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06.08.2010 | 03:00 | Getreidemarkt  

«Weizen macht Sie reich»: Spekulanten treiben Agrarpreise

München - Die rasant steigenden Preise für Agrar-Rohstoffe wie Weizen, Mais und Kakao locken weltweit Spekulanten aus der Reserve.

«Weizen macht Sie reich»: Spekulanten treiben Agrarpreise
Je geringer die Ernte in den großen Anbaugebieten ausfällt, desto erfolgreicher schüren sie Sorgen vor einer Verknappung der Lebensmittel und versprechen Anlegern hohe Renditen.

Das am Donnerstag von Russland verhängte Exportverbot für Getreide wird die Lage nach Einschätzung von Experten noch deutlich verschärfen. «Momentan wird der Markt von der Angst bestimmt», sagte der Agrar- Analyst der Commerzbank, Eugen Weinberg, der Nachrichtenagentur dpa. Im Internet heizen Finanzanlagedienste die Stimmung seit Monaten an. «Weizen macht Sie reich!» wirbt ein Geldanlage-Verlag und verspricht: «Der Rohstoff-Boom geht erst richtig los.»

Der steigenden Nachfrage stehe eine Verknappung der Rohstoffe gegenüber. «Das sorgt für steigende, ja explodierende Preise.» Spekulanten sind zwar nach Ansicht von Weinberg nicht Auslöser des aktuellen Anstiegs der Rohstoffpreise. «Aber die Spekulanten können die Bewegung beschleunigen.»

Nach Einschätzung des größten europäischen Agrarhandelskonzerns BayWa tragen sie auf einigen Märkten schon mehr zur Preisentwicklung bei als die Erntemenge oder die Nachfrage. «70 Prozent ist den Spekulanten geschuldet», sagte Vorstandschef Klaus Josef Lutz am Donnerstag in München.

Besonders bei Weizen ist die Lage durch die Jahrhundertdürre in Russland und Überschwemmungen in Kanada, die zu den wichtigsten Erzeugerländern zählen, ohnehin angespannt. Schon vor dem von Russland verhängten Exportverbot waren die Weizen-Preise um 50 Prozent gestiegen.

Auch in Deutschland und Frankreich wird die Ernte in diesem Jahr geringer ausfallen als erwartet. Einen Engpass mit einer drohenden Hungerkatastrophe sehen Experten aber nicht kommen. «Es gibt noch ausreichend Vorräte», sagt Weinberg. Allerdings versuchen auch die Bauern vom Preisanstieg zu profitieren.

Der Agrarkonzern BayWa registriert vor allem bei den Landwirten im Westen Deutschlands derzeit Zurückhaltung beim Verkauf von Getreide. Lutz appellierte an die Bauern, nicht auf ständig weiter steigende Preise zu spekulieren. «Wir wollen vermeiden, dass es zu einem Katzenjammer kommt.» Neu sind Geldanlagen auf den Agrarmärkten zwar nicht - Klassiker wie den CRB Rohstoffindex, mit dem auch Privatanleger am weltweiten Markt für Rohöl, Erdgas, Sojabohnen oder Baumwolle teilhaben, gibt es bereits seit mehr als 50 Jahren.

Neu ist aber das massive Engagement von großen Investoren, die mit Milliardensummen mitmischen und damit die Preise in die Höhe treiben. Höhepunkt war vor wenigen Wochen ein britischer Hedgefonds, der auf einen Schlag sieben Prozent der weltweiten Ernte an Kakaobohnen gekauft und eingelagert haben soll, um sie rechtzeitig zur weihnachtlichen Hauptsaison mit sattem Gewinn an die Schokoladenhersteller zu verkaufen.

Die Branche beklagt seit Monaten, dass der wichtigste Rohstoff der Schokolade zum Spielball der Spekulanten geworden sei. Früher konnten sich die Hersteller die künftige Preisentwicklung des Kakaos anhand der Informationen über die Ernte und anderen Indikatoren noch selbst ausrechnen, jetzt sei dieses Wissen obsolet geworden. Ähnlich ergeht es auch den Bäckern.

Missernten und Rohstoff-Spekulanten führten zu einem schwer kalkulierbaren Mix für die Bäcker, warnt der bayerische Handwerkspräsident Heinrich Traublinger, der das Bäckerhandwerk vor 50 Jahren lernte und sich heute wegen der volatilen Rohstoffmärkte mit Themen wie Risiko-Management auseinandersetzen muss. Die Banken versprechen sich von dem Handel mit Rohstoffen in Zukunft sogar noch bessere Geschäfte.

Die US-Großbank J.P. Morgan kaufte sich vor kurzem für 1,7 Milliarden Dollar große Teile des Rohstoffhändlers RBS Sempra und schnappte ihn damit der Deutschen Bank weg, die ebenfalls ihr Handelsgeschäft mit Rohstoffen ausbauen will. Die Politik will dem zunehmenden Rohstoffhandel aber nicht tatenlos zusehen.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sprach sich bereits im Frühjahr für einen internationalen Schulterschluss aus, um den Rohstoffhandel von Banken zu regulieren. Bei einem nationalen Alleingang Deutschlands würden sich die Spekulanten nach Ansicht von Agrar-Manager Lutz im Handumdrehen ein anderes Feld suchen. «Das ist ein globales Spiel.» (dpa)


Hintergrund

Agrar-Rohstoffe: Wovon hängen die Preise ab?

Der Preis für Weizen schießt wieder in die Höhe, bei Kaffee und Kakao sieht es ähnlich aus. Erinnerungen an die Hungerkrise 2008 werden wach, als explodierende Rohstoffpreise katastrophale Folgen in Entwicklungsländern hatten.

Wovon hängt ab, wie sich die weltweiten Preise für Weizen, Reis oder Kaffee entwickeln? Zum einen von der schwankenden Nachfrage - vor allem auf den riesigen Märkten China und Indien. Zudem von der Menge und der Qualität des Angebots: Gibt es Missernten, Überschwemmungen oder riesige Brände wie in Russland, können die Preise innerhalb kürzester Zeit explodieren. Wie jetzt beim Weizen, dessen Preis seit Ende Juni um mehr als 50 Prozent gestiegen ist.

Die Preise für Agrar-Rohstoffe können sich auch gegenseitig beeinflussen: Wird ein Rohstoff knapp, kann das eine Kettenreaktion im gesamten Sektor auslösen. Beispielsweise kann statt teurem Mais Weizen oder Gerste verfüttert werden - mit Konsequenzen für den Preis. Auch der Ölpreis spielt eine Rolle: Ist Öl teuer, müssen die Händler steigende Kosten für Rohstoff-Transporte aus weit entfernten Gegenden einkalkulieren.

Die große Unbekannte sind Spekulanten: Sie investieren an Warenterminbörsen in Agrar-Rohstoffe und verknappen damit das Angebot. So können sie den Trend zu steigenden Preise verstärken. Experten zufolge hat der Einfluss von Spekulanten auf Rohstoffpreise in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Welchen Anteil sie aber tatsächlich an Preisexplosionen haben, ist umstritten.
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