Dementsprechend uneins sind sich Bundesumwelt- und Bundeswirtschaftsministerium, ob die Atomlaufzeiten um wenige Jahre oder um deutlich zweistellige Jahresbeträge verlängert werden sollen. Bis zu der Entscheidung am 28. September wird noch munter gestritten werden. Ein Überblick über die wichtigsten Knackpunkte in der Atomfrage.
BUNDESRAT:
Egal, ob es ein Laufzeitplus von einem oder 20 Jahren gibt - das Bundesverfassungsgericht wird das letzte Wort haben, da die schwarz-gelbe Regierung aufgrund einer fehlenden Mehrheit in der Länderkammer den Atomausstieg ohne
Bundesrat beschließen will. Aber die Länder sind es, die die Aufsicht über die Atomkraftwerke in ihrem Gebiet haben. Mehrere Landesregierungen wollen deshalb klagen. Aus Sicht von Innen- und Justizministerium sind deshalb nur Laufzeit- Verlängerungen von höchstens zehn Jahren vertretbar. Deshalb sind bis zu 15 Jahre eher unwahrscheinlich.
GUTACHTEN: Opposition und Umweltschützer werfen der Regierung vor, die Szenarienberechnung längerer Laufzeiten sei tendenziös. So wurde bis 2020 nur ein Ökostrom-Anteil von 33,7 Prozent angenommen, obwohl das Bundeskabinett gerade selbst im Aktionsplan für erneuerbare Energien einen Anteil von 38,6 Prozent prognostiziert hat. Auch in den Folgejahren bleiben die Öko-Stromzahlen zum Teil deutlich unter den offiziellen Prognosen. Da zudem das Energiewirtschaftliche Institut der Universität Köln mit Millionen von den Atomkonzernen
RWE und Eon gefördert wird, sieht die Linke das mit Steuergeldern finanzierte Gutachten als Fall für den Rechnungshof.
ATOMKRAFT BREMST ÖKOENERGIE-AUSBAU: Die Vorteile längerer Laufzeiten halten sich aus Sicht des Bundesumweltministeriums in überschaubaren Grenzen. So gebe es selbst bei der Maximalvariante mit 28 Jahre längeren Laufzeiten und niedrigen Kosten für die Nachrüstung der Atomkraftwerke Dämpfungseffekte auf den Haushaltsstrompreis von lediglich 1,8 Cent in 40 Jahren. Auch die Einsparungen bei den Kohlendioxidemissionen seien eher geringfügig. Vielmehr müsse man aufpassen, dass zu lange Laufzeiten nicht den notwendigen Ausbau der Stromnetze und -speicher behindern, heißt es. Entstehen wie geplant große Offshore-Windparks an der Nordsee, muss der Strom auch irgendwie abtransportiert werden. Gibt es zu lange Atomlaufzeiten, könnten die Konzerne sich ermutigt fühlen, wie bisher eher zögerlich zu investieren.
SICHERHEIT:
Umweltminister Norbert Röttgen (
CDU) verlangt, dass alle Kernkraftwerke gegen Attacken mit großen Passagierflugzeugen gesichert sind. Das würde bei älteren Meiler wie Biblis oder Isar I erhebliche Nachrüstungen bei der Hülle bedeuten und Milliarden verschlingen. Bisher hatte die Politik trotz der Attacken vom 11. September 2011 in den USA noch keine Nachrüstung der AKWs verfügt. Die Konzerne hatten eine Vernebelung der Anlagen vorgeschlagen, bis die Bundeswehr solche Flugzeuge abschießt. Ein solches Szenario ist aber nach einem Verfassungsgerichtsurteil ausgeschlossen. Letztlich könnten massive Nachrüstforderungen dazu führen, dass nicht alle 17 Kernkraftwerke am Netz bleiben werden.
RESTSTROMMENGEN:
Es ist unklar, ob die Regierung erst alle Meiler in den Genuss längerer Laufzeiten kommen lassen will. Oder ob sie erst von den Betreibern Klarheit darüber verlangt, welche Meiler sie trotz hohen Nachrüstungsausgaben am Netz lassen wollen. Im letzteren Fall würde dies die Reststrommengen deutlich reduzieren. Bekommen aber erst einmal alle Akw ein Laufzeitplus und würden dann einzelne Anlagen wegen der Nachrüstkosten abgeschaltet, könnten deren Strommengen auf neuere Anlagen übertragen werden. Das würde bedeuten, dass zwar weniger Akw laufen würden, diese aber über das Jahr 2040 hinaus. Durch Stillstand und Drosselung der Leistung würde ohne Ausstieg gemäß der im rot-grünen Atomausstieg vereinbarten Reststrommengen der letzte Meiler etwa 2025 vom Netz gehen. Eigentlich war das Jahr 2022 als Enddatum anvisiert worden.
KOSTEN UND VERSORGUNGSSICHERHEIT:
Öko-Strom wird in hohem Maße subventioniert, aber auch die Atombranche wurde nach Angaben des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft von 1950 bis 2008 mit 164,7 Milliarden Euro gefördert. Länger fließender Atomstrom würde - je nach Interpretation - geringe bis deutlich spürbare Dämpfungen beim Strompreis auslösen. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle spricht von acht Milliarden Euro bis 2030; Umweltminister Röttgen sieht kaum Effekte. Klar sagen die Energiegutachten, dass auch ohne längere Laufzeiten keine Stromlücke in Deutschland zu befürchten sei. (dpa)