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09.03.2022 | 12:05 | Stress im Stall 

Wenn Bauern ihre Tiere vernachlässigen

Ansbach - Von außen sieht der Stall aus wie jeder andere. Auf dem Hof steht ein leerer Anhänger, an der Wand stapeln sich Paletten.

Vernachlässigte Tiere
Die Tiere sind die Lebensgrundlage eines Bauern, sein wertvollster Besitz. Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass sie vernachlässigt werden und elend verenden. Wie kann es soweit kommen? (c) proplanta
Doch im Innern bietet sich der Polizei ein grauenvolles Bild: Rund 170 tote Rinder liegen herum, die übrigen etwa 50 sind in einem so erbärmlichen Zustand, dass sie später getötet werden müssen.

Über Monate soll ein Landwirt aus dem bayerischen Landkreis Ansbach die Tiere vernachlässigt haben: Sie sollen nicht genug Futter und Wasser erhalten haben und auch keine tierärztliche Behandlung.

Tierquälerei und die Tötung von Tieren wirft die Staatsanwaltschaft dem Leiter des Rindermastbetriebes vor. Am Mittwoch kommender Woche (16.3.) muss sich der 44-Jährige vor dem Amtsgericht Ansbach dafür verantworten.

Als die Missstände im Mai 2021 auf dem Hof entdeckt worden waren, hatte der Landwirt sich in psychiatrische Behandlung begeben. Ein Gutachten ergab inzwischen, dass der Angeklagte im Tatzeitraum vermindert schuldfähig war.

Auch wenn dies darauf hinweisen könnte, dass sehr individuelle Probleme hinter dem Fall in einem Dorf bei Rothenburg ob der Tauber in Franken stehen: Ein Einzelfall ist es nicht. Immer wieder sorgen Berichte von vernachlässigten Kühen, Schweinen oder anderen Nutztieren für Schlagzeilen - und oft offenbaren diese nicht nur tierisches Leid.

Einige Beispiele:

- Ein Landwirt aus dem Kreis Osnabrück lässt rund 5.600 Legehennen verhungern, weil ihm das Geld für Futter ausgegangen ist. Ein Gericht verurteilt ihn 2017 zu einer Geldstrafe.

- Rund 2.000 Schweine sterben 2018 in einem Maststall im Kreis Würzburg, weil sie nicht genug mit Futter, Wasser und Luft versorgt wurden. Die Staatsanwaltschaft stellt die Ermittlungen gegen den Besitzer später ein, weil dieser schuldunfähig sei.

- Überfüllte Ställe, abgemagerte Kühe, im Kot liegende Tiere: Der erste Prozess um den bundesweit für Aufsehen erregenden Allgäuer Tierschutzskandal zeigt deutlich unhaltbare Zustände und eine Familie, die nach einem Autounfall des erwachsenen Sohnes mit dem auf fast 600 Rinder vergrößerten Betrieb überfordert war. Die drei Landwirte erhalten Bewährungsstrafen.

Fälle wie diese überraschen Edgar Schallenberger nicht. «Es ist immer ein Zusammenbruch des Menschen, der einen Zusammenbruch des Betriebes nach sich zieht», sagt er. Seit 2014 ist er Vertrauensmann für den Tierschutz in der Landwirtschaft in Schleswig-Holstein - und Tag für Tag in Gummistiefeln als Problemlöser auf den Bauernhöfen unterwegs, wie er sagt.

Dort trifft der pensionierte Professor für Tierhaltung auf Menschen, die überfordert und verzweifelt sind, die nicht mehr weiter wissen oder können. «Den Tieren geht es schlecht, weil es den Menschen schlecht geht», hat er beobachtet - und das meist schon ziemlich lange. «Die Leute vernachlässigen sich und ihre Familie zuerst, physisch und psychisch. Dann wird der Stall nicht mehr geputzt.»

Eine Abwärtsspirale komme in Gang, die sich erst langsam und dann immer schneller drehe. Auslöser sei in den allermeisten Fällen ein Schicksalsschlag, sagt Tierschutz-Expertin Irene Pfeiffer vom bayerischen Bauernverband. «Krankheit, dramatische Überarbeitung, Pflegebedarf in der Familie, Ausfall eines bisher mitarbeitenden Familienmitglieds, massive Belastungen durch Finanzierungsprobleme, Scheidung oder Todesfall», zählt sie als Risikofaktoren auf.

Viele Landwirte arbeiten und leben an der Belastungsgrenze», sagt Pfeiffer. Oft stehen die Bauern unter großem wirtschaftlichen Druck, haben hohe Kredite aufgenommen. Urlaub zu nehmen oder mal krank im Bett bleiben, sei da nicht möglich.

«Der Betrieb steht so im Vordergrund, dass sie sich um die eigene Gesundheit keine Sorgen machen», hat Stefan Adelsberger von der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau in Kassel festgestellt. Diese betreibt seit einigen Jahren neben anderen Hilfsangeboten auch eine Krisen-Hotline, über die rund um die Uhr Psychologinnen und Psychologen erreichbar sind. Gerade die Männer warteten viel zu lange, bis sie sich Hilfe suchten, sagt Adelsberger.

Über die Psyche zu sprechen, sei für sie immer noch ein großes Tabu. Wenn ein Landwirt Probleme mit seinem Betrieb bekommt, versucht er nach Erfahrungen Schallenbergers in vielen Fällen, das zu kaschieren. «Er will sich nicht eingestehen, dass er versagt hat, und wird immer verschlossener.»

Das könnte auch ein Grund dafür sein, dass die Vernachlässigung von Tieren oft erst auffällt, wenn die Missstände schon dramatisch sind. Im Landkreis Ansbach war es am Ende ein anonymer Hinweis, der die Behörden alarmierte. Das Landratsamt hat inzwischen ein Tierhaltungsverbot gegen den Landwirt verhängt.

Anzeichen für Vernachlässigung gibt es nach Ansicht Schallenbergers jedoch schon viel früher. Im Umfeld falle das normalerweise schon auf. «Viele verschließen aber die Augen und wollen nicht denunziatorisch auftreten.» Allerdings gehe es gar nicht darum, jemanden anzuprangern - sondern darum, ihm Hilfe anzubieten.

Auch die Politik und die Branche könnten mehr für die Prävention tun, meint Iris Fuchs, Vizepräsidentin der Bundestierärztekammer in Berlin. Die Amtstierärzte könnten nicht jeden landwirtschaftlichen Betrieb ständig kontrollieren. Sie könnten Höfe aber mit Hilfe einer Art Ampelsystem besser überwachen, sagt Fuchs.

Dorthin könnten Daten fließen, die in der Landwirtschaft generell erhoben werden: Milchmenge, Medikamentengabe, Abgaben an die Tierkörperbeseitigung. Bei auffälligen Werten könnte der Betrieb dann kontrolliert werden.
dpa
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