Vorsprung durch Wissen
schließen x
Suchbegriff
Rubrik
 Suchen
Das Informationszentrum für die Landwirtschaft
03.09.2023 | 14:38 | Milchmarkt 

Bund will Vorgaben für Milchlieferverträge

Berlin - Die Diskussion um staatliche Vorgaben für die Gestaltung der Lieferbeziehungen zwischen Milcherzeugern und ihren Molkereien bekommt neue Nahrung.

Milchprodukte
Bundeslandwirtschaftsministerium kündigt Anwendung von Artikel 148 der Gemeinsamen Marktorganisation an - Stellung der Erzeuger in der Wertschöpfungskette verbessern - Branche reagiert überwiegend skeptisch - Schmal fordert Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit - Taube: Chancen der Transformation nutzen. (c) dip - fotolia.com
Bei einer Konferenz des Bundeslandwirtschaftsministeriums zur Zukunft der Milchviehhaltung in Berlin bekräftigte Staatssekretärin Silva Bender am Donnerstag (31.08.) das Ziel, die Stellung der Erzeuger in der Wertschöpfungskette zu stärken.

„Ein Puzzleteil“ dabei werde sein, die EU-rechtlichen Möglichkeiten von Artikel 148 der Gemeinsamen Marktorganisation (GMO) zu nutzen. Danach können Molkereien und Milchlieferanten verpflichtet werden, eine Beziehung zwischen einer bestimmten Liefermenge und dem Preis für diese Lieferung zu vereinbaren.

Bender räumte ein, dass ein Großteil der Molkereigenossenschaften in der Zwischenzeit auf freiwilliger Basis Vereinbarungen mit ihren Lieferanten getroffen habe. Diese Unternehmen würden von etwaigen Regelungen nicht tangiert, soweit sie den Ansprüchen gerecht würden.

Der Milchpräsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Karsten Schmal, hatte bereits im Vorfeld vor übertriebenen Erwartungen gewarnt. Zwar bestehe weiterhin Handlungsbedarf bezüglich der Mengen- und Preisabstimmungen, der von den Wirtschaftsakteuren angegangen werden müsse.

„Die Anwendung des Artikels 148 der Gemeinsamen Marktorganisation wird jedoch die von einigen politischen Akteuren geschürten Hoffnungen nicht erfüllen können.“ Der Direktor des Instituts für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung an der Universität Kiel, Prof. Friedhelm Taube, bescheinigte der Milchwirtschaft in Deutschland gute Perspektiven.

Voraussetzung dafür sei allerdings, dass die politischen und ökonomischen Weichen in Richtung einer ökologischen Intensivierung der Erzeugung gestellt und die notwendigen Anpassungsschritte gegangen würden, sagte der Wissenschaftler.

Kräfteverhältnisse ausbalancieren



In ihrem Schlusswort der Konferenz bekräftigte indes die Parlamentarische Staatssekretärin im BMEL, Dr. Ophelia Nick, man werde „entsprechende Maßnahmen, die uns das EU-Recht ermöglicht“, mit den Koalitionspartnern erörtern. „Wir setzen uns dafür ein, die Kräfteverhältnisse in der Wertschöpfungskette auszubalancieren und die Stellung der Milcherzeugerinnen und ‑erzeuger zu stärken“, betonte die Grünen-Politikerin.

Die Gestaltung der Lieferbeziehungen zwischen Milcherzeugern und Molkereien werde dabei „ein Schwerpunkt“ sein. Ein weiteres wichtiges Anliegen sei es, die Markttransparenz zu erhöhen. An der vom Agrarressort initiierten Konferenz nahmen mehr als 250 Milcherzeugerinnen und -erzeuger sowie Branchenvertreter teil.

In vier Workshops ging es um die Themen Stärkung der Milcherzeuger in der Wertschöpfungskette, Nachhaltigkeit durch Grünlandbewirtschaftung, Weidehaltung und Klimaschutz, Tierschutz und Tiergesundheit in der Milchviehhaltung sowie regionale Wertschöpfung in der Milcherzeugung.

Pro und Contra



Von den Konferenzteilnehmern wurde der mögliche Eingriff in die Lieferbeziehungen unterschiedlich aufgenommen. Unterstützung signalisierten das Vorstandsmitglied vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft, Hubert Heigl, sowie die Landwirtin Kirsten Wosnitza vom Bund Deutscher Milchviehhalter (BDM). Man müsse vorhandene Instrumente nutzen, die den Erzeugern „kostendeckende Preise“ ermöglichen.

