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02.08.2010 | 21:52 | Öl-Drama  

«Es ist noch nicht vorbei» - Zaghafte Hoffnung am Golf von Mexiko

Grand Isle - In Buggy Vegas' Gesicht perlt der Schweiß, sein T-Shirt ist klatschnass, die Sonne macht das Mississippi-Delta bei 39 Grad zum Treibhaus - aber seine blauen Augen strahlen glücklich.

Ölpest

Seit wenigen Tagen darf in den Gewässern vor Grand Isle im Süden Louisianas wieder gefischt werden. «Das ist das erste Wochenende, an dem die Leute wieder zum Fischen da sind», freut sich der Chef der «Bridge Side Marina», die Köder, 70 Bootsanleger, ein Restaurant und ein Motel vorhält. «Die Stimmung ist gut», lacht er - um im nächsten Moment innezuhalten. Die hellen Augen verfinstern sich. «Aber wir wissen: Es ist noch nicht vorbei.» Ein Blick auf den Strand von Grand Isle reicht zur Bestätigung: Wo sonst um diese Jahreszeit tausende Touristen in der Sonne braten, erinnert die Szenerie an einen riesigen Bauhof. So weit das Auge reicht, versperrt roter Plastikzaun den Weg zum Meer. Schuttcontainer stehen umher, Baustellen-Klos aus Kunststoff, Pickup-Trucks.

Die Strände von Grand Isle - wo es außer Fischfang und Tourismus kaum andere Einnahmequellen gibt - zählten zu den ersten, wo die braune Brühe heranschwappte und Urlauber verschreckt fernblieben. Noch immer wirkt das Eiland wie eine Geisterinsel, sind die Ferienhäuser verrammelt. An einem direkt am Meer, das den Namen «Mama-Pappy-Traum» trägt, hat jemand ein Schild genagelt mit der Aufschrift: «Der Traum ist vorbei.» Die besten Kunden von Restaurants und Läden sind nun die Helfer im Kampf gegen das Öl.

«Es sind nicht so sehr die Meeresfrüchte, die uns Sorgen machen», sagt Buggy Vegas. «Wir sind raus gefahren und haben keinen einzigen toten Fisch gesehen», erzählt er. «Wir haben Shrimps gefangen und gegessen - alles in Ordnung.» Vegas sorgt sich um das empfindliche Marschland - er befürchtet, dass ein Hurrikan das Öl tief ins Landesinnere drückt und die zigtausenden Inseln aus Gras inmitten der atemberaubenden Wasserlandschaft des Deltas vernichtet.

Wissenschaftler können nur spekulieren, welche Gefahren die schlimmste Ölpest in der Geschichte der USA noch birgt. Seit dem 15. Juli verschließt eine Kappe das Bohrloch provisorisch, zwei Wochen danach ist auf dem Meer erheblich weniger Öl zu sehen. Aber die Angst vor den langfristigen Folgen bleibt, nicht nur bei Fischern und Shrimp-Fängern entlang der Golfküste. «Weniger Öl an der Oberfläche heißt nicht, dass es darunter kein Öl oder dass es kein Risiko mehr für unsere Strände und Marschen gibt», mahnte erst vor wenigen Tage die Chefin der US-Wetter- und Klimabehörde NOAA, Jane Lubchenco. «Wir sind extrem besorgt über die kurz- und langfristigen Folgen für das Ökosystem des Golfs.» Andere sind hoffnungsvoller. «Ich bin optimistisch, dass sich die Region erholt», sagt ein Experte des US-Innenministeriums, der im Kampf gegen das Öl eingesetzt ist, aber zu Medienauskünften offiziell nicht autorisiert ist.

