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13.03.2023 | 15:17 | Schutz der Weltmeere 

Bergbau im Meer trotz Wissenslücken: Nahende Frist birgt Ungewissheit

Kingston - Gerade erst ist bei den Vereinten Nationen (UN) in New York nach langem Ringen ein Abkommen zum Schutz der Weltmeere zustande gekommen.

Bergbau im Meer
Tausende Meter unter der Meeresoberfläche soll Bergbau bei der Energiewende helfen. Experten warnen vor den Folgen, Deutschland drückt auf die Bremse. Eine Frist, sich auf Regeln zu einigen, droht zu verstreichen. Aber was dann? (c) proplanta
Nun könnte die Weltgemeinschaft in die umgekehrte Richtung gehen und zulassen, dass mit bestenfalls unklaren Umweltfolgen in der Tiefsee Bergbau betrieben wird - auch im Namen der Energiewende.

Der Rat der Internationalen Meeresbodenbehörde ISA tagt von Donnerstag (16.3.) bis 31. März auf Jamaika. Im Vordergrund stehen Bemühungen, eine Frist einzuhalten, Regularien zum kommerziellen Tiefseebergbau zu verabschieden. Sie läuft am 9. Juli nach zwei Jahren ab. Danach können Anträge zum Abbau von Rohstoffen in der Tiefsee gestellt werden - auch wenn es bis dahin kein Regelwerk gibt und trotz großer Bedenken wegen möglicher Umweltschäden.

Es zeichnet sich ab, dass die Frist verpasst wird. Aber was dann? Es sei gut, sagte Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) jüngst in einem Seminar des Online-Formats «Europe Calling», «dass wir uns jetzt fragen: Steuern wir nun in den Abgrund, weil die Menschheit ihren Hunger nach Rohstoffen in den entlegensten Ecken des Planeten stillen will?».

Der kleine Pazifikstaat Nauru hatte nach einer Klausel des 1994 in Kraft getretenen UN-Seerechtsübereinkommens die Zweijahresfrist durch die Ankündigung eines Abbauantrags ausgelöst. Nauru tritt als Sponsor eines dort registrierten Tochterunternehmens des kanadischen Konzerns The Metals Company (TMC) auf. Dieser will in den internationalen Gewässern des Pazifiks auf dem Meeresboden Manganknollen aufsammeln. Damit will TMC nach eigenen Angaben so umwelt- und sozialverträglich wie möglich Metalle für die Energiewende liefern.

Manganknollen sind grob kartoffelförmig und finden sich auf dem Meeresboden in etwa 4.000 bis 6.000 Metern Tiefe. Sie entstehen extrem langsam aus Ablagerungen - in einer Million Jahre werden sie nur um wenige Millimeter dicker - und enthalten Rohstoffe wie Mangan, Kobalt, Kupfer und Nickel. Darauf wachsen Schwämme und Korallen, die Tieren Lebensraum bieten. TMC nennt Manganknollen den «saubersten Weg zu Elektrofahrzeugen», spricht von einer «Batterie in einem Stein».

Untersuchungen zeigen aber, dass der Tiefseebergbau Umweltschäden anrichtet. Bei der Abbaumethode, die TMC und das belgische Unternehmen GSR bereits in der sogenannten Clarion-Clipperton-Zone (CCZ) zwischen Mexiko und Hawaii getestet haben, würden neben Manganknollen alle Organismen, die im und auf dem Sediment sowie auf den Knollen leben, mit aufgesaugt. Das berichtet Matthias Haeckel, Biogeochemiker am Geomar Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung in Kiel und Koordinator des europäischen Forschungsprojekts MiningImpact, das die Tests der Kollektoren genannten schweren Geräte untersucht.

Aus ökonomischen Gründen peilten die Unternehmen an, zwei bis drei Millionen Tonnen Manganknollen pro Operation pro Jahr zu ernten, sagte Haeckel kürzlich in einem Presse-Briefing. In der CCZ, wo die Knollendichte und deren Metallgehalt besonders hoch seien, entspreche das etwa 200 bis 300 Quadratkilometern. Die entstehende Sedimentwolke richte auf einer größeren Fläche Schäden an als nur im Abbaugebiet.

Haeckels Team hat mehr als 25 Jahre nach einem Test-Abbau von Manganknollen entdeckt, dass die Biodiversität an der Stelle noch beeinträchtigt ist. Organismen, die auf den Manganknollen leben, kämen für Millionen Jahre nicht zurück, sagt die Meeresbiologin Sabine Gollner vom niederländischen Institut für Meeresforschung NIOZ. In der Tiefsee gebe es Tausende von Tierarten. «Ungefähr 90 Prozent der Arten sind wahrscheinlich noch nicht bekannt.» Unter den Bekannten sind etwa die Seegurke, der Bartwurm und der Anglerfisch.

Kürzlich erschienene Studien der Umweltorganisationen Greenpeace und WWF ergaben, dass für eine Energie- und Verkehrswende die Rohstoffe aus den Manganknollen gar nicht gebraucht würden. Nur von Kobalt und Mangan könnten weltmarktrelevante Mengen dabei gewonnen werden, erklärt Andreas Manhart vom Öko-Institut Freiburg, Autor einer Studie im Auftrag von Greenpeace. Mangan werde aber vor allem in der Stahlproduktion eingesetzt. Kobalt werde zwar zu einem großen Anteil in Lithium-Ionen-Batterien verbaut, wegen technischer Fortschritte gehe der Trend aber hin zu Kobalt-freien Batterien.

Eine weitere Studie mit Beteiligung von Greenpeace findet mögliche Gefahren für Wale durch Tiefseebergbau. So könne Unterwasserlärm die Kommunikation von Walen stören und ihr Verhalten verändern. Eine Nachfrage der Deutschen Presse-Agentur bei The Metals Company blieb unbeantwortet.

