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20.01.2010 | 05:36 | Grüne Woche 2010 

Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner: "Jetzt erst recht!"

Berlin - Mit ihrem hochkarätig besetzten „Global Forum for Food and Agriculture Berlin 2010“ vom 14. bis 16. Januar hat sich die Internationale Grüne Woche einmal mehr als Impulsgeberin für die globale Agrar- und Ernährungspolitik erwiesen:

Grüne Woche 2010
(c) proplanta
Politiker, Wissenschaftler und Wirtschaftsexperten aus der ganzen Welt haben sich auf den zahlreichen Fachveranstaltungen des dreitägigen Forums zum Thema „Landwirtschaft und Klimawandel – neue Konzepte von Politik und Wirtschaft“ ausgetauscht. Zum Abschluss des Forums standen am Samstag gleich drei Top-Veranstaltungen auf dem Programm: Das Internationale Agrarministerpodium im ICC Berlin, das Internationale Wirtschaftspodium in der Akademie der Künste und der Berliner Agrarministergipfel 2010 in der DZ Bank.

 
Agrarministergipfel: Startschuss für weltweite Klimaschutz-Initiative

Rund 50 Agrarministerinnen und -minister und damit doppelt so viele wie im Vorjahr waren der Einladung von Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner gefolgt, um auf dem Berliner Agrarministergipfel 2010 den Startschuss für eine internationale Klimaschutz-Initiative zu setzen. Mit ihrer Hilfe soll die Landwirtschaft weltweit so umgestaltet werden, dass sie klimafreundlich und gleichzeitig produktiv genug ist, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. „Wir sollten Kopenhagen zum Anlass nehmen für ein „Jetzt erst recht!“, sagte die Ministerin bei der Vorstellung des Abschlussdokuments, dessen Unterzeichner rund die Hälfte der Weltbevölkerung repräsentieren. Die Teilnehmer des Agrarministergipfels, den Aigner im Rahmen der Internationalen Grünen Woche 2009 ins Leben gerufen hatte, verpflichten sich darin, ihren Beitrag zur Minderung der Treibhausgasemissionen und zur Anpassung der Landwirtschaft an den Klimawandel zu leisten. Jedes Land soll seinen Agrarsektor analysieren und alle klimarelevanten Prozesse auf den Prüfstand stellen. Gefördert werden sollen unter anderem der Einsatz erneuerbarer Energien, die Kohlenstoffspeicherung in den Böden, die Vernetzung der internationalen Agrarforschung, die Ausbildung und Beratung für Landwirte und der internationale Technologietransfer. Die Ministerinnen und Minister verständigten sich darauf, ein globales Netzwerk zu schaffen, in das jedes Land seine Erkenntnisse und Erfahrungen zum Klimaschutz einbringen kann. Aigner will das High Level Panel for Experts des FAO-Ausschusses für Ernährungssicherheit davon überzeugen, noch in diesem Jahr eine Studie aufzulegen, die klärt, wie die Landwirtschaft zur Ernährungssicherheit und gleichzeitig zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen kann. Auch bei anderen internationalen Prozessen wollen die Minister die Themen Welternährung und Klimaschutz weiter vorantreiben, etwa bei der Agrarministerkonferenz der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Februar 2010 in Paris.

Wie wichtig der gegenseitige Austausch bei der Bekämpfung dieser globalen Herausforderung ist, hob Chinas Vize-Landwirtschaftsminister Dun Niu hervor: „Wir konnten aus den Gesprächen hier in Berlin zahlreiche Informationen mitnehmen und sind sehr zufrieden; dieser Austausch ist für uns eine seltene Gelegenheit, und wir werden unseren Kabinettskollegen alle Erkenntnisse sowie die Ergebnisse des Gipfels vortragen,“ so der Vertreter Chinas. Auch Burkina Fasos Agrarminister Laurent Sédogo betonte die Bedeutung der Internationalen Grünen Woche als Plattform zum Erfahrungsaustausch: „Unseren Landwirten hat die Messe sehr gut gefallen; sie konnten hier über viele Themen diskutieren und sehen, wie es möglich ist, die Qualität ihrer Produkte zu verbessern.“ Beide Minister hatten – wie auch ihre Kollegen aus der Ukraine, Russland und den Niederlanden – bereits am Morgen als Diskussionsteilnehmer am Internationalen Agrarministerpodium teilgenommen, zu dem über 1.000 Expertinnen und Experten aus der ganzen Welt ins Berliner ICC gekommen waren.


