Ein Projektor wirft es übergroß an die Leinwand in der Britischen Botschaft in Berlin. Die Messkurve über die Temperaturentwicklung der vergangenen Jahrhunderte ist erst relativ flach, dann schießt sie in die Höhe. Levermann verweist insbesondere auf die Zeit seit Beginn exakter Messungen: «Die letzte Dekade war die wärmste seit 130 Jahren», sagt der Forscher vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (Pik) entschlossen vor den Besuchern der Veranstaltung am Montagabend.
Levermann ist nicht nach Berlin gekommen, um einen wissenschaftlichen Vortrag halten. Er soll einen Film vorstellen, der in dieser Woche in vielen Städten zum ersten Mal gezeigt wird. Die Dokumentation «Thin Ice» schildert die Reise des Geologen Simon Lamb, der Klimawissenschaftlern bei der Arbeit über die Schulter schaut: In der Antarktis, auf den Weltmeeren, in ihren Laboren in Oxford, Wellington oder Potsdam.
Lamb möchte mit seiner Reise eine einfache Frage klären: Kann es sein, dass der menschgemachte
Klimawandel eine Lüge ist? Das behaupten viele amerikanische Konservative seit Jahren lautstark, und die Szene der Skeptiker fand auch in Europa prominente Führsprecher.
Aus Sicht der Wissenschaft nehmen die Zweifler zwar eine absolute Außenseiterposition ein. Aber sie finden großen Widerhall in den Medien. Das dürfte auch einen Einfluss auf die internationale
Klimapolitik haben.
In den vergangenen Jahren habe man sehr viel versucht, um Politiker zum Handeln zu bringen, sagte Regine Günther vom
WWF Deutschland vor der Filmvorführung in der Britischen Botschaft. Aber das sei nur begrenzt gelungen. «Wir müssen uns sehr viel mehr den Menschen zuwenden und ihnen erklären, dass Klimawissenschaft keine Glaubensangelegenheit ist», sagte sie. Nur dann habe man eine Chance, auf politischer Ebene gegen den Klimawandel vorzugehen.
«Thin Ice» ist der neuste Streich der Klimaforscher im Kampf um die Gunst der Öffentlichkeit. Zuschauer lernen all jene wissenschaftlichen Ergebnisse kennen, die es schwer machen, am Klimawandel zu zweifeln: Etwa die Eisbohrkerne aus der Antarktis, mit deren Hilfe die Forscher die CO2-Konzentrationen der Atmosphäre in den vergangenen Jahrhunderten mit dem Verlauf der globalen Durchschnittstemperaturen vergleichen. Oder die Berechnungen anderer Forscher, die
Treibhausgase als dominanten Mechanismus für die
Erderwärmung entlarven.
Allerdings will der Film auch mit einer Methode Überzeugungsarbeit leisten, die sonst eher Aktivisten vorbehalten ist: Er spricht die Gefühle der Zuschauer an. Zu majestätischen Streicharrangements werden Messbojen aus dem Ozean gezogen. Eine einsame Möwe fliegt durchs Himmelsbau, untermalt von Melodien des Aufbruchs. Als Simon Lamb zum ersten Mal auf das endlose Weiß der Antarktis hinaus tritt, sagt eine Klimaforscherin: «Es ist, als würde man auf dem Mond stehen.»
Erreicht man die Massen nicht mehr allein über den Verstand, sondern nun auch über das Herz? «Man darf nur dann auf einem emotionalen Niveau operieren, wenn man sich sicher ist, über was man redet - sonst manipuliert man», sagt Anders Levermann nach Vorführungsende der Nachrichtenagentur dpa.
Der Film sorge für Transparenz und sei mitnichten nur eine Form der Öffentlichkeitsarbeit. Jene, die am menschgemachten Klimawandel zweifeln, dürften im zuweilen pathetischen Erzählstil des Films wohl trotzdem einen Beleg für ihre Theorie von der großen Verschwörung sehen. Dass der Film vom Klimaforscher Peter Barrett produziert und unter anderem vom Department of Earth Sciences der Universität Oxford getragen wurde, dürfte sie ebenfalls nicht von ihrer Meinung abbringen lassen.
Das ist schade, denn eigentlich hat der nüchterne und unaufgeregte Ton der Klimawissenschaftler stets zu ihrer Glaubwürdigkeit beigetragen. Im Grunde sollten die wissenschaftliche Sachlage reichen, damit mehr Menschen so sehen wie Simon Lamb am Ende des Films: «Ich bin überzeugt, dass die Klimawissenschaftler nicht gelogen haben.» (dpa)