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27.09.2009 | 07:11 | Klimaforschung 

Grüne Dächer: Potenzial als Ersatzlebensraum in Städten

Zürich/East Lansing - Forscher der University of Michigan sehen begrünte Hausdächer in Städten als wirksame Chance gegen die globale Erwärmung.

Grüne Dächer
(c) proplanta
Eine Stadt mit einer Mio. Einwohnern könnte mit bepflanzten Hausdächern den CO2-Ausstoss von 10.000 Fahrzeugen kompensieren, berichten die Forscher im Fachmagazin Environmental Science & Technology. Kritisch steht der Schweizer Ökologe Stephan Brenneisen von der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Zürich diesem Ergebnis entgegen. "Die begrünten Dächer haben ein großes Potenzial als Ersatzlebensraum für zahlreiche Tierarten. Hochrechnungen wie viel CO2 solche Dächer einsparen, müssten differenziert betrachtet werden", erklärt der Forscher im pressetext-Interview.

Das Forscherteam um Kristin Getter vom Department of Horticulture der Michigan State University hat begrünte Hausdächer in Maryland und Michigan über einen Zeitraum von zwei Jahren untersucht. Gemessen wurden Kohlenstoffwerte in Pflanzen und in Bodenproben. 55.000 Tonnen Kohlenstoff könnten in einer Stadt wie Detroit allein über die Hausdächer "eingefangen" werden. Diese Größenordnung entspricht mehr als 10.000 Fahrzeugen.

Herkömmliche, konventionelle Dächer sind ökologische Wüsten. Das stehe außer Zweifel, so Brenneisen. "Dass begrünte Dächer einen ökologischen Ausgleich schaffen können, haben wir hinlänglich bewiesen." Erst vor kurzem hat das Forscherteam gezeigt, dass bodenbrütende Kiebitze, deren Küken Nestflüchter sind, aus Mangel an alternativen Bodenstandorten begonnen haben auf den Dächern zu brüten. "Dazu ist allerdings eine Substratschicht von zehn bis zwölf Zentimetern erforderlich, da sonst die Jungvögel durch Nahrungsmangel verhungern", erklärt der Biologe.

Nebenbei haben die Wissenschaftler um Brenneisen in Untersuchungen im Raum Basel gezeigt, dass die begrünten Dächer Habitate für seltene Tiere sind. "In seiner Dissertation konnte Brenneisen insgesamt 254 Käfer- und 78 heimische Spinnenarten auf den begrünten Dächern entdecken. "Ein weiterer Vorteil der Dachbegrünung ist, dass bis zu 75 Prozent der jährlichen Niederschlagsmenge über Verdunstung und Pflanzentranspiration in den natürlichen Wasserkreislauf zurückgeführt werden kann." Das bringe eine merkliche Abkühlung von drei bis fünf Grad in den Dachgeschossen. Zudem trage es zu einer Verbesserung des Stadtklimas bei.

Die Kritik Brenneisens an der US-Studie, bezieht sich auf die ökologische Gesamtbilanz und die Frage, wie diese Ergebnisse in einem Modell eingebaut werden. "Ein übertechnisiertes System - wie es in den USA für die Begrünung von Dächern leider die Regel ist - bringt in der Ökobilanz kaum etwas, weil zu viel graue Energie verwendet wird ", erklärt Brenneisen. Als graue Energie wird die Energiemenge bezeichnet, die für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung eines Produktes benötigt wird. Dabei werden auch alle Vorprodukte bis zur Rohstoffgewinnung berücksichtigt und der Energieeinsatz aller angewandten Produktionsprozesse addiert. "Die ermittelten Werte zur CO2-Reduktion durch den Pflanzenwuchs der Gründächer muss mit der grauen Energie gegen gerechnet werden. Sicher kann allenfalls in der Stadt eine CO2-Reduktion resultieren, nur aber, wenn der CO2-Ausstoss für die Herstellung an einem anderen Ort anfällt."

Brenneisen kritisiert auch, dass in den USA die Errichtung begrünter Dachflächen wegen der Übertechnisierung etwa zehn Mal teurer sind, als ökologisch gleich wirksame Gründächer in der Schweiz. Offensichtlich gelinge es der Industrie dort die Preise hoch zu halten. "Zu kritisieren ist dies bei einem Produkt wie Gründächern, welches gerne vorgibt, ökologische Lösungen für Städte darzustellen. Die Wirkung kann ja erst erzielt werden, wenn mehr oder weniger flächendeckend alle Flachdächer begrünt werden können.

Bei überteuerten Preisen ist dies jedoch eine Illusion. Die günstigen Preise haben in der Schweiz und in Deutschland dazu beigetragen, dass heute Dachbegrünungen in vielen Baugesetzen als Pflicht verankert werden konnten", so Brenneisen. "So entstehen ohne großes Getue jedes Jahr Millionen von begrünten Dachflächen. Die Preisdifferenz zum herkömmlichen Kiesdach ist nicht mehr projektrelevant. In den USA sind großflächige Dachbegrünungen nur bei Prestigeobjekten möglich, sonst kann es sich keine Firma leisten kann, geschweige denn eine Behörde sich erlauben, eine Dachbegrünung als Bauauflage festzusetzen", erklärt der Experte.

Auch der Ökologe Mark Simmons vom Lady Bird Johnson Wildflower Center der University of Texas in Austin hat im Vorjahr eine Untersuchung bei sechs verschiedenen lokalen Gründach-Herstellern gemacht und festgestellt, dass die Menge des aufnehmenden Regenwassers bei den einzelnen Produkten erheblich variiert. Die Differenz zwischen den einzelnen begrünten Dächern war vielfach größer als jene zwischen begrünten und nicht begrünten. (pte)
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