Internationales Agrarministerpodium: Landwirtschaft ist Teil der Lösung

Auf den Zusammenhang von Klimawandel, Landwirtschaft und Welternährung wies Alexander Müller, stellvertretender Generaldirektor der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen – FAO –, in seiner Eingangsrede hin: „Wir können die Welternährung nicht sichern, wenn wir den Klimawandel nicht in den Griff bekommen; und wir werden den Klimawandel nicht in den Griff bekommen, wenn die Landwirtschaft dabei nicht eine zentrale Rolle spielt.“ Bereits heute hungern mehr als eine Milliarde Menschen; bis 2050 wird die Weltbevölkerung um 3 Milliarden auf über 9 Milliarden Menschen anwachsen. Um diese zu ernähren, müsste die weltweite Nahrungsmittelproduktion laut FAO um 70 Prozent gesteigert werden. Doch sorge die globale Erwärmung in zahlreichen Ländern für sinkende landwirtschaftliche Erträge und die Ausbreitung von Tierkrankheiten. Aufgabe der Politik sei es, die Landwirtschaft auf den Klimawandel vorzubereiten, so Müller – durch neue Finanzierungsinstrumente und geeignete Anpassungsstrategien, die eine Steigerung der Produktion ermöglichen.
 
Hier scheint Russland bereits auf einem guten Weg zu sein: „Wir haben ein Programm aufgelegt, um die Produktivität unserer Landwirtschaft bis 2020 um 40 Prozent zu steigern“, sagte die russische Agrarministerin Jelena Skrinnik. Dabei setze man auf ressourcenschonende und energieeffiziente Technologien. Auch habe ihr Land eine nationale Doktrin zum Klimawandel aufgelegt, durch deren Hilfe es bereits gelungen sei, die Treibhausgas-Emissionen im Land innerhalb der vergangenen 17 Jahre um 30 Prozent zu senken.
 
Statt gegenseitige Schuldzuweisungen auszusprechen, sollten Industrie- und Entwicklungsländer den Klimawandel gemeinsam angehen – allerdings in unterschiedlichem Ausmaß und mit unterschiedlicher Verantwortung, meinte Vizeminister Dun Niu. Die entwickelten Länder seien in der Pflicht, den Entwicklungsländern hierbei technische und finanzielle Unterstützung zu gewähren. Jedes Land solle dennoch versuchen, selbst passende Lösungen zu finden und die eigene Agrarproduktion zu sichern. In Afrika sei dies zurzeit noch nicht möglich, deshalb unterstütze sein Land die dortige Landwirtschaft – durch die Einrichtung von Demonstrationszentren, die Entsendung von Fachleuten und die Lieferung verbesserten Saatguts. Auch wenn China über 22 Prozent der Weltbevölkerung, aber nur sechs Prozent der weltweiten Landwirtschaftsfläche verfüge und für seine Bevölkerung jährlich eine Getreidemenge von 500 Millionen Tonnen benötige, habe die Volksrepublik nicht vor, Ackerland in Afrika zu kaufen, sagte Niu.
 
Wie sehr die afrikanischen Landwirte die Auswirkungen des Klimawandels bereits heute spüren, zeigte der Agrarminister aus Burkina Faso auf: „Unsere traditionellen Getreidesorten brauchen vier bis fünf Monate zum Reifen; die Regenzeit dauert jetzt aber meist nur noch zweieinhalb Monate“. Eine nachhaltige Landwirtschaftspolitik für Afrika, die den Klimawandel nicht berücksichtigt, sei deshalb utopisch, so Laurent Sédogo. Zwar habe Afrika nichts zum Problem beigetragen, doch sei man bereit, die Lösung mitzugestalten. Die Anwendung traditioneller Produktionsmethoden, die den Schutz der Böden berücksichtigen, könne zur Verminderung der Treibhausgas-Emissionen beitragen. Dennoch sei der Transfer moderner Technologien und Fertigkeiten nötig, damit auch sein Kontinent die Anpassung an den Klimawandel bewältigen könne.

