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19.06.2015 | 10:30 | Grexit 

Schuldenstreit mit Griechenland - Drama in sechs Akten

Berlin - Ein kleines Land im Südosten Europas beschäftigt die ganze Welt - und das seit mehr als fünf Jahren. Die immer wieder drohende Staatspleite Griechenlands und die Rettungsbemühungen der Euro-Partner bestimmen mit das Auf und Ab an den Finanzmärkten.

Grexit
Am Anfang der griechischen Euro-Mitgliedschaft stand ein Betrug. Hätten die Griechen nicht partout den Euro haben wollen, hätten sie sich und den Euro-Partnern einen langen und quälenden Streit erspart. (c) proplanta
Zur wirtschaftlichen Bedeutung Griechenlands - das Land hat etwa die Wirtschaftsleistung Hessens - steht die Aufmerksamkeit eigentlich in keinem Verhältnis. Eigentlich. Denn es geht im Fall Griechenlands, das mit einer gehörigen Portion Betrug und Selbstbetrug 2001 dem Euro-Club beitrat, um nicht weniger als die Glaubwürdigkeit des historisch beispiellosen Projekts einer europäischen Währungsunion. Damit beginnt das Drama - im Verborgenen - längst vor dem Ausbruch der europäischen Schuldenkrise 2010.

1. Akt - Start der Währungsunion 1999

Nach jahrelangen Vorbereitungen startet die Währungsunion. Der Euro löst - für drei Jahre «nur» auf dem Papier - die nationalen Währungen in zunächst elf EU-Ländern ab. Weil es keinen EU- oder Euro-Finanzminister mit direktem Zugriff gibt, sollen vertragliche Regeln für Disziplin sorgen und die Stabilität des Euro gewährleisten.

Schon beim Start wurde bei der Einhaltung der eigentlich strengen Regeln hier und da ein Auge zugedrückt. So ist der Schuldenberg, der eigentlich nur 60 Prozent der Wirtschaftsleistung eines Landes ausmachen darf, zum Beispiel im Falle Italiens erheblich zu hoch. Weil aber als undenkbar gilt, dass ein Gründungsmitglied der EU beim Euro außen vor bleibt, darf Italien mitmachen. Die Hoffnung dabei: Die Zinsen, die am Kapitalmarkt bei Aufnahme neuer Schulden fällig werden, sind zum Euro-Start gesunken und sollten hoch verschuldeten Ländern helfen, ihren Schuldenberg allmählich zu reduzieren. Die Hoffnung trog allerdings: Die sinkenden Zinsen wurden nirgendwo konsequent zur Sanierung der Staatsfinanzen genutzt - sondern flossen in den Staatskonsum.

2. Akt - Beitritt Griechenlands 2001

Jahre später kam heraus, dass die Griechen 2001 nur mit frisierten Zahlen zum Haushaltsdefizit als zwölftes Mitglied in den Euro-Club aufgenommen wurde, ein Jahr vor der Einführung des Euro-Bargeldes. Die Griechen hatten Defizitwerte deutlich unter der erlaubten Höchstmarke von 3 Prozent der Wirtschaftsleistung angegeben; tatsächlich lagen sie aber zum Teil deutlich darüber. In Brüssel wurde offen von «Betrug» gesprochen - aufgefallen war der Schwindel allerdings den Verantwortlichen in der Eurozone auch nicht. Und juristische Möglichkeiten, die Mitgliedschaft Griechenlands im Euro-Raum infrage zu stellen, gab es nicht.

Unbedingt den Euro zu bekommen, das war für viele Länder im Süden erstrebenswert. Allerdings haben sich nicht alle Volkswirtschaften damit einen Gefallen getan, ihre «weichen» Währungen wie die italienische Lira, die spanische Peseta, den portugiesischen Escudo oder die griechische Drachme durch den «harten» Euro zu ersetzen. Denn der Verzicht auf eine «weiche» Währung, die gegenüber den «harten» wie D-Mark oder Dollar an Wert verloren und damit Exporte erleichtert hatte, machte die eigenen Produkte am Weltmarkt teurer, half also der heimischen Wirtschaft nicht.

Am Beispiel der DDR-Wirtschaft und der Einführung der D-Mark hätte besichtigt werden können, zu welcher Schocktherapie solch eine Währungsunion führt. Für den Präsidenten des Forschungsinstituts DIW, Marcel Fratzscher, ist Griechenland denn auch heute in derselben Lage wie damals die Ex-DDR. «Es hat keine wettbewerbsfähigen Produkte oder kaum, außer Tourismus und ein bisschen Landwirtschaft, aber es hat nicht wirklich eine Industriestruktur.» Als größtes Problem sieht er aber, «dass es nicht wirklich gut funktionierende öffentliche Institutionen gibt». In der Schuldenkrise zeigten sich die Folgen schonungslos. Nur ein Beispiel: Athen versucht seit Jahren vergeblich, Milliarden-Steuerschulden einzutreiben.

3. Akt - Defizitsünden

Ausgerechnet Deutschland, die größte Volkswirtschaft im Euroland, hat im neuen Währungssystem Probleme mit der Haushaltsdisziplin. Von 2002 an handelt sich Berlin mit Serienverstößen gegen die Eurospielregeln viel Ärger in Brüssel ein.

Deutschland habe zu wenig getan, um seine Finanzpolitik ausreichend zu konsolidieren, lautete der Vorwurf der EU-Kommission. Auch die Nummer zwei, Frankreich, zeigt sich als stetiger Defizitsünder. Eine Verschärfung der Strafprozedur wurde im EU-Ministerrat indes stets abgeblockt. Der Stabilitätspakt, der mit seinem strikten Zwang zur Finanzdisziplin ausgerechnet auf Drängen Deutschlands zustande gekommen war, wird gelockert. Die Europäische Zentralbank fürchtet, dass es nun andere Euro-Länder auch nicht mehr so genau nehmen könnten mit der Haushaltsdisziplin.

4. Akt - Finanzkrise und globale Rezession 2008/09

Nachdem die Währungsunion in einer wirtschaftlichen Schönwetterzeit gestartet war - zieht nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers rund zehn Jahre später ein Donnerwetter auf: Die gesamte Welt stürzt in eine Rezession und viele Staaten müssen ihr Bankensystem mit Milliarden vor dem Kollaps bewahren. Schwächere Volkswirtschaften überwiegend an der südlichen Peripherie Europas sind damit überfordert. Sie fallen in eine zum Teil mehrjährige Durststrecke, unter deren Folgen - wie einer ausufernde Arbeitslosigkeit - die Menschen zum Beispiel Spanien und Griechenland noch immer leiden.

5. Akt - Staatsschuldenkrise 2010

Die Folgen der Rezession - wegbrechende Steuereinnahmen, steigende Sozialausgaben und in einzelnen Fällen Rettungsmilliarden für Banken - zwingen den ein oder anderen Staatshaushalt in die Knie. Zudem verloren Investoren das Vertrauen, dass Krisenländer wie Griechenland ihre Schulden überhaupt zurückzahlen können. Deswegen mussten diese Länder immer höhere Zinsen aufbringen, um überhaupt Käufer für Anleihen zu finden, was wiederum die Schulden in die Höhe trieb - ein Teufelskreis.

In kurzer Folge mussten nach Griechenland auch für Portugal, Irland und Zypern internationale Hilfsprogramme aufgelegt werden - jeweils gegen strenge Reform- und Sparauflagen der Geldgeber. Spanien erhielt Milliardenhilfen zur Sanierung des Bankensystems. Fast alle Krisenländer haben inzwischen ihre Hilfsprogramme erfolgreich beendet und sind mehr oder weniger auf Erholungskurs - mit Ausnahme Zyperns und eben Griechenlands.

6. Akt - Die Griechen haben genug vom Sparen

Mehr als jeder vierte arbeitslos, gekürzte Renten und Sozialleistungen - Die mehrjährige Rezession und die Sparauflagen der internationalen Geldgeber hinterlassen in vielen griechischen Familien schlimme Spuren. Die bisherigen Hilfszusagen summieren sich zwar auf 240 Milliarden Euro. Aber die Bevölkerung gleitet massenhaft ins Elend ab. Bei der Wahl im Januar spült der wachsende Unmut darüber die Protestpartei Syriza nach oben - und an die Macht. Ihr Parteichef Alexis Tsipras will als Ministerpräsident keine weiteren Spar- und Reformauflagen mehr hinnehmen, die von den Griechen zunehmend als Diktat und Demütigung empfunden werden und geht auf Konfrontationskurs mit den übrigen Euro-Partnern.
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