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10.09.2014 | 15:08

Haushaltsmüll und Geisternetze bedrohen Meeresbewohner in Ostsee

Müll im Meer
(c) proplanta

Taucher bergen Geisternetze von Wracks in der Ostsee



Socken oder Skateboards aus alten Fischernetzen? In der deutschen Ostsee bergen Taucher sogenannte Geisternetze aus Kunststoff. Sie gelten als Gefahr für die Meeresumwelt. An Land könnten sie aber nützlich sein und zu neuen Produkten recycelt werden.

Über den Sprechfunk dringen die Atemgeräusche von Taucher Jochen Firzlaff (35) an Bord der «Seefuchs». «Weiter durchholen», sagt der Taucher und dirigiert so aus 16 Meter Tiefe über Sprechfunk die Männer an der Winde des Bergungsschiffs.

Quietschend und Meter für Meter ziehen sie das Stahlseil über die Rolle, bis sich am Haken ein Klumpen Netz zeigt - samt hängen gebliebener alter Schiffslampe.

Im November 1973 sank der Fischkutter «Friedrich Engels» rund vier Seemeilen vor Sassnitz auf Rügen. «Das Schiff lag in stürmischer See quer zur Welle, war bis zur Oberkante beladen», berichtet der Unterwasserarchäologe und Mitarbeiter des Deutschen Meeresmuseums, Thomas Förster. Seitdem gilt das Wrack anderen Fischern als Hindernis. Mindestens vier Schleppnetze haben sich seit dem Untergang an dem Kutter verfangen.

Für Meeresbiologen und Umweltschützer sind die Kunststoffnetze, wie sie seit rund 40 Jahren flächendeckend im Einsatz sind, ein nicht zu unterschätzendes Problem. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (Unep) geht davon aus, dass rund ein Zehntel der jährlich in die Meere gelangenden Abfälle herrenlose Fischereiausrüstung ist.

«Die Netze bestehen aus Kunststoff, verrotten nicht, sondern dröseln sich auf und setzen kleine Mikropartikel, Weichmacher oder Flammschutzmittel frei, die in das Meer gelangen», sagt Florian Hoffmann vom WWF-Ostseebüro in Stralsund. Diese Stoffe gelangten in die Nahrungskette und letztlich auch auf den Teller. Zudem verfangen sich Fische oder auch Meeressäuger in den Netzen. Gemeinsam haben WWF, Meeresmuseum und der Verein «Archaeomare» nun ein Pilotprojekt gestartet, um Kunststoffnetze aus der Ostsee zu bergen.

Plastikabfall trägt Schätzungen zufolge zu 75 Prozent zum Müllproblem in den Meeren bei. Aktuell werden nach Angaben des Branchenverbandes PlasticsEuropewelt jährlich weltweit etwa 288 Millionen Tonnen synthetische Polymere produziert - mit steigender Tendenz. Nach verschiedenen Schätzungen gelange bis zu zehn Prozent des produzierten Plastiks als Abfall in das Meer, sagt Stefanie Werner vom Umweltbundesamt.

Allein um Rügen haben die Wissenschaftler des Meeresmuseums und Mitarbeiter des WWF im vergangenen Jahr 28 Wracks identifiziert, an denen Kunststoffnetze hängen. Das Bundesamt für Seeschifffahrt (BSH) hat rund 100 mit Netzen belegte Schiffswracks in den Schifffahrtsstraßen der deutschen Ostsee markiert. WWF und Meeresmuseum gehen von weit höheren Zahlen aus.

«Viele der mit Netzen behangenen Wracks liegen außerhalb der Schifffahrtswege und wurden bislang nicht dokumentiert», sagt Förster. Vor der Küste Polens haben Umweltschützer mit einer Netzegge über zwei Jahre rund 27 Tonnen Netze aus dem Meer gesammelt.

Mit Messern, Sägen und Zangen gehen die Taucher gegen die spinnennetzartig verknoteten Netze vor. Zunächst müssen sie unter anderem Drähte und Seile durchtrennen, damit sie das Kunststoffgespinst überhaupt vom Wrack lösen können. In den vergangenen vier Tagen haben sie so nur an zwei Wracks vor Rügen rund eine Tonne Netze aus dem Wasser geholt. «Es ist viel mühseliger als wir gedacht haben», sagt Förster. Zudem haben sich über die einzelnen Jahrzehnte vielmehr Netze an den Wracks festgemacht als ursprünglich angenommen. Sind die Netze geborgen, sollen die Kunststoffe analysiert werden.

Ziel sei es, die alten Netze ortsnah zu recyceln und aus ihnen Gebrauchsgegenstände zu produzieren, sagt Florian Hoffmann. «In Chile entstehen aus ihnen Skateboards, aus alten Nordseenetzen werden Socken produziert.»

Die Taucher wollen die Fischer mit ihrer Aktion mit ins Boot holen - nicht einfach, seitdem Umweltschützer und Fischer wegen der Fischfangquoten regelmäßig im Streit liegen. «Wir wollen die Fischer animieren, die Netzverluste zügig zu melden», sagt Förster. So ließen sich solche Netze schneller und einfacher bergen und vielleicht könnten sie sogar weiter genutzt werden. Allein ein Schleppnetz koste zwischen 10.000 bis 30.000 Euro. (dpa)
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