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12.04.2015 | 07:23 | Zwangsabgabe für Kohlekraftwerke 

Gabriel muss Kohle-Ärger ausbaden

Berlin - Die Kanzlerin urlaubt und der Vize darf sich in ihrer Abwesenheit mit einem besonders heiklen Thema herumschlagen. Der um einen Schmusekurs zu den Gewerkschaften bedachte SPD-Chef Sigmar Gabriel wird von diesen angegangen wie lange nicht mehr.

Zwangsabgabe für Kohlekraftwerke
Wortgeklingel oder droht ein «Kraftwerkssterben»? Über Sigmar Gabriel braut sich wegen seiner Kohleabgabe ein Proteststurm zusammen. Auch, weil ein Dominoeffekt befürchtet wird. Die Branche warnt vor schweren Verwerfungen, die Bürger sorgen sich um die Umwelt- und Klimaschäden. (c) cirquedesprit - fotolia.com
Sie fürchten ein Aus für viele deutsche Kohlekraftwerke. Auf dem Tisch des Bundeswirtschaftsministers türmen sich die Protestbriefe.

Der Grund: Gabriel will über 20 Jahre alte Kohlekraftwerke zu einer Klimaabgabe verpflichten, wenn ein bestimmter Kohlendioxid-Ausstoß überschritten wird. Sein Ziel: Dadurch sollen zusätzliche 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid bis 2020 eingespart werden - der deutsche Gesamtausstoß lag 2014 bei 912 Millionen Tonnen. So soll Angela Merkels Klimaziel von 40 Prozent weniger CO2 im Vergleich zu 1990 gerettet werden. Es ist letztlich der Konflikt zwischen Umwelt- und Wirtschaftsinteressen.

«Wir sind es gewohnt, dass sie erst dann dabei ist, wenn sich der Erfolg abzeichnet», meint SPD-Fraktionsvize Ute Vogt dazu, dass Merkel erst einmal abwartet. Das Kabinett hatte die Einsparvorgabe im Dezember beschlossen, die Umsetzung aber offen gelassen. Gabriel hatte zwischenzeitlich durchaus gezweifelt, ob die 40 Prozent noch zu schaffen sind. Die Kanzlerin hatte das Ziel in der vorherigen großen Koalition - mit dem damaligen Umweltminister Gabriel als Adjutanten - quasi zur Staatsräson erhoben. Bisher sind erst 27 Prozent geschafft, mit der Kohleabgabe soll im Jahr der G7-Präsidentschaft Tatkraft bewiesen werden. Vogt hält die großen Job-Ängste für unbegründet.

Gabriel will nun einen Dialog über den Plan, er will Kohlebranche und Wirtschaft nicht verprellen. Zudem haben Stein- und Braunkohle noch einen Stromanteil von 43,2 Prozent. Die Kraftwerke sichern oft die Versorgung, denn trotz mehr Wind- und Solarenergie bleibt das Problem der Wetterabhängigkeit. Es ist mal wieder ein schwieriger Spagat für ihn, der der SPD am Ende wenig Ehr und viel Ärger einbringen könnte.

Geht es nach dem Atom- nun auch um einen schrittweisen Ausstieg aus der Kohlekraft? Gabriel verneint das, die Branche fürchtet aber einen Dominoeffekt. Laut einer Umfrage im Auftrag von Greenpeace sind 81 Prozent der Deutschen für einen Kohleausstieg bis spätestens 2040, 35 Prozent sogar bis 2030. Die Umweltschützer nehmen nun besonders die Quecksilber-Emissionen der Kohlemeiler ins Visier. «Es ist höchste Zeit, die Bevölkerung - insbesondere die Kinder -, vor einem der schlimmsten Nervengifte zu schützen», meint Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter.

73 Prozent sind laut der Umfrage für die Nachrüstung mit modernen Filtern, selbst wenn dadurch die Strompreise steigen. Quecksilber kann durch die Anreicherung in Gewässern beim Fischessen aufgenommen werden und gerade in der Schwangerschaft für Föten gefährlich sein.

Vogt mahnt, dass in den USA inzwischen ein Quecksilber-Grenzwert von 1,4 Mikrogramm pro Kubikmeter gelte, in Deutschland hingegen noch von bis zu 30 Mikrogramm. «Wir haben Verantwortung für die nächste und für die übernächste Generation», betont die SPD-Umweltpolitikerin.

Aber: Die Branche sieht für Verschärfungen keinerlei Spielraum, denn die Energiewende wälzt den Markt im Rekordtempo um. Durch den Zuwachs an Ökostrom rechnen sich viele Kraftwerke kaum noch. Die Betriebsräte der Energiekonzerne Eon, RWE, Vattenfall und EnBW warnen in einem Brandbrief an Gabriel: «Die Ängste und Sorgen der Belegschaft sind groß.» Gerade in den Kohle-Revieren der Lausitz und im Rheinland. Bei einer Umsetzung müssten Kraftwerke sofort stillgelegt werden, «denn Strafabgaben oder die deutliche Reduzierung der Benutzungsstunden überleben diese Anlagen wirtschaftlich einfach nicht», mahnen sie.

Verdi-Chef Frank Bsirske - auch Vizechef im Aufsichtsrat von RWE - sieht bis zu 100.000 Arbeitsplätze in Gefahr. Michael Vassiliadis, Chef der Bergbaugewerkschaft IGBCE und mit SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi liiert, warnt sogar vor dem «Kollaps der großen Energieversorger und dem sozialen Blackout ganzer Regionen».

Auch SPD-Landesregierungen sind dagegen. Die Unionsfraktion ließ ein Treffen mit Gabriel platzen.  Die Energiebranche fordert statt neuer Abgaben von der Regierung Sonderprämien für fossile Kraftwerke, weil sie rund um die Uhr Strom liefern können, vor allem wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Doch Gabriel lehnt das bisher ab, «Hartz IV» für unrentable Kraftwerke könne nicht die Lösung sein.

Werden zu viele Kohlekraftwerke stillgelegt, drohen Engpässe und höhere Strompreise - wenn zum Beispiel gerade im Winter mehr Strom im Ausland eingekauft werden müsste oder mehr auf die teurere Gaskraft gesetzt wird.

Anlagen können zwar derzeit mit auf die Strompreise umgelegten Entschädigungen zum Weiterbetrieb gezwungen werden, aber eine Dauerlösung ist das sicher nicht. Zudem drohen weitere Verwerfungen bei den Energiekonzernen, schon jetzt ist unklar, ob ihre Rücklagen für den Rückbau der Atomkraftwerke reichen werden. Das Problem ist komplex. Sigmar Gabriel droht ein schwieriger Frühling. (dpa)
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