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28.01.2024 | 08:15 | Strukturwandel 

Ich bin mit Leib und Seele Landwirt - Zu viel ist zu viel

Niddatal - Marktschwankungen, steigende Kosten und eine überbordende Bürokratie - für Bauer Michael Schneller gehören diese Schwierigkeiten zum Alltag.

Höfesterben
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Die Bauernproteste haben auch in Hessen viel Aufsehen erregt. Dabei geht es um weit mehr als nur um Agrardieselbeihilfen. Die Branche unterliegt einem harten Strukturwandel, deshalb gärt die Unzufriedenheit schon lange. Einfache Lösungen sind nicht in Sicht. (c) proplanta
Der 61-Jährige bewirtschaftet in Niddatal-Assenheim in der Wetterau einen Aussiedlerhof mit 125 Hektar Land, auf dem er Getreide, Raps und Zuckerrüben anbaut. Seinen Beruf liebt er, auch wenn Pläne wie die geplante Abschaffung von Steuerentlastungen beim Agrardiesel den Druck weiter erhöhten. «Ich bin mit Leib und Seele Landwirt», sagt Schneller - doch es brauche Entlastungen und ein «Bekenntnis zur Landwirtschaft», sonst bestehe die Gefahr, dass immer mehr Kollegen aufgeben.

Mit seinem Schlepper hatte sich der Kreislandwirt des Wetteraukreises in den vergangenen Wochen an den Bauernprotesten beteiligt, war auch mit dem Bus in Berlin - und er würde es wieder tun. Die Protestwoche sei «ein voller Erfolg» für die Landwirtschaft gewesen, ist er überzeugt. «Allein dass wir Präsenz gezeigt haben, auch die starke Solidarität untereinander, war für mich beeindruckend.» Jetzt sei es wichtig, «zu Lösungen zu kommen, die der Landwirtschaft wirklich helfen».

Wie weit der Strukturwandel in der Branche bereits fortgeschritten ist, kann Schneller direkt vor seiner Haustür sehen. Einst waren die umliegenden Ortsteile klassische Bauerndörfer mit besten Ertragschancen in der fruchtbaren Wetterau. Doch mittlerweile hat sich viel verändert: Viehhaltende Betriebe gebe es in der näheren Umgebung kaum noch, und die Zahl der Haupterwerbsbetriebe habe sich von früher um die zehn in Assenheim auf drei bis vier mehr als halbiert, sagt Schneller.

Die Gründe für diesen Wandel seien vielfältig: Häufig wollten Kinder einer Bauersfamilie den Hof allenfalls noch im Nebenerwerb weiterführen oder orientierten sich beruflich gleich in ganz andere Richtungen. Schneller findet das nachvollziehbar. Eine Flut teils sehr kleinteiliger Regelungen, etwa zu Aussaatzeiträumen, Pflanzenschutz und Düngung für jedes einzelne Stück Land, machten die Arbeit kompliziert - auch wenn diese sich dank moderner Maschinen heute mit weniger Händen und in viel kürzerer Zeit bewältigen lasse als früher.

Hinzu kämen Vorgaben zum Insekten- und Vogelschutz, zur Stilllegung von Ackerflächen oder zum Heilquellenschutz und vielen anderen Bereichen, die nicht immer nachzuvollziehen seien - obwohl sich Schneller selbst im Naturschutzbund Nabu engagiert und viel Wert auf einen pfleglichen Umgang mit der Natur legt.

Ablesen lassen sich diese vielfältigen Vorgaben über eine «Gebietskulisse», die verdeutlicht, dass Vorgaben für einen Acker schon auf einem benachbarten Stück Land wenige Meter weiter nicht mehr gelten. Nach getaner Feldarbeit müssen dann alle Arbeitsschritte feinsäuberlich dokumentiert werden, auch um Agrarfördermittel beantragen zu können, so dass wöchentlich einige Stunden an Büroarbeit anfallen. Wer falsche Angaben macht, dem drohen Sanktionen, denn die Arbeit auf der Scholle wird durch regelmäßige Satellitenaufnahmen und Kontrollen überwacht.

