Und er schlägt Alarm - einerseits. Auf der anderen Seite führt der US-Präsident eine der größten Volkswirtschaften, schier unersättlich ist ihr Hunger nach Rohstoffen. Und: Mit der Arktis sind massive geopolitische Interessen verbunden. Das reibt sich. Dabei war die Choreographie des Weißen Hauses für diese Reise minutiös.
Zunächst eine markige Rede gegen den
Klimawandel in Anchorage. Fast apokalyptisch formulierend warnt
Obama vor dem Klimawandel. Er spricht mit Einheimischen in ihren Dörfern. Erster amtierender US-Präsident nördlich des Polarkreises. Den Mount McKinley umbenannt in Denali. Fantastische Bilder Obamas, cool pilotenbebrillt, auf der gelben «Viewfinder» vor eisblauer Gletscherkulisse. Perfekte Regierungsupdates im Internet, Videos des Präsidenten, er fotografiert mit dem Smartphone aus der Air Force One.
Problem: Die satte Inszenierung stößt sich hart an nackter Interessenpolitik. Nirgendwo schreitet die
Erderwärmung schneller voran als in der Arktis. Jeden Tag verliert Alaska ein fußballfeldgroßes Stück Land an das Meer. Ganze Ortschaften sind bedroht. Aber dieses schmelzende Eis bedeutet auch mehr Schifffahrt, mehr Fischerei, mehr Tourismus. Mehr Geld.
Und so will Obama mehr Eisbrecher, um die arktische See besser zu erschließen. Viel besser. Die USA hätten nur zwei solcher Eisbrecher im Einsatz, sagt er kühl, die Russen hätten 40, davon elf in der Arktis. «Unbedingt müssen wir uns auf mehr Verkehr in der Arktis vorbereiten.» Darüber solle nun der Kongress befinden. Dort haben die Republikaner die Mehrheit, und die werden sich freuen über dieses Danaergeschenk des Präsidenten. Die Arktis: Das ist ein hochsensibles Ökosystem voller, voller Rohstoffe.
Die Projektion in Europa gefertigter Landkarten bringt es mit sich, dass Russland meist ganz rechts außen liegt und Alaska am ganz linken Rand. Tatsächlich sind Russen und Amerikaner hier Nachbarn, worauf nicht erst die unvergessene Sarah Palin hinwies («Man kann Russland von hier aus sehen.») Besorgt sehen die USA die Russen in der Arktis Basis um Basis bauen, praktisch mitten in ihrem kalten Vorgarten, und nun rüsten sie sich.
Wenn es um gigantische Ölfelder geht, wird der Klