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23.02.2015 | 11:21 | Freihandelsabkommen 

Hofreiter: Gabriel bei TTIP auf dem Weg zum «Genossen der Bosse

Berlin - Die Grünen werfen SPD-Chef Sigmar Gabriel vor, sich mit seinem Ja zu den Handelsabkommen mit Nordamerika über Bedenken der Bürger und der eigenen Partei hinwegzusetzen.

Globaler Handel
Viele Bürger laufen Sturm: Die Freihandelsabkommen mit Kanada und den USA lösen Ängste aus. Vizekanzler Gabriel geißelt die Chlorhühnchen-Hysterie - er macht bei einer großen TTIP-Konferenz klar, dass strenge Regeln und mehr Fakten das Ruder rumreißen sollen. (c) dipego - fotolia.com
Chlorhühnchen, Hormonfleisch, Gentechnik in Lebensmitteln. Sigmar Gabriel arbeitet sich ab an den Ängsten, Mythen und Verschwörungstheorien. «TTIP ist böse, bringt uns nicht weiter», sagt er am Montag erst bei einer Konferenz der deutschen Wirtschaft, dann zu den rund 600 Teilnehmern einer Bürgeranhörung in der SPD-Zentrale. Der Bundeswirtschaftsminister kämpft an mehreren Fronten für das TTIP-Freihandelsbkommen mit den USA, das 800 Millionen Verbrauchern Wohlstand bescheren soll.

Beide Konferenzen zeigen die Tiefe der Gräben: Da die Wirtschaft, die die Idee toll findet, da die besorgten Bürger. SPD-Chef Gabriel verspricht: Keine schlechteren Standards, also keine Chlorhühnchen, wobei er einwendet, was schlimmer sei: In Chlor desinfiziertes Huhn oder mit Antibiotika gepäppeltes Geflügel wie oft in der EU. Draußen bei der SPD haben Demonstranten ein riesiges trojanisches Pferd auf die Straße gerollt - ihr Sinnbild für den Angriff der Konzerne auf Umwelt- und Verbraucherstandards unter dem Deckmantel des bis 2016/2017 geplanten TTIP-Abkommens.

Bei der SPD hat vor allem die Parteilinke große Bauchschmerzen. Laut einer neuen Umfrage für die Organisation Foodwatch sind aber zwar nur noch 39 Prozent der Bürger für TTIP, aber immerhin 51 Prozent der SPD-Anhänger, mehr noch als bei CDU/CSU (48 Prozent). Gerade zigtausende Facharbeiter in Autofabriken könnten profitieren, wenn pro Jahr eine Milliarde Euro an Zöllen beim Export in die USA wegfallen - und nicht mehr unterschiedliche Blinker und Spiegel auf beiden Seiten des Atlantiks eingebaut werden müssen.

EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström ist auf Gabriels Einsatz angewiesen, das weiß sie. Deshalb ist sie am Montag mit ihm zusammen erst bei der Wirtschaftskonferenz, dann bei der SPD. Sie kommt bei ihrem Kampf für den Freihandel manchmal auf den Hund. «Wenn Sie bei Google ISDS eingeben, landen Sie auf der Seite der Internationalen Gesellschaft für Hüte-Hunde. Da lächelt Sie ein kleiner, süßer Hund an», erzählt die schwedische Kommissarin. Die vier Buchstaben ISDS, auf die Malmström anspielt, haben es in sich. Das englische Kürzel für «Investor-State-Dispute-Settlement»

(Investor-Staat-Streitbeilegung) beschreibt die Klagemöglichkeit von Konzernen gegen Staaten auf Schadenersatz - es ist der dickste Brocken in den Verhandlungen. Am Punkt ISDS könnte eine deutsche Zustimmung scheitern, weiß Gabriel.

Der Vorwurf, Großkonzerne könnten sich unter dem Deckmantel des Abkommens dank der Urteile anonymer, intransparenter Schiedsgerichte über nationale Gesetze hinwegsetzen, «belastet die TTIP-Verhandlungen mehr als alle Chlorhühnchen der Welt», räumt Gabriel ein. Seine Idee, Konzerne sollten vor einen unabhängigen Handelsgerichtshof ziehen, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen, findet Malmström gut. Sie macht aber auch klar, dass das nicht von heute auf morgen klappen wird.

Zur Nagelprobe wird hier das Ceta-Abkommen mit Kanada, das eigentlich bereits ausverhandelt und die Blaupause für TTIP ist. Gabriel will, dass Gesetzesänderungen kein Klagegrund sein dürfen, dass Konzerne die Verfahrenskosten zahlen müssen und nicht mehr womöglich voreingenommene Anwälte als Schiedsrichter fungieren.

Europa und Nordamerika müssten die Chance ergreifen, einen «Gold-Standard» einzuführen, der die Spielregeln für den Welthandel setze, so Gabriels Vorstellung. Klappe das nicht, werde Asien dauerhaft den Ton angeben - mit negativen Folgen auch für Umwelt, Klima und Verbraucherschutz. Im November war Gabriel in Vietnam unterwegs. Dort hatte ihn schwer beeindruckt, wie groß der Ehrgeiz aufstrebender Entwicklungs- und Schwellenländer ist. Aber reichen ein paar rote Linien, um die Kritiker in der SPD zu überzeugen? «Wie sich die Meinung in der SPD entwickelt, weiß man nie», scherzt Gabriel. Schützenhilfe bekommt er von John Emerson.

Der US-Botschafter in Deutschland, der als kleine ironische Spitze in seinem Büro am Brandenburger Tor ein Bild mit Hühnern hängen hat, die im Chlor-Pool baden, erinnert die Deutschen sanft, aber entschlossen daran, was seiner Ansicht nach auf dem Spiel steht. Die westlichen Werte und der Rechtsstaat seien an vielen Fronten in Gefahr, warnt er, ohne Russlands Präsident Wladimir Putin und den Ukraine-Konflikt beim Namen zu nennen. Aber trotzdem weiß auch Emerson: «Wir haben noch einen langen Weg vor uns.»
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