Im Herbst will die Bundesregierung eine neue Strategie für die Agrarforschung vorlegen. Doch wo soll die Reise hingehen? Der Vorsitzende des Bioökonomierates, Reinhard Hüttl, betont dazu in der Wochenzeitung „Die Zeit“, wie wichtig angesichts der bestehenden Herausforderungen die Rolle der Agrarforschung sei.
„Wir sind weit davon entfernt zu wissen, was die
Nachhaltigkeit von Ökosystemen ist und wie wir sie dauerhaft erhalten können. Wir müssen dynamischer denken. Es gibt so viele Fragen an die Systeme, die sich nur mit akribischer wissenschaftlicher Arbeit beantworten lassen.“
Im gemeinsamen Interview wird der vom Bioökonomierat favorisierte technologie-basierte Lösungsansatz von Urs Niggli, dem Direktor des schweizerischen Forschungsinstituts für biologischen Landbau, kritisiert: „Es wird keine Technologie geben, die 30 Milliarden Nutztiere umweltfreundlich macht. Wissenschaftler müssen endlich die Grenzen, welche unser Planet der Umweltbelastung setzt, respektieren und in ökologischen Systemen denken. Wir müssen quer durch die Disziplinen zusammenarbeiten. Stattdessen arbeiten wir weiter hochspezialisiert in Einzeldisziplinen.“
Hüttl bezeichnet sich dagegen als ein Anhänger der Methodenentwicklung: „Wir müssen in die Tiefe gehen“. Einig sind sich beide Wissenschaftler darin, dass die horizontale Vernetzung verschiedener Fakultäten und Disziplinen zukünftig noch wichtiger sein wird und dass sämtliche Forschungsaktivitäten dem Paradigma der Nachhaltigkeit unterliegen müssen. „Angesichts einer Milliarde Menschen, die hungern, sowie zwei Milliarden, die mangelernährt sind, hat Nachhaltigkeit auch eine ethische Komponente“, so Hüttl. Streitpunkte bleiben indes Fluch oder Nutzen der Gentechnologie. Laut Hüttl spiele sie mit fünf Prozent der Empfehlungen innerhalb des Bioökonomierates keine zentrale Rolle - im globalen Maßstab solle man sich jedoch mit dieser Technologie auseinandersetzen.
Niggli dagegen möchte eher kein Risiko eingehen, solange die Debatte - auch innerhalb der Wissenschaft - nicht zu befriedigenden Kompromissen führe. Beide Wissenschaftler sind sich einig darin, dass man von Anbaumethoden in Entwicklungsländern lernen kann: „Wir wollen die Gesamtbilanz von Systemen mit geringem Einsatz von Agrarchemie untersuchen. Monokulturen wie in den USA wollen wir nicht.
Wir plädieren für Ertragssicherheit durch unterschiedliche Produkte auf einer Fläche“, so Hüttl. Wo Kleinbauern hungerten, führe der Ökolandbau mit Leguminosen, Kompost, biologischem
Pflanzenschutz und lokalem Saatgut zu gewaltigen Ertragssteigerungen, so Urs Niggli: „Wir brauchen eine größere Vielfalt an Lösungsansätzen!“ Da widerspreche ihm niemand, so sein Interview-Kontrahent Hüttl. „Eine Vielfalt der Lösungen ist geradezu unser Hauptansatz!“ (aid)