Demgegenüber widersprach der Vorstandsvorsitzende der Molkerei Hochwald, Detlef Latka, der Auffassung, mit zusätzlichen staatlichen Regulierungen ließe sich der Milchmarkt verbessern. Die Wiederauflage einer solchen Diskussion sei nichts weiter als „neuer Wein alten Schläuchen“.

Der agrarpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Albert Stegemann, warf der politischen Leitung des BMEL im Nachgang vor, mit ihrer Initiative „Schattenboxen“ zu betreiben: „Der Artikel 148 der Gemeinsamen Marktorganisation wird die Situation der Milchviehhalter kein bisschen verbessern.“

Kein positiver Effekt



Ähnlich äußerte sich der Sprecher der Interessengemeinschaft Genossenschaftliche Milchwirtschaft (IGM), Peter Manderfeld. Seiner Auffassung nach hilft die nationale Umsetzung des Artikels 148 weder den Milcherzeugern, noch würden dadurch die grundlegenden Verhältnisse der Erzeuger am Milchmarkt positiv und nachhaltig verändert.

„Ein solcher Ansatz wird insbesondere in Krisenphasen keinen positiven Effekt auf den Gesamtmarkt haben“, ist Manderfeld überzeugt. Er wies darauf hin, dass eine mögliche Anwendung von Artikel 148  aufgrund der Ausnahmeregelung für Genossenschaften in der Gemeinsamen Marktorganisation Auswirkungen auf diese Unternehmen hätten. Dessen ungeachtet erteilte der IGM-Vorsitzende externen Eingriffen in die bäuerliche Selbstverwaltung der Molkereigenossenschaften eine strikte Absage.

„In ihren Unternehmen bestimmen die Landwirte als Eigentümer in demokratischen Verfahren die Unternehmensstrategie mit und regeln die in Satzung und Anlieferungsordnung festgelegten Lieferbedingungen selbst.“

Wettbewerbsfähigkeit stärken



DBV-Milchpräsident Schmal hielt der Bundesregierung Versäumnisse in der Milchpolitik vor. Die bisherigen Maßnahmen ließen nicht erkennen, dass die Regierung den Anspruch habe, die Wettbewerbsfähigkeit der landwirtschaftlichen Tierhalter zur fördern. Als ein Beispiel nannte Schmal das Aus der Borchert-Kommission. Kritisch sieht der DBV-Vize auch die Novelle des Tierschutzgesetzes.

Erste Entwürfe ließen befürchten, „dass mehr als 15.000 kleinere Milchviehbetriebe angesichts des kurzfristig angestrebten Verbots der Anbindehaltung vor dem wirtschaftlichen Aus stehen.“ Außerdem solle offenbar die Verödung der Hornanlagen in Zukunft unter Betäubung erfolgen, obwohl mit der Schmerzmittelgabe und Sedierung von Kälbern eine praktikable und tierschutzgerechte Alternative zur Verfügung stehe.

Skeptisch beurteilt Schmal Pläne der Ampelkoalition, die Mehrwertsteuer für vegane Milchersatzprodukte auf Basis von Soja, Hafer oder Nüssen zu senken. Diese Produkte stünden im Wettbewerb zu Milchprodukten, die im Vergleich einen deutlich höheren Nährwert aufwiesen.

Schließlich hielt Schmal Bund und Ländern vor, sie hätten viel zu lange benötigt, um eine bundesweit einheitliche Auslegung bei der Anhebung des Mindesttransportalters von Kälbern vorzulegen. Seinen Angaben zufolge gelten diese Regeln allein für die deutschen Tierhalter. Kälbertransporte nach und von ausländischen Nachbarstaaten unterlägen hingegen nicht den strengeren deutschen Gesetzen.

Label „Grünlandmilch“ notwendig



Taube bescheinigte der Milchwirtschaft in Deutschland, sie sei in Sachen Nachhaltigkeit in Teilen auf einem guten Weg. Im internationalen Vergleich stehe die hiesige Branche vergleichsweise gut da und brauche sich etwa gegenüber der Erzeugung in Neuseeland oder Irland nicht zu verstecken.

Nun komme es darauf an, bestehende Defizite abzubauen und vielversprechende Ansätze auszubauen. Der Kieler Wissenschaftler geht davon aus, dass die Produktion tierischer Erzeugnisse in Europa in den nächsten Jahrzehnten um 40 % bis 75 % sinken muss, um die Klimaziele zu erreichen.

Für die Milcherzeugung in Deutschland sei es möglich, dass der Rückgang mit minus 15 % bis 20 % deutlich geringer ausfallen werde. Dies sei zu schaffen, wenn der Sektor konsequent die Transformation vorantreibe und dies glaubwürdig den Märkten vermittle. Eine wichtige Rolle könne dabei auch international ein Label „Grünlandmilch“ spielen.

