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26.09.2022 | 03:34 | Landfrauen 

Gleichstellung in der Landwirtschaft noch in weiter Ferne

Berlin - Die Gleichstellung der Geschlechter ist auf den landwirtschaftlichen Betrieben noch längst nicht erreicht.

Frauen in der Landwirtschaft
Umfassende wissenschaftliche Studie zur Lebens- und Arbeitssituation von Frauen in der Landwirtschaft - Nur 11 Prozent der Betriebe werden von Frauen geleitet - Strukturelle Hindernisse - Lücken in der sozialen Absicherung - Bentkämper: Studie ermöglicht das politische Anstoßen von Veränderungen - Özdemir: Klare Handlungsempfehlungen. (c) drubig-photo - fotolia.com
Das ist ein zentrales Ergebnis der ersten gesamtdeutschen Studie zur Lebens- und Arbeitssituation von Frauen in der Landwirtschaft, die am vergangenen Donnerstag (22.11.) in Berlin vorgestellt wurde. Danach werden aktuell nur 11 % der Betriebe von Frauen geleitet; bei der vorgesehenen Hofnachfolge liegt der Frauenanteil bei rund 18 %. Damit rangiert Deutschland im europäischen Vergleich auf einem der letzten Plätze.

Den Wissenschaftlerinnen zufolge stellen veraltete Geschlechterbilder und traditionelle Vererbungspraxen nach wie vor strukturelle Hindernisse für Frauen in der Landwirtschaft dar. Existenzgründungen seien nahezu unmöglich. Schwachstellen weist laut Studie die soziale Absicherung der Frauen fürs Alter oder im Fall von Scheidung, Trennung oder Tod der Betriebsleitung auf. Defizite gibt es auch in der Gesundheitsvorsorge.

Bestätigt wird in der Studie, dass Frauen auf landwirtschaftlichen Betrieben vielfältige Rollen übernehmen und vielfältige Leistungen erbringen, ohne dass diese in der Agrarstatistik sichtbar werden. Nach den Worten von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir enthält die Studie klare Handlungsempfehlungen, wie die Lebens- und Arbeitswirklichkeit von Frauen in der Landwirtschaft verbessert werden kann.

Der Deutsche LandFrauenverbandes (dlv) hat sich nach Angaben seiner Präsidentin Petra Bentkämper lange dafür eingesetzt, die Wissenslücken zur Situation von Frauen in der Landwirtschaft und ihrer sozialen Lebensverhältnisse zu schließen. „Auch wenn uns vieles schon bekannt ist, es braucht auch Zahlen und Belege, um Veränderungen politisch anstoßen zu können“, so Bentkämper zur Bedeutung der Studie.

Risiken bei Scheidung oder Tod des Partners



Die LandFrauenpräsidentin hob hervor, dass die befragten Frauen in der Studie ihre Lebenszufriedenheit trotz hoher Arbeitsbelastung und fehlender Planungssicherheit insgesamt als sehr hoch einschätzten. Gründe hierfür seien, die eigenen Kinder auf dem Betrieb aufwachsen zu sehen, die ländliche Wohnlage sowie das Arbeiten in der Natur und mit Tieren.

Von Bedeutung sind für Bentkämper die Erkenntnisse über die Altersvorsorge der Frauen auf den Höfen: „Die Alterssicherung wird dann geschlechtsspezifisch, wenn es um Scheidung oder den Tod des Partners geht.“ Hier sei die Gefahr der weiblichen Altersarmut deutlich höher, und noch zu wenige seien über Verträge oder Testamente abgesichert.

„Über diese Risiken muss offen gesprochen werden“, forderte die dlv-Präsidentin. Zwar gebe es zahlreiche Beratungsangebote zu Altersvorsorgethemen. Diese würden aber von den Frauen nicht genügend wahrgenommen. Besorgniserregend ist für den dlv, dass laut Studie rund ein Fünftel der Frauen in der Landwirtschaft aufgrund der vielfältigen Rollenerwartungen als Burnout-gefährdet seien.

„Der psychischen Gesundheit von Landwirtinnen und Frauen auf den Betrieben gilt es, mehr Aufmerksamkeit zu schenken“, so die dlv-Vizepräsidentin Juliane Vees. Das Thema müsse gerade auch im Berufsstand raus aus der Tabu-Zone, damit betroffene Frauen sich nicht scheuten, Hilfe von außen zu fordern und anzunehmen.