Weil noch wenig über die Ökosysteme der Tiefsee und mögliche Folgen des Bergbaus bekannt ist, haben sich mehrere Staaten für ein Moratorium, eine Pause oder gar ein Verbot ausgesprochen. Die Bundesregierung setzt sich bei der ISA für eine vorsorgliche Pause ein. «Da es ganz erhebliche Wissenslücken gibt, sehen wir keine tragfähige Grundlage für den Abbau von Rohstoffen», sagt Lemke.

Hunderte Experten fordern ebenfalls gemeinsam eine Pause beim Tiefseebergbau, bis es mehr Erkenntnisse gebe. Einige Konzerne wie BMW, Volkswagen, Volvo, Google, Philips und Samsung SDI haben sich einem WWF-Aufruf für ein Moratorium angeschlossen und sich verpflichtet, keine Rohstoffe vom Tiefseeboden zu verwenden und Tiefseebergbau nicht zu finanzieren.

Trotzdem könnten sich Nauru und TMC mit ihrem Plan durchsetzen. Es gebe viele ungeklärte Fragen bei den Verhandlungen über Regularien für Tiefseebergbau am ISA, sagt Pradeep Singh vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit des Helmholtz-Zentrums Potsdam. Allmählich reife die Erkenntnis, dass die Frist bis zum 9, Juli nicht mehr einhaltbar sei, sagt Singh, der bei den Treffen der internationalen Behörde als Beobachter dabei ist, der dpa.

Es gelte nun zu klären, was passiert, wenn nach Ablauf der Frist ein Antrag auf Tiefseebergbau gestellt wird, ohne dass ein verbindliches Regelwerk vorliege. Nach Ansicht von Nauru sieht das Seerechtsübereinkommen vor, dass solche Anträge genehmigt werden müssen. Singh hält in einem Diskussionspapier dagegen, die Entscheidung könne aufgeschoben und ein Antrag auch abgelehnt werden.

Eine wichtige Rolle könnte die Rechts- und Technikkommission (LTC) der ISA spielen. Sie hat 41 Mitglieder, die von Staaten nominiert und dem aus 36 der 167 ISA-Mitgliedstaaten bestehenden Rat bestätigt wurden, um Empfehlungen auszusprechen. Die Deep Sea Conservation Coalition - eine Koalition von mehr als 100 Nichtregierungsorganisationen - wirft dem Gremium und der ISA insgesamt mangelnde Transparenz vor.

«Der Generalsekretär der ISA (ist) dafür bekannt, dass er Tiefseebergbau möglich machen will, und hat eindeutige Beziehungen zur Tiefseebergbau-Industrie», betont Marie-Luise Abshagen, Leiterin Nachhaltigkeitspolitik beim Forum Umwelt und Entwicklung, jüngst bei einem Seminar der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen. Die ISA-Strukturen bevorzugten das Ermöglichen von Tiefseebergbau; die Verhandlungen seien beeinflusst von kommerziellen Interessen privater Konzerne, meint sie.

Tatsächlich hat die LTC laut Singh bisher allen 31 Anträgen zugestimmt, mit denen sie befasst war. Dabei handelte es sich aber um Anträge auf Erkundungslizenzen - eine davon ging an Deutschland. Wenn die Kommission eine Empfehlung ausspreche, so Singh, sei es schwer für den Rat, diese abzulehnen - dafür sei eine Zweidrittelmehrheit sowie eine Mehrheit in jeder Kammer des Rats nötig.

Bundesministerin Lemke zufolge wäre es das beste, wenn es möglichst bald einen Beschluss des ISA-Rats zum Umgang mit eingehenden Anträgen gäbe, um eine Empfehlung durch die LTC zu verhindern, bevor gültige Abbauregelungen vorliegen. «Es darf nicht dazu kommen, dass man sozusagen jetzt aus Versehen, weil die Regularien in den letzten Jahren so aufgelegt worden sind, wie das eben geschah, quasi sehenden Auges aber schlafwandelnd in den Tiefseebergbau eintritt», sagt sie.

Nach Haeckels Einschätzung sind Unternehmen wie TMC oder GSR erst gegen Ende des Jahrzehnts technisch für kommerziellen Tiefseebergbau in industriellem Maßstab gerüstet. «Dass die jetzt so einen Druck machen, hat glaube ich tatsächlich andere Gründe - wie die Anteile auf dem Aktienmarkt ihrer Firma», sagt er. «Und dass sie sich mehr drum kümmern müssen, Gelder einzuwerben von Investoren.»

Die Klausel mit der Zweijahresfrist sollte laut Singh ursprünglich eine Situation verhindern, in der wenige Länder die Annahme von Abbauregularien blockieren. Nun werde sie für das Gegenteil benutzt. «Es gibt im Moment nur eine kleine Handvoll Leute, die wirklich voranschreiten wollen, und alle anderen sagen im Wesentlichen: Lassen wir uns noch ein bisschen mehr Zeit, überstürzen wir nichts.»

Der Tiefseeboden wurde im Seerechtsübereinkommen (Unclos) - in dem auch die ISA geschaffen wurde - zum Gemeinsamen Erbe der Menschheit erklärt. Auch deshalb ist die Entscheidung über den Tiefseebergbau für Haeckel eine gesellschaftliche Frage. «Wir müssen alle zusammen entscheiden, ob wir das machen wollen», meint er. «Das ist das Besondere an diesem Rahmen, der durch Unclos gegeben worden ist: dass es eben nicht einzelnen Ländern oder Staaten oder Firmen oder Personen gehört - der Tiefseeboden und die Ressourcen und das Ökosystem -, sondern uns allen.»
dpa
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