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27.04.2019 | 12:25 | Nitratbelastung 

Nährstoffbericht unterstreicht Handlungsbedarf im Wasserschutz

Hannover/Berlin - Keine Veranlassung zur Entwarnung bietet nach Einschätzung von Niedersachsens Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast der aktuelle Nährstoffbericht der Landesregierung.

Nährstoffbericht 2019
Zu viel Stickstoff und Phosphat im Nährstoffkreislauf (c) proplanta
„Wir müssen alle Anstrengungen für den Wasserschutz verstärken“, betonte die CDU-Politikerin bei der Vorstellung des Berichts am vergangenen Mittwoch (24.4.) in Hannover.

Otte-Kinast sprach von kleinen Schritten, die man erreicht habe und verwies auf einen leichten Rückgang des Nährstoffanfalls aus Tierhaltung und Biogasanlagen. Gleichzeitig zeige der Nährstoffbericht 2017/18 jedoch, „dass immer noch zu viel Stickstoff und Phosphat im Nährstoffkreislauf ist“. Gerade die viehstarken Regionen in Weser-Ems müssten ihren Bei trag leisten, um die Situation für den Wasserschutz zu verbessern.

Auch der Präsident vom Landvolk Niedersachsen, Albert Schulte to Brinke , sieht die Landwirte in den Regionen gefordert, „die wieder durch den ungeklärten Umgang mit Bilanzüberschüssen beim Wirtschaftsdünger auffallen“. Diese müssten sich „deutlich offensiver“ ihrer Verantwortung für sauberes Grundwasser und eine intakte Umwelt bewusst werden und eine ordnungsgemäße Verwertung der Nährstoffe sicherstellen.

Der Landvolkpräsident warnte zugleich vor der Verallgemeinerung, dass grundsätzlich zu viel Gülle und Gärreste ausgebracht würden. Der aktuelle Nährstoffbericht offenbare keine fehlenden Erkenntnisse, sondern Umsetzungsdefizite, betonte Schulte to Brinke. Unterdessen ging auch die Diskussion um eine erneute Verschärfung der Düngeverordnung weiter. Dr. Susanne Klages von der Stabsstelle Klima des Thünen-Instituts (TI) nannte die derzeit diskutierten Änderungen „nachvollziehbar“.

Schweinebestände zurückgegangen

Wie aus dem 6. Nährstoffbericht des Landwirtschaftsministeriums in Hannover hervorgeht, ist im Auswertungszeitraum 1. Juli 2017 bis 30. Juni 2018 der Dung- und Gärresteanfall in Niedersachsen im Vergleich zur vorherigen Erhebung 2016/17 um 1,5 % gesunken.

Laut Nährstoffbericht überschritten sieben niedersächsische Landkreise die Obergrenze für Stickstoff, sechs für Phosphat. Die Grenze von 170 kg Stickstoff pro Hektar wurde in den Landkreisen Grafschaft Bentheim, Emsland, Cloppenburg, Ammerland, Oldenburg, Vechta und Rotenburg/Wümme überschritten, in Cloppenburg und Vechta sogar deutlich.

Im Vergleich zum vorherigen Berichtszeitraum sind die Schweinebestände im Land um rund 73.000 Tiere zurückgegangen; das entspricht einem Anteil von 1 %. Knapp darunter lag der Rückgang bei den Rindern, deren absolute Zahl sich um rund 27.000 verringerte. Demgegenüber wurde bei den Geflügelbeständen eine Zunahme um 394.000 Tiere oder 1 % verzeichnet.

Eine abnehmende Tendenz zeigte sich bei der Verbringung von Wirtschaftsdünger und Gärresten. Die gemeldete Menge an Schweinegülle lag 2017/18 um rund 0,6Mio t, die der Gärreste um rund 1,6 Mio. t unter denen von 2016/17. Rückläufig waren die Ausfuhren von Wirtschaftsdüngern und Gärresten aus der Region Weser-Ems.

Genau hinzuschauen

Für Ministerin Otte-Kinast kommt es jetzt darauf an, „ganz genau hinzuschauen und Problemfälle zu lokalisieren, um dort gezielt anzusetzen“. Im Zuge der Ausweisung der nitrat- und phosphatsensiblen Gebiete habe man die Teilwasserkörper bewertet, wo konsequenter Handlungsbedarf bestehe. Zwischen Umwelt- und Landwirtschaftsressort sei bereits eine erste Binnendifferenzierung für eine Kulisse von rund 38 % der Landesfläche entwickelt worden.

Große Erwartungen verbindet Otte-Kinast mit der vorgesehenen Datenbank „Elektronische Nährstoffmeldungen Niedersachsen“ (ENNI), in der die Düngebedarfsermittlungen und Nährstoffvergleiche flächendeckend erfasst werden sollen.

Zudem könnten die landesweit bereits vorhandenen Daten der landwirtschaftlichen Betriebe bei ENNI zusammenfließen. „Mit diesem niedersächsischen Weg wird eine flächendeckende Transparenz der Nährstoffströme in unserem Bundesland möglich werden, die gezielte Vor-Ort-Kontrollen und gegebenenfalls Sanktionen erlaubt“, betonte die Ressortchefin.