Viel Druck bringe zudem der scharfe Preiswettbewerb im globalisierten Agrarmarkt, sagt Schneller. Das bekommt er aktuell und ganz konkret an seinem im Silo eingelagerten Weizen aus dem vergangenen Jahr zu spüren. Mit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine waren die Weizenpreise teils drastisch auf um die 400 Euro pro Tonne gestiegen - jetzt liege der Preis mit gut 200 Euro je Tonne noch unter dem Vorkriegsniveau, weil derzeit massenhaft zollfreier Weizen aus der Ukraine auf den Markt komme.

Preisrückgänge von 20 bis 30 Euro je Tonne Weizen bedeuten für den Landwirt tausende Euro an Einnahmeeinbußen - und das bei deutlich gestiegenen Produktionskosten. Die Bauern seien bei vielen Produkten solchen Schwankungen ausgesetzt. Deshalb brauche es Unterstützung durch die Politik und weiterhin auch Beihilfen, sagt Schneller.

Von seinen Erträgen von rund 300.000 Euro bleiben dem Landwirt pro Jahr zwischen 50.000 und 100.000 Euro übrig, das schwanke stark von Jahr zu Jahr, sagt Schneller. Davon gehen jedoch noch Posten wie die Sozialversicherung und die Verzinsung für das eingesetzte Kapital ab, das in Gebäuden, Maschinen und im Grund und Boden stecke, sowie Investitionen ab.

Die geplante Abschaffung der Steuerrückerstattung beim Agrardiesel würde ihn etwa 2.000 bis 3.000 Euro jährlich kosten, erwartet Schneller. «Sicherlich ist das jetzt nicht ein Betrag, der bei mir die Existenz vernichtet.» Doch es sei «wieder ein Baustein, der uns im europäischen Wettbewerb weiter schwächt». Dass seine Frau anderweitig berufstätig sei, sei hilfreich. Wer aber allein vom bäuerlichen Einkommen eine Familie ernähren müsse, habe es meist schwer.

Protestforscher Felix Anderl vom Zentrum für Konfliktforschung der Marburger Philipps-Universität findet die Sorgen der Bauern grundsätzlich nachvollziehbar. Als Gründe für die Frustration sieht er eine reale und jahrzehntelange Vernachlässigung des ländlichen Raums sowie eine bisher fehlende nachhaltige Transformation der Landwirtschaft.

«Genau für so einen Transformationsprozess sind ja Subventionen gemacht», sagt der Wissenschaftler, der auf Konflikte um Land, Ernährung und ländliche Entwicklung spezialisiert ist. Sie müssten zielgerichtet eingesetzt werden, um etwa Ställe tierwohlgerecht umzugestalten, den Landbau ökologischer auszurichten, und auch bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Dafür seien auch auskömmliche Erzeugerpreise erforderlich, die mit einer Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel abgefedert werden könnten.

Als konstruktiv wertet Anderl die Vorschläge der Borchert-Kommission, die in ein Gesetzespaket zur Stärkung der Landwirtschaft einfließen sollen und als Grundlage für Verhandlungen zwischen Landwirten und Politik dienen könnten. Dass Lösungen und Veränderungen nötig sind, sei unbestritten - auch um zu verhindern, dass zunehmend antidemokratische Kräfte die Proteste für sich instrumentalisieren, was teils bereits geschehen sei. Noch größer aber ist Anderls Sorge, dass der gesamte Berufsstand angesichts der gärenden Unzufriedenheit zusehends nach rechts rücken könnte. Das gelte es zu verhindern, auch mit konkreten Zielsetzungen für ein anderes Agrarsystem. «Letztlich betrifft die Landwirtschaft alle», sagt der Wissenschaftler.
dpa/lhe
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