Die Ölpest im Golf von Mexiko sei mit der Exxon-Valdez-Katastrophe in Alaska kaum zu vergleichen. Hier habe man es mit einem sehr warmen Gewässer zu tun, in dem Bakterien seit jeher das schon immer aus dem Boden tretende Öl quasi auffressen. Untersuchungen hätten bisher gezeigt, dass die Sauer- und Nährstoffversorgung dieser mikroskopisch kleinen Helfer kaum beeinträchtigt sei, erläutert der Fachmann. Allerdings: «Man hat natürlich noch nicht den ganzen Golf getestet.» Von einer Reinigung des Marschlandes vom Schlick rät er ab: Zu viel könnte dabei am Ende zerstört werden. Buggy Vegas weiß, dass Grand Isle noch einiges vor sich hat auf dem Weg zurück zur Normalität - auch wenn sich an seinen Bootsanlegern schon wieder tief gebräunte Hobbyfischer mit Dosenbier nach erfolgreicher Ausfahrt zuprosten. Dass die Touristen aus der näheren Umgebung bald zurückkehren, davon ist er überzeugt. «Uns machen die Urlauber Sorgen, die von außerhalb Louisianas kommen.»

Und da ist noch das Gerangel mit dem BP-Konzern um den Schadenersatz. 80 Prozent Einbußen habe seine «Bridge Side Marina» im April und Mai hinnehmen müssen, sagt der Geschäftsmann. Im Juni und Juli seien es noch 50 Prozent gewesen. Die Zahlung für die ersten beiden Monate sei «in Ordnung» gewesen». Was das Unternehmen als Ausgleichszahlung für die nächsten beiden Monate angeboten habe, sei aber «völlig daneben». Ob Grand Isle wieder so werden wird wie früher? «Wenn sie das Bohrloch stopfen, wenn sie die Säuberungsarbeiten fortsetzen, wenn es keinen Hurrikan gibt» - dann ja. «Bis zum Sommer», sagt Buggy Vegas, «sollte alles wieder beim Alten sein.» Völlig überzeugt klingt er nicht. «Es ist noch nicht vorbei», ergänzt er. (dpa)


Hintergrund:

Chronologie der Ölpest

20. April: Nach einer Explosion auf der Ölbohrinsel «Deepwater Horizon» im Golf von Mexiko bleiben elf Arbeiter verschollen, 126 können gerettet werden.

22. April: Die brennende Bohrinsel versinkt, in einer Tiefe von 1.500 Metern sprudelt Öl ins Meer.

29. April: Die US-Regierung stuft die Ölpest als Katastrophe «von nationaler Bedeutung» ein.

2. Mai: US-Präsident Barack Obama besucht erstmals die Region und nimmt den Konzern in die Pflicht: «BP wird die Rechnung dafür bezahlen.»

20. Mai: Ein Live-Video vom Meeresgrund zeigt, dass mehr Öl austritt als von BP vermutet, Experten sprechen von 70.000 Barrel am Tag.

26. Mai: BP startet mit «Top Kill» den ersten Versuch, die Quelle mit einem Schlammgemisch zu schließen. Das Verfahren scheitert.

28. Mai: Obama kündigt bei seinem zweiten Besuch an, die Zahl der Helfer zu verdreifachen. Etwa 240 Kilometer der Küste sind verseucht, in einem Viertel des Golfs darf nicht mehr gefischt werden.

4. Juni: Während des dritten Obama-Besuchs platzieren Ingenieure eine kleine Glocke über dem Leck. Mit ihr kann allerdings nur ein kleiner Teil des Öls aufgefangen werden, 40.000 Barrel pro Tag fließen weiter ins Meer.

8. Juni: Obama sagt in einem Interview, stünde es in seiner Macht, hätte er BP-Chef Tony Hayward «schon längst gefeuert».

15. Juni: Vierter Besuch von Obama, der erneut BP die Verantwortung zuweist.

23. Juni: Wegen technischer Probleme muss BP das Auffangen des Öls erneut unterbrechen. Zwei Helfer kommen ums Leben.

13. Juli: BP stülpt einen 68 Tonnen schweren Zylinder über die Quelle. Zwei Tage später ist sie komplett verschlossen. Parallel arbeitet der Konzern an einem Nebenzugang zum Hauptbohrloch.

21. Juli: Um die Schäden bezahlen zu können, verkauft BP für sieben Milliarden Dollar (5,5 Mrd. Euro) Öl- und Gasfelder in den USA, Kanada und Ägypten.

27. Juli: BP-Vorstandschef Tony Hayward tritt zum 1. Oktober zurück, seine Nachfolge übernimmt der Amerikaner Bob Dudley.

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