Nachbesserungsbedarf



Die Bedeutung von Frauen in der Landwirtschaft hob die designierte Vizepräsidentin des Deutschen Bauernverbandes (DBV), Susanne Schulze Bockeloh, hervor. „Wir brauchen Unternehmerinnen, das merken wir auf allen Ebenen des Bauernverbandes“, sagte die Vorsitzende des DBV-Fachausschusses „Unternehmerinnen in der Landwirtschaft“. Sie kündigte an, für die Mitarbeit von Frauen im Bauernverband zu werben: „Wir werden Möglichkeiten schaffen, dass Frauen sich gestärkt fühlen, sich in unseren Gremien zu engagieren.“ Ziele seien ein gemeinsames Netzwerk und Zusammenarbeit von Frauen in der Landwirtschaft.

Schulze Bockeloh begrüßte, dass die Studie aufzeige, welche Lücke im Bereich der sozialen Absicherung und Gleichberechtigung bestehe. Damit werde dokumentiert, dass in der Landwirtschaft weiterhin Nachbesserungsbedarf bestehe. Umso wichtiger sei die zukünftige Arbeit des Fachausschusses, um Hemmnisse abzubauen und den Landwirtinnen gegenüber der Politik eine starke Stimme zu geben.

Besser Absicherung



„Durch die Studie wir haben nun endlich einen authentischen, verlässlichen Einblick in die Lebens- und Arbeitswirklichkeit von Frauen in der Landwirtschaft“, sagte Minister Özdemir. Auch wenn die Studie Fortschritte etwa bei der weiblichen Hofnachfolge aufzeige, machten ihre Ergebnisse deutlich, „dass noch erheblicher Handlungsbedarf besteht, bevor die Gleichstellung auf den Höfen Wirklichkeit wird.“

Frauen jonglierten häufig nicht nur mit zwei oder drei Bällen, sondern oftmals mit fünf. Arbeit im Betrieb, Haushaltsführung, Versorgung der Kinder, die Pflege von Familienangehörigen und häufig noch Engagement im Ehrenamt. „Ohne Frauen geht oft nichts auf den Höfen und in den Ställen“, betonte der Grünen-Politiker. Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass Frauen auf dem Land zwar systemrelevant, aber zugleich häufig wenig sichtbar seien, auch was das Finanzielle betrifft.

Özdemir wies ferner darauf hin, dass die Altersvorsorge der mitarbeitenden Frauen oftmals lückenhaft und an das Rollenverständnis des männlichen Hauptverdieners geknüpft sei. „Wertschätzung ist wichtig, Anerkennung auch, aber darüber darf die finanzielle und soziale Absicherung nicht vergessen werden“, mahnte der Minister. Frauen in der Landwirtschaft müssten besser abgesichert werden. Das sei für ihn eine ganz zentrale Botschaft der Landfrauenstudie.

Konkrete Handlungsempfehlungen



Die Expertinnen formulieren in ihrer Studie konkrete Handlungsempfehlungen, unter anderem zu der Verbesserung der Altersvorsorge, dem Ausbau der Bildungs- und Beratungsangebote für Frauen, aber auch zu Verbesserungen der öffentlichen Infrastruktur in ländlichen Räumen.

Konkret werden etwa niedrigschwellige Förderprogramme für landwirtschaftliche Existenzgründerinnen, eine bessere Aufklärung von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern über die gesundheitlichen Risiken für Frauen am Arbeitsplatz in der Landwirtschaft und zu Regelungen zu Mutterschutz sowie Elternzeit, aber auch die Stärkung der Position von Hofnachfolgerinnen und potentiellen leitenden Angestellten in Form von speziellen Lehrgängen oder Mentoring-Programmen vorgeschlagen.

Erarbeitet wurde die Studie vom Thünen-Institut für Betriebswirtschaft und dem Lehrstuhl für Soziologie Ländlicher Räume am Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung der Universität Göttingen. Sie wurde vom Bundeslandwirtschaftsministerium gefördert und vom dlv unterstützt.
AgE
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