und Nachrüstung von Dieselbussen zur Abgasminderung. Beim «Diesel-Gipfel» im August 2017 versprach die Autoindustrie zudem Softwareupdates für Dieselautos, die die Emissionen um 25 bis 30 Prozent drücken sollen.

Und warum reicht das der EU nicht?

Es dauert zu lange, bis die Maßnahmen greifen. Umweltkommissar Karmenu Vella lud Deutschland und acht weitere EU-Länder, denen ebenfalls Klagen drohen, im Januar zum Rapport. Dort hörte er sich die geplanten Gegenmaßnahmen an, kam aber zu dem Schluss, dass sie nicht reichen, um die EU-Standards in absehbarer Zeit einzuhalten. Er argumentiert mit der Gesundheit der Bürger: 400.000 Menschen stürben jährlich in der EU vorzeitig, weil die Luft zu schmutzig sei. Vella räumte eine Frist für Nachbesserungen ein, und die Bundesregierung kam mit weiteren Vorschlägen, darunter ein möglicher Modellversuch mit kostenlosem Nahverkehr. Eine kurzfristige Lösung ist aber auch das nicht. Zudem kommen die Software-Updates für Dieselautos offenbar langsamer voran als gewünscht.

Wie wahrscheinlich ist eine Klage?

Umweltverbände halten sie für ausgemachte Sache. Vella hat bereits vor einigen Wochen gesagt, er habe alle nachgereichten Vorschläge geprüft und sei zu dem Schluss gekommen, dass er gegen einige Länder Klage einreichen werde. Die Betroffenen nannte er nicht. Dann folgten Verzögerungen, aber nun soll die Entscheidung bekannt gegeben werden.

Welche Folgen hätte eine Klage?

Keine unmittelbaren, denn eine Klage ist ja noch kein Urteil. Verkehrsexperte Dietmar Oeliger vom Umweltverband Nabu sagt aber: «Die Klage wird vor allem den politischen Druck auf Deutschland beziehungsweise die Bundesregierung erhöhen.» Sie müsste rasch Abhilfe zu schaffen. Denn letzte Konsequenz könnten Strafgelder sein, falls Deutschland verliert. Bulgarien und Polen haben in ähnlichen Verfahren vor dem EuGH bereits Niederlagen erlitten.

Wie wahrscheinlich sind Fahrverbote?

Fahrverbote sind nach Darstellung von Experten eine von zwei Möglichkeiten, kurzfristig die Luft in stark belasteten Innenstädten sauberer zu bekommen. Die andere wäre die Nachrüstung von Dieselautos mit Anlagen zur Abgassäuberung. Umweltschützer fordern, lieber die Autoindustrie in die Verantwortung zu nehmen als die Autobesitzer. «Die Regierung muss handeln, um sicherzustellen, dass alle Dieselfahrzeuge die Emissionsstandards einhalten», meint zum Beispiel der Verband Transport&Environment in Brüssel.

Und wie geht es langfristig weiter?

Die EU-Kommission will mehr umweltfreundliche Fahrzeuge mit wenigen oder gar keinen Emissionen, was zwei Fliegen mit eine Klappe schlagen würde: Klimaschutz und eine Verringerung von Schadstoffen in den Städten. Ebenfalls am Donnerstag will die Brüsseler Behörde deshalb einen Aktionsplan für eine europäische Batterieproduktion vorstellen, denn Batterien sind Voraussetzung für den Vormarsch von Elektroautos.

Darüber hinaus plant die Kommission erstmals Kohlendioxid-Grenzwerte für neue Lastwagen, die in zwei Etappen bis 2025 und bis 2030 nach Medienberichten um 30 Prozent sinken sollen. Die CO2-Emissionen aus dem Schwerverkehr liegen nach Angaben der Kommission heute um 19 Prozent höher als 1990, und zwar ausschließlich, weil immer mehr Güter auf der Straße transportiert werden. Nun sollen sauberere Fahrzeuge den Trend umkehren.

Das ist zwar eine andere Baustelle als bodennahe Luftschadstoffe: CO2 wird als Klimagas vor allem für die Erderwärmung mitverantwortlich gemacht. Aber letztlich dient auch dies dem Ziel, den Straßenverkehr für Menschen und Umwelt erträglicher zu machen.
dpa
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