Langfristig tragfähige Moorstrategie



Der Politik misst Taube die Aufgabe zu, mit verlässlichen und klaren Rahmenbedingungen den Wirtschaftsbeteiligten zu zeigen, wohin die Reise geht. Dies gelte beispielsweise für eine aus seiner Sicht unvermeidliche, weitgehende Beendigung der Milcherzeugung auf entwässerten Moorböden. Dafür bedürfe es einer Moorstrategie mit validen Einkommensalternativen für die Milcherzeuger, beispielsweise über die Ausweisung von Vorrangflächen für Photovoltaik-Anlagen auf wiedervernässten Flächen.

Landwirte müssten sich auf Zusagen der Politik verlassen können, dass solche Konzepte „länger als fünf Jahre“ tragen. Mit Nachdruck warnte Taube davor, den Strukturwandel in der Milcherzeugung stoppen oder bremsen zu wollen. Angesichts der anstehenden Transformation seien der Strukturwandel und die Nutzung von technischem Fortschritt unerlässlich.

Ambitionierte Stoffstrombilanz



Dringender politischer Handlungsbedarf bestehe bei der Verringerung von Nährstoffüberschüssen in der Milcherzeugung, so Taube. Die Defizite im Ordnungsrecht und dessen Umsetzung seien offenkundig. Der Wissenschaftler plädierte erneut dafür, eine ambitionierte Stoffstrombilanz für Stickstoff und Phosphor umzusetzen.

Der Institutsleiter kritisierte „unrealistische Zielsetzungen“ wie 30 % Ökolandbau und die Bemühungen, die Politik danach auszurichten. Die Zukunft liege stattdessen darin, „das Beste aus zwei Welten“ zusammenzuführen und die sogenannte Hybridlandwirtschaft zu entwickeln und zu fördern. Zu deren Unterstützung müsse künftig der Gemeinwohlprämie eine Schlüsselrolle zukommen.

Für eine nachhaltigere Produktion



Anlässlich der Konferenz forderten mehrere Verbände und Organisationen grundlegende Änderungen für die hiesige Milchproduktion. Greenpeace hatte im Vorfeld der Veranstaltung eine Studie mit einer Wirkungsanaylse möglicher Maßnahmen vorgestellt. „Die Milchproduktion in Deutschland ist aus den Fugen geraten. Es wird vor allem billige Industriemilch für den Export produziert“, monierte die Umweltorganisation.

Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) in Niedersachsen, Ottmar Ilchmann, wies darauf hin, dass die Milcherzeugerpreise nach einem kurzen Hoch nun wieder unter die Kostendeckung gesunken seien. Für ihn ist damit klar, „dass dieser Markt für die Landwirtinnen und Landwirte nicht funktioniert.“

Eine grasbetonte Milchproduktion, wie etwa mit Weidemilch, sei kostenintensiver und müsse entsprechend mit Zuschlägen am Markt honoriert werden. „Wir dürfen nicht länger hinnehmen, dass Praktiken wie die Anbindehaltung, Hochleistungszucht und schmerzhafte Amputationen an der Tagesordnung sind“, hieß es bei der Tierschutzorganisation Provieh.
AgE
Kommentieren
weitere Artikel

Status:
Name / Pseudonym:
Kommentar:
Bitte Sicherheitsabfrage lösen:


  Weitere Artikel zum Thema

 Rohmilchpreise in Deutschland zu niedrig

 Ausgeglichene Verhältnisse am Milchmarkt

 Milchlieferbeziehungen: BMEL hält an Artikel 148 fest

 Blockbutter wird teurer

 Artikel 148 GMO - Lindner soll Verordnung stoppen

  Kommentierte Artikel

 Jäger sehen dringenden Handlungsbedarf bei Umgang mit Wölfen

 Söder setzt sich gegen Verbrenner-Aus ab 2035 ein

 2023 war Jahr der Wetterextreme in Europa

 Wind- und Freiflächen-Solaranlagen: Niedersachsen führt Abgabe ein

 Keine Reduzierung beim Fleischkonsum durch Aufklärung

 Größter Solarpark von Rheinland-Pfalz eröffnet

 Gipfelerklärung der EU setzt auf Lockerungen für Landwirte

 Grundwasser in Bayern wird weniger

 Lindnerbräu - Hoch die Krüge!

 Mutmaßlicher Wolfsangriff - mehrere Schafe in Aurich getötet