Drei Möglichkeiten

„Auf dem richtigen Weg“ sieht der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion im Landtag in Hannover, Helmut Dammann- Tamke, die niedersächsische Landwirtschaft beim Gewässerschutz. Anlässlich der Veröffentlichung des Nährstoffberichts räumte der CDU-Politiker zugleich ein, dass man in einigen Regionen Niedersachsens noch erhebliche Probleme habe.

„Zurzeit sind immer noch 50.000 t Stickstoff zu viel im System“, so Dammann-Tamke. Zur Lösung dieses Problems gebe es drei Möglichkeiten, die „Substituierung von Mineraldünger durch natürlichen Dünger, die Verbringung außerhalb Niedersachsens oder die Reduzierung der Tierbestände“.

Der Agrarpolitiker geht davon aus, dass letztlich ein Mix aus allen drei Maßnahmen erfolgversprechend sein wird. Für den Präsidenten der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, Gerhard Schwetje, dokumentiert der Nährstoffbericht den weiterhin bestehenden Handlungsbedarf.

Zum einen sei der Nährstoffsaldo als Differenz von Düngebedarf und tatsächlich ausgebrachter Düngermenge im vierten Jahr in Folge gesunken. Zum anderen müsse Niedersachsen weiter an einem effizienten Einsatz seiner organischen Dünger arbeiten.

Ziel müsse es sein, den Nährstoffkreislauf - „Futter aus den Ackerbauregionen in die Veredlungsregionen und Dünger retour“ - zu schließen. Die effiziente und bedarfsgerechte Verbringung organischer Dünger und deren Einsatz in aufnahmefähigen Regionen bezeichnete Schwetje als „den richtigen Weg“. Dieser fördere den Wasserschutz, tue dem Boden gut und mache auch wirtschaftlich Sinn.

Erhebliches Nährstoffüberschussproblem

Der Vorsitzende des Agrar- und Ernährungsforums Oldenburger Münsterland (AEF), Uwe Bartels, wertete den Nährstoffbericht als Beleg für dringenden Handlungsbedarf: „Wir haben nach wie vor ein erhebliches Nährstoffüberschussproblem, dessen Auflösung keinen Aufschub duldet“, erklärte Bartels.

Vom geringeren Wirtschaftsdüngeranfall zeigte sich der ehemalige niedersächsische Landwirtschaftsminister aufgrund der gesunkenen Tierzahlen ebenso wenig überrascht wie vom rückläufigen Nährstoffexport aus Weser-Ems in Ackerbauregionen. Der sei angesichts der Wetterverhältnisse im Herbst 2017 und Frühjahr 2018 sowie aufgrund neuer Regelungen der Düngeverordnung für Ackerbaubetriebe zu erwarten gewesen.

Bartels sprach sich abermals gegen eine neuerliche Verschärfung der Düngeverordnung aus. Der rechtliche Rahmen sei durch die geltende Regelung in ausreichendem Umfang gesetzt, um eine nachhaltige Landbewirtschaftung sicherzustellen. Zahlreiche Betriebe hätten sich bereits mit unterschiedlichen Projekten erfolgreich auf den Weg gemacht. „Er müsste nur konsequent von allen Beteiligten der Wertschöpfungskette sowie von Politik und Verwaltung umgesetzt werden“, so der Vorsitzende.

Genau dies habe das AEF im März 2018 mit seinem Masterplan von allen Akteuren gefordert. Für die aktuelle Diskussion wäre es laut Bartels von Vorteil, wenn Niedersachsen zügig die in der Düngeverordnung enthaltenen Länderermächtigungen umsetzt.

Zu wenig getan

Als Bestätigung für die Forderungen nach Verschärfung des Düngerechts wertete indes der agrarpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Rainer Spiering, den niedersächsischen Nährstoffbericht. Die Zahlen verdeutlichten, „dass Deutschland zu wenig getan hat, um die Nitratwerte im Grundwasser zu senken und hierzu zu Recht vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) verurteilt wurde“, erklärte der SPD-Politiker. So seien zwischen Mitte 2017 und Mitte 2018 rund 50.000 t Stickstoff mehr angefallen, „als Pflanzen zur Düngung gebraucht hätten“. Dieser Stickstoff lande größtenteils im Grundwasser.

Spiering appellierte an Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner und die Bundesländer, keinen weiteren Unmut der EU-Kommission zu riskieren und rasch zu einer wirksamen Lösung zur Nitratreduzierung zu kommen. Mit ihren Forderungen nach flächengebundener Tierhaltung, dem Einsatz emissionsarmer Technik und der direkten Einarbeitung der Wirtschaftsdünger hätten die Agrarier der SPD-Fraktion den Handlungsrahmen skizziert.

„Mit heißer Nadel gestrickt“

Für den agrarpolitischen Sprecher der Grünen im Bundestag, Friedrich Ostendorff , zeigt der Bericht deutlich, „wo wir stehen und wo die Messlatte hängt“. Demgegenüber seien die sich abzeichnenden Kompromisse zur Düngeverordnung „mit heißer Nadel gestrickt“. Ostendorff bezweifelt, „dass wir auf dem Weg zu mehr Schutz vor Nährstoffeinträgen wirklich vorangekommen sind“. Die Tendenz zum Besseren sei nur schwach entwickelt, da gebe es noch viel Luft nach oben.