 
Internationales Wirtschaftspodium: Klimapolitik ist auch Friedenspolitik

Wie solche Anpassungsmaßnahmen gestaltet werden könnten, diskutierten Expertinnen und Experten auf dem sich anschließenden Internationalen Wirtschaftspodium mit dem Titel „Begrenzte Ressourcen und Klimawandel – eine turbulente Zukunft gestalten“, das von der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), dem Deutschen Bauernverband (DBV), der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DBV), der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) und dem Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft (OA) veranstaltet wurde.
 
Dr. Thomas Blunck, Vorstandsmitglied der Rückversicherungsgesellschaft Munich Re, fokussierte in seiner Rede einen weiteren zentralen Aspekt, der für die Ernährungssicherung der Weltbevölkerung ausschlaggebend ist: Die finanzielle Absicherung der Landwirte. Dabei hob er die Vorzüge einer Öffentlich-Privaten Partnerschaft (ÖPP) hervor. Nur das koordinierte Zusammenspiel aus Landwirten, Versicherern und der öffentlichen Hand habe die Chance, diese Ansprüche sicherzustellen, so Blunck.
 
Vor dem Hintergrund der enormen Herausforderungen, vor denen die Landwirtschaft stehe, werde weltweit viel zu wenig in die Agrarforschung investiert, bemängelte Friedrich Berschauer, Vorstandsvorsitzender der Bayer CropScience AG. Sein Unternehmen investiere zehn Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Berschauer sprach sich für eine neue „Grüne Revolution“ aus, bei der auch die Biotechnologie eine wichtige Rolle spielen müsse. Als global agierendes Unternehmen sei der Standort dabei von untergeordneter Bedeutung – sei die Gentechnik-Forschung beispielsweise in Europa eingeschränkt, können man auf Standorte wie die USA ausweichen.
 
Cathrina Claas-Mühlhäuser, stellvertretende Vorsitzende des Gesellschafter-Ausschusses der Claas KGaA mbH, betonte die Bedeutung von individuellen Lösungen beim Technologie-Transfer. So habe ihr Unternehmen beispielsweise für den indischen Markt den Mähdrescher Crop Tiger 60 konzipiert, der genau an die Bedingungen im Land angepasst ist und vor Ort hergestellt wird. Für die Erschließung neuer Märkte sei eine genaue Analyse von Bedarf und Nachfrage wichtig, um passgenaue Technologien anbieten zu können.
 
Wie auch Kleinbauern von neuen Technologien profitieren können, zeigte Shri S. Sivakumar, Geschäftsführer der Agrarsparte des indischen Unternehmens ITC Limited, auf: Sein Unternehmen hat die Online-Plattform E-Choupal entwickelt, über die Landwirte Marktpreise überprüfen, Düngemittel bestellen und ihre Produkte verkaufen können. Durch die Bündelung des Informationsangebots, an dem ein ganzes Netzwerk von Organisationen beteiligt ist, haben Millionen Kleinbauern auch in abgelegenen Regionen des Landes Zugang zu umfassenden Lösungen, so Sivakumar.
 
Der ehemalige deutsche Umweltminister und langjährige Leiter des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, Klaus Töpfer, erweiterte der Diskussion um eine zusätzliche Dimension: Den Kopenhagener Klimagipfel im Dezember 2009 bezeichnete er als „verpasste Friedenskonferenz“. Die Sicherheit in der Welt werde durch den Umgang mit den lebenswichtigen Ressourcen Wasser und Boden mitbestimmt. Diese werden durch den Klimawandel und die wachsende Weltbevölkerung knapper, was zu Verteilungskämpfen führen könne. Investitionen in Wassereffizienz, in Wasserrecycling und -speicherung seien deshalb ebenso nötig wie der Erhalt der Bodenfruchtbarkeit und die Nutzung der Böden als Kohlenstoff-Senke. „Ohne eine Entwicklung der jetzt nicht entwickelten Länder wird eine friedliche Welt nicht möglich sein“, zeigte sich Töpfer überzeugt. (IGW-PR)
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