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16.09.2023 | 06:08 | VW-Dieselprozess  

VW-Dieselprozess in Braunschweig nach zwei Jahren weiter zäh

Braunschweig - Der große Betrugsprozess zur VW-Dieselaffäre in Braunschweig kommt auch nach zwei Jahren nur zäh voran. Nach mittlerweile mehr als 85 Verhandlungstagen werden in der Stadthalle weiter Zeugen befragt, und eine Entwicklung lässt sich nur schwer abschätzen.

Wirtschaftsskandal
Mit großen Erwartungen wurde auf den Betrugsprozess zur Dieselaffäre bei VW gewartet. Nach zwei Jahren Verhandlung in Braunschweig fällt die Bilanz ernüchternd aus. Ein großer Name fehlt weiter, die Spannung scheint raus, das Interesse ist weg. (c) liveostockimages - fotolia.com
Spektakulär geht anders: Zum Auftakt in den großen Betrugsprozess zur Dieselaffäre bei Volkswagen scherzten Beobachter über die eher langweilige Farbgebung «Braun in Braun» in der Braunschweiger Stadthalle. In den sanierungsbedürftigen Bau war das Landgericht aus Platzgründen umgezogen. Das Interesse an «Dieselgate» und den mutmaßlichen Protagonisten aus dem VW-Konzern war riesig. Zwei Jahre später wirkt es, als hätten sich das nüchterne Ambiente und das Verfahren einander angepasst.

Am 16. September 2021 ist die Tribüne - soweit es die Corona-Einschränkungen erlaubten - voll besetzt. Vor der Tür scharen sich TV-Teams aus mehreren Ländern. Die Erwartungen an die strafrechtliche Aufarbeitung eines der größten deutschen Wirtschaftsskandale waren hoch, hatten aber zu diesem Zeitpunkt schon den ersten großen Dämpfer kassiert. Denn die eigentliche Hauptperson fehlte, der Prozess fing ohne den früheren VW-Konzernchef Martin Winterkorn an.

Zunächst wird also nur gegen vier Ex-Führungskräfte des Wolfsburger Autobauers verhandelt. Die Anklage wirft den Ingenieuren und Managern vor, tief in die Entwicklung und den Einsatz der Manipulations-Software in Millionen Fahrzeugen verstrickt gewesen zu sein. Wegen gewerbs- und bandenmäßigem Betrugs drohen ihnen weiterhin bis zu zehn Jahre Haft.

Aufgeflogen war der Skandal im September 2015, als die US-Umweltbehörde EPA über Manipulationen bei Abgastests von Dieselautos informierte. Der Vorstandschef trat zurück und eine Industriekrise ungeahnten Ausmaßes nahm ihren Lauf. Die Vorwürfe gegen ihn wies Winterkorn später zurück und beteuerte, vor dem Bekanntwerden der Manipulationen nichts von illegalem Tun gewusst zu haben.

Aufgrund eines medizinischen Gutachtens war der Verfahrenskomplex gegen den mittlerweile 76-Jährigen abgetrennt worden. Sowohl die Verteidiger der übrigen Angeklagten als auch die Staatsanwaltschaft kritisierten dies damals scharf. Das Interesse der Öffentlichkeit an einem Prozess ohne Winterkorn nahm rapide ab. Zwar wird die Frage der Verhandlungsfähigkeit Winterkorns nach Angaben eines Gerichtssprechers derzeit erneut überprüft. Ob und wann gegen den früheren VW-Chef verhandelt wird, bleibt aber völlig offen.

Mit dem ersten strafrechtlichen Urteil im Diesel-Skandal in Deutschland hatte das Landgericht München den früheren Audi-Chef Rupert Stadler und zwei Mitangeklagte wegen Betrugs zu hohen Bewährungsstrafen verurteilt. Rechtskräftig ist dies aber nicht, Revision wurde eingelegt.

Volkswagen selbst betont in diesen Tagen auf Nachfrage erneut, dass die strafrechtlichen Verfahren gegen den Konzern in Deutschland abgeschlossen sind. Die Kosten für die «Folgen der Dieselthematik» beziffert der Autobauer weiterhin auf etwa 32 Milliarden Euro. Am Prozessmarathon in der Braunschweiger Stadthalle ist VW aber nicht beteiligt. Dort sind mittlerweile mehr als 85 Verhandlungstage absolviert und ein aktueller Stand nur schwer greifbar. Nach coronabedingten Verschiebungen zu Beginn bremste zuletzt auch eine Elternzeit das Verfahren aus. Ein Großteil der als maßgeblich geltenden Zeugen machte von ihrem Recht Gebrauch, die Aussage zu verweigern.

Andere Vernehmungen bringen so gut wie nichts. Teils wirken die Richter genervt und es wurde auch schon laut im Saal. Bei einer Befragung im April beispielsweise machte der Vorsitzende Richter Christian Schütz deutlich, dass er mit den Aussagen nicht einverstanden ist und aus seiner Sicht eine Prüfung von Ermittlungen wegen uneidlicher Falschaussage nötig wird. So bleibt der Prozess geprägt von gegenseitigen Schuldzuweisungen, Erinnerungslücken und teils auch hitzigen Wortgefechten.

Wer in diesen Tagen in die Stadthalle nach Braunschweig kommt, erlebt aber einen Prozess, der alles andere ist als spektakulär. Die Richter sitzen auf der Bühne, die Angeklagten, ihre Verteidiger und die Staatsanwaltschaft sind großflächig verteilt im Saal. Auf die Tribüne kommen nur noch vereinzelt Beobachter. Das Zeugenprogramm wird abgespult. Immerhin kommt das Verfahren voran.

Noch weit weg scheint dagegen eine Klärung für die zahlreichen weiteren Beschuldigten im Braunschweiger Ermittlungskomplex. Nach Auffliegen des Skandals ermittelte die Staatsanwaltschaft zunächst gegen 96 Beschuldigte, wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilte. 29 davon sind ihm zufolge in insgesamt vier Verfahren am Landgericht angeklagt. Gegen weitere 19 Beschuldigte liegt das Verfahren aber immer noch bei der Staatsanwaltschaft.

Auf der anderen Seite hat sich die Dieselaffäre für die Hälfte der ursprünglich Beschuldigten mittlerweile erledigt. Bei 48 erfolgte eine vorläufige Einstellung. Davon sind wiederum 43 bereits endgültig, weil die entsprechenden Auflagen erfüllt wurden. Zur Höhe der verhängten Geldauflagen will die Staatsanwaltschaft aber keine genauen Angaben machen.

Klar ist derzeit nur, dass für den großen Betrugsprozess zur Dieselaffäre bei Volkswagen weitere Termine bis in den August 2024 hinein geplant sind. Ein Ende ist für die vier Angeklagten in naher Zukunft nicht absehbar. Irgendwann könnte es aber aus einem anderen Grund eng werden. Ab Ende 2024 soll die Stadthalle saniert werden.
dpa
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