Dem Grünen-Politiker zufolge sind die Probleme „vertagt, aber noch lange nicht gelöst“. Greenpeace forderte als Reaktion auf den Nährstoffbericht „wirksame Maßnahmen statt kosmetischer Korrekturen beim Düngerecht“. Für die Umweltorganisation gehören dazu angemessene Obergrenzen für die Düngung in den besonders belasteten Gebieten sowie strengere Kontrollen.

Überdüngung sei auch nach der Düngereform von 2017 ein massives Problem in Niedersachsen, so Greenpeace. Die Quittung zahlten letztlich die Bürgerinnen und Bürger bei der Wasserrechnung. Überdüngung gefährde nicht nur die Artenvielfalt und Gewässer, sondern auch das Trinkwasser.

Anreize zur besseren Verteilung des Wirtschaftsdüngers

Der landwirtschaftspolitische Sprecher der Liberalen im Bundestag, Dr. Gero Hocker , forderte indes erneut, für Betriebe und Regionen, die keine problematischen Nitratemissionen verursachen, Ausnahmen von Regelungen der Düngeverordnung zu schaffen. Ziel müsse es sein, Anreize zur besseren Verteilung des vorhandenen Wirtschaftsdüngers zu setzen. Hocker kündigte dazu einen Antrag seiner Fraktion an.

Enttäuscht reagierte der FDP-Politiker auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage seiner Fraktion. Die drängendsten Fragen der Landwirte blieben unbeantwortet. Wiederholt verweise die Bundesregierung auf die laufenden Gespräche mit der EU-Kommission zu einer Änderung der Düngeverordnung. Wofür sie sich einsetze, bleibe jedoch offen, obwohl das die hiesigen Landwirte „zu Recht interessiere“, so Hocker.

Erstaunt zeigte sich der FDP-Agrarsprecher von der Unkenntnis der Regierung darüber, wie sich der Transport von Wirtschaftsdüngern aus Tierhaltungs- in Ackerbauregionen in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Für ihn liegt jedoch gerade in dieser Frage ein wesentlicher Ansatz für praxisgerechte Lösungen, um die Nährstoffe dort einzusetzen, wo sie gebraucht werden. Die Bundesregierung sei jedoch nicht einmal in der Lage, die Auswirkungen der jetzigen Düngeverordnung auf den Transport von Wirtschaftsdüngern und damit die Lösung bestehender Probleme zu analysieren.

Stickstoffeffizienz vergleichsweise gering

Derweil stellte Thünen-Wissenschaftlerin Klages in einem Interview mit dem Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (BZL) fest, dass sich auch nach dem Nitratbericht von 2016/17 die Grundwasserbelastung durch Nitrat nicht ausreichend vermindert habe.

Zwar räumte die Expertin ein, dass die Wirkung der mit der jüngsten Novelle der Düngeverordnung beschlossenen Maßnahmen erstmittel- bis langfristig im entnommenen Wasser gemessen werden könne. Unabhängig davon sei jedoch die Stickstoffeffizienz der Düngung vergleichsweise gering. So gelange mehr als die Hälfte des aufgebrachten Stickstoffs in Form erhöhter Nitratauswaschungen ins Grundwasser oder werde als Ammoniak oder Lachgas emittiert.

Die Wissenschaftlerin warnte vor halbherzigen Lösungen bei der Änderung der Düngeverordnung, die letzten Endes auch nicht im Interesse der Landwirte lägen. So hätten bereits in der Vergangenheit Kompromisse „zum scheinbaren Wohle der Landwirte“ dazu geführt, dass bei den Düngeregeln kontinuierlich habe nachgebessert werden müssen

 „Prinzipiell eine gute Sache“

Zurückhaltend äußerte sich Klages zur Kritik an dem vorgesehenen pauschalen Düngeabschlag in den roten Gebieten. Sie wies darauf hin, dass eine Verminderung der Düngungshöhe um 20% nicht gleichzeitig zu einem 20 % geringeren Ertrag führe. Allerdings könne es bei bestimmten Kulturen wie Brotweizen und Gemüse je nach Sorte zu Qualitätseinbußen kommen, bestätigte die Wissenschaftlerin.

Für gerechtfertigt hält Klages die Forderung nach einer generellen Abschaffung der Herbstdüngung. Der vorgeschlagene zwingende Anbau einer Zwischenfrucht im Herbst ist aus ihrer Sicht ebenso „prinzipiell eine gute Sache“ wie die schlagbezogene Anwendung der 170 kg-Obergrenze, die zur Steigerung der Düngeeffizienz beitragen könne.

Nicht zielführend sei hingegen die vorgeschlagene Abschaffung des Nährstoffvergleichs, der gerade bei der Ausbringung von höheren Mengen an organischen Düngern einen wichtigen Kontrollmechanismus darstelle.

AgE
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