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07.10.2023 | 08:51 | Energieversorgung 

Auf der Suche nach dem Alleskönner der Energiewende

Sevilla / Barcelona - Fossile Brennstoffe sind allgegenwärtig im Hafen von Barcelona. Aus den Schornsteinen der dutzenden Fracht- und Kreuzfahrtschiffe, die dort vor Anker liegen, steigen Abgaswolken in den blauen Himmel über der katalonischen Hauptstadt.

Energiewende
Ohne grünen Wasserstoff kann das Land seine Klimaziele nicht erreichen. Um die Versorgung sicherzustellen, braucht es Kooperationen mit sonnenreichen Regionen, etwa Spanien. Bei der Reise von Ministerpräsident Kretschmann bleiben die Pläne aber noch vage. (c) Butch - fotolia.com
Während die Delegation um Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) mit einem Besichtigungsboot am großen Flüssiggasterminal des Hafens vorbeifährt, lädt ein Frachtschiff Flüssiggas ab, das seit dem Beginn des Angriffs auf die Ukraine und dem Ende der russischen Gaslieferungen so dringend gebraucht wird. Es ist die Gegenwart der Energieversorgung, die der Ministerpräsident und seine Delegation dort zu sehen bekommen.

Die Visionen für die Zukunft von Europas Energieversorgung und auch die Zukunft des Hafens von Barcelona sehen aber anders aus. Drei Tage informiert sich Kretschmann in Spanien über grünen Wasserstoff und dessen Potenziale. Im Hafen von Barcelona soll, so die Vision, eine europäische Drehscheibe für grünen Wasserstoff oder daraus hergestellte andere Produkte entstehen. Und dort, wo heute die Schiffe das Flüssiggas abliefern, soll künftig die H2MED-Pipeline beginnen, durch die grüner Wasserstoff unter dem Mittelmeer hindurch nach Marseille strömen soll - und dann weiter in die deutschen Industriezentren.

Wasserstoff gilt als eine Art Alleskönner im Kampf gegen den Klimawandel. Das geruchs- und farblose Gas kann in Industrie und Verkehr die Verbrennung von Kohle, Öl oder Gas ersetzen. Es wird durch die sogenannte Elektrolyse gewonnen, bei der Wasser (H2O) unter Einsatz von Strom in Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2) gespalten wird. Wird dafür Strom aus Erneuerbaren Energien genutzt, spricht man von grünem Wasserstoff. Dieser kann in einer Brennstoffzelle dann wieder Strom erzeugen.

Spanien hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, eine Wasserstoff-Supermacht zu werden. Der spanische Gasnetzbetreiber Enagas schätzt, dass Spanien 2030 ein Produktionspotenzial von bis zu drei Millionen Tonnen jährlich haben wird. 1,3 Millionen Tonnen dieses Wasserstoffs sollen im Inland verbraucht werden, der Rest könnte durch die geplante Mittelmeerpipeline H2MED von Barcelona nach Frankreich und weiter in deutsche Industriezentren exportiert werden.

Noch stecken hinter den großen Visionen aber wenig konkrete Projekte. Das wird auch beim ersten Stopp Kretschmanns in Sevilla deutlich. Im prunkvollen Palacio de San Telmo, dem Sitz der andalusischen Regionalregierung, unterzeichnen Kretschmann und der andalusische Regionalpräsident Juan Manuel Moreno Bonilla feierlich eine Klima- und Energiepartnerschaft zwischen Baden-Württemberg und der südspanischen Region Andalusien.

Die beiden Regionen wollen sich vor allem für einen zügigen Aufbau eines europäischen Wasserstoffnetzes einsetzen. Weitere Themenfelder sind laut Erklärung Klimaschutz, klimaneutrale Kraftstoffe und die Nutzung Erneuerbarer Energien. Eine Kommission soll nun einen Plan für gemeinsame Initiativen erarbeiten. Rechtlich verbindliche Verpflichtungen enthält die Absichtserklärung jedoch nicht.

Welche Auswirkungen sie haben wird, bleibt deshalb vage. Denn auch in Andalusien, das für die Produktion von grünem Wasserstoff dank viel Sonne gute Ausgangsbedingungen hat, sind Anlagen zur Produktion des Stoffes vor allem in Planung oder noch Visionen auf Hochglanz-Präsentationen. Auf konkrete Ziele angesprochen sagt Regionalpräsident Moreno Bonilla lediglich: «In den nächsten sechs Jahren werden wir die Kapazitäten haben, um grünen Wasserstoff zu produzieren.» Schätzungen zu Produktionsmengen und möglichen Lieferungen nach Baden-Württemberg könne er nicht abgeben. «Wir sind in der Vorbereitungsphase.»

Auch Ministerpräsident Kretschmann warnt vor zu viel Euphorie. «Wir stehen da ganz am Anfang, da braucht man sich gar nichts vorzumachen», sagt der Grünen-Politiker. Auch die anderen Politiker und Unternehmer der baden-württembergischen Delegation betonen immer wieder, das Abkommen sei der erste Schritt zu einer möglichen Versorgung des Südwestens mit Wasserstoff aus Andalusien. Ein Auftakt, mehr nicht. «So eine Partnerschaft auf dem Papier ist schnell hingeschrieben, jetzt geht es darum, die lebendig zu machen», sagt Kretschmann.

Aus Sicht von Experten muss die neue Partnerschaft mit Andalusien jetzt schnell ihre Arbeit aufnehmen. «Bis die Infrastruktur aufgebaut ist, dauert es mindestens fünf bis acht Jahre. Aus meiner Sicht muss man schauen, dass das jetzt so schnell wie möglich konkret wird», sagt Frithjof Staiß, geschäftsführender Vorstand des Zentrums für Solar- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW). Er hoffe, dass die gemeinsame Arbeitsgruppe jetzt schnell Ergebnisse vorlege.

Aus Sicht von Staiß drängt die Zeit, bis 2040 soll Baden-Württemberg nach dem Willen der Landesregierung klimaneutral sein. «Wir haben eine sehr ambitionierte Zielsetzung für den Klimaschutz. Und wenn man sich ambitioniertere Ziele setzt als andere, muss man auch mehr tun.»
dpa/lsw
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