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22.02.2022 | 16:18 | Ostsee-Pipeline 

Bundesregierung legt Nord Stream 2 nach Eskalation Russlands auf Eis

Berlin - Angesichts der russischen Eskalation im Ukraine-Konflikt hat die Bundesregierung die umstrittene Pipeline Nord Stream 2 auf Eis gelegt.

Ostsee-Pipeline
Die umstrittene Pipeline ist fertig - wird aber vorerst nicht in Betrieb gehen. Formal zieht die Bundesregierung nur einen Bericht zurück, das aber hat große Auswirkungen. (c) Jim Parkin - fotolia.com
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach am Dienstag in Berlin von einer grundlegend anderen Lage. Dies hat auch Konsequenzen für die Pipeline, wie er deutlich machte.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte, die Genehmigung für Nord Stream 2 sei vorerst gestoppt worden. «Die geopolitische Lage macht eine Neubewertung von Nord Stream 2 zwingend erforderlich.» Die Pipeline soll Gas von Russland nach Deutschland bringen.

Scholz verurteilte die Entscheidung von Russlands Präsident Wladimir Putin, die selbst ernannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk in der Ostukraine als unabhängige Staaten anzuerkennen, als schwerwiegenden Bruch des Völkerrechts. Putin ordnete auch eine Entsendung russischer Soldaten in die Ostukraine an. Russland hat nach westlichen Angaben etwa 150.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen.

Der Bundeskanzler betonte: «In dieser Phase ist es jetzt wichtig, neben ersten Sanktionen eine weitere Eskalation und damit eine weitere Katastrophe zu verhindern. Darauf zielen alle unsere diplomatischen Anstrengungen.»

Die US-Regierung begrüßte den Schritt. US-Präsident Joe Biden habe klargemacht, dass die Pipeline bei einem russischen Angriff auf die Ukraine nicht in Betrieb gehen dürfe, erklärte seine Sprecherin am Dienstagmorgen (Ortszeit) auf Twitter. «Wir haben uns im Lauf der Nacht eng mit Deutschland abgestimmt und begrüßen die Ankündigung.»

Der Stopp von Nord Stream 2 erfolgte konkret dadurch, dass die Ampel-Bundesregierung einen Bericht der schwarz-roten Vorgängerregierung an die Bundesnetzagentur zurückzog. Dabei geht es um eine Analyse zur Versorgungssicherheit. «Das klingt zwar technisch, ist aber der nötige verwaltungsrechtliche Schritt, damit jetzt keine Zertifizierung der Pipeline erfolgen kann», sagte Scholz.

Ohne diese könne Nord Stream 2 nicht in Betrieb gehen. Das Verfahren gehe jetzt «einen neuen Gang», sagte der Kanzler: «Das wird sich sicher hinziehen, wenn ich das mal vorhersagen darf.»

Habeck sagte nach einem Treffen mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) in Düsseldorf, der Schritt zu Nord Stream 2 sei seit Wochen und Monaten akribisch vorbereitet worden. Er betonte zugleich, Deutschland müsse unabhängiger von fossilen Energieträgern wie russischem Erdgas werden. Dazu müssten die erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne in Deutschland schneller ausgebaut werden.

Grund für die Entscheidung zu Nord Stream 2 ist laut Ministerium die Situation am deutschen und europäischen Gasmarkt in diesem Winter und die Zuspitzung der geostrategischen Entwicklung. Mit Blick auf die russische Eskalation hieß es, es sei nicht auszuschließen, dass dies Auswirkungen auf die zu prüfende Versorgungssicherheit Deutschlands und der EU habe. Dies mache eine Neubewertung erforderlich.

Voraussetzung für die Zertifizierung der Pipeline sei, dass die Leitung die Versorgungssicherheit in Deutschland und der EU nicht gefährde. Genau zu diesem Ergebnis war das Ministerium im vergangenen Oktober unter dem damaligen Ressortchef Peter Altmaier (CDU) gekommen. Dies war ein wichtiger Schritt im Genehmigungsverfahren - das nun faktisch gestoppt wurde. Ein Sprecher der Bundesnetzagentur in Bonn sagte: «Eine Betrieb der Pipeline ohne Zertifizierung wäre rechtswidrig.»

Eigentlich sollte schon seit rund zwei Jahren Erdgas durch die Ostseepipeline von Russland nach Deutschland fließen. Doch unter anderem Sanktionen und Sanktionsdrohungen aus den USA hatten das Projekt verzögert.

Der 1230 Kilometer lange Doppelstrang von Nord Stream 2 führt vom westrussischen Wyborg nach Lubmin bei Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern). Seit Ende Dezember sind beide Stränge vollständig mit technischem Gas befüllt.

Die Leitung, deren Bau 2018 begann, soll künftig 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr nach Deutschland liefern, die Baukosten wurden bislang mit mehr als zehn Milliarden Euro angegeben. Nord Stream 2 läuft parallel zu Nord Stream 1, die Ende 2011 in Betrieb genommen wurde.

Die Bundesnetzagentur hatte das Zertifizierungsverfahren im November ausgesetzt und verlangt, dass die Betreibergesellschaft nach deutschem Recht organisiert ist. Die Nord Stream 2 AG mit Sitz in der Schweiz will der Auflage mit der Gründung einer deutschen Tochtergesellschaft nachkommen. Die Nord Stream 2 AG erklärte am Dienstag, man nehme die Aussetzung des Zertifizierungsverfahrens zur Kenntnis. Einziger Anteilseigner der Firma ist formal der russische Gaskonzern Gazprom.

Russland zeigte sich unbeeindruckt vom Schritt der Bundesregierung sowie von der Androhung neuer Sanktionen des Westens. «Moskau hat vor nichts Angst», sagte Vize-Außenminister Andrej Rudenko in Moskau der Nachrichtenagentur Interfax zufolge. Die USA und die Ukraine wollten die Pipeline verhindern.

Dagegen begrüßte die Ukraine die Entscheidung der Bundesregierung. «Dies ist unter den gegenwärtigen Umständen ein moralisch, politisch und praktisch richtiger Schritt», schrieb Außenminister Dmytro Kuleba bei Twitter. Auch Polen reagierte positiv: «Dies ist die Stimme der Vernunft und des offenen Widerstands gegen die neoimperialistischen Ambitionen des Kremls», schrieb Regierungschef Mateusz Morawiecki auf Facebook.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte: «Das Vorgehen Russlands ist ein eklatanter Bruch des Völkerrechts, dafür gibt es keine Rechtfertigung.» FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler sagte: «Deutschland und Europa müssen nun fest an der Seite der Ukraine stehen und auch bereit sein, durch sehr harte wirtschaftliche Sanktionen selbst Opfer zu bringen.

Die Gasversorgung ist aktuell auch ohne die neue Pipeline gesichert.» Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin sagte: «Europa und die Welt müssen sich von der Abhängigkeit von russischen Rohstoffen befreien.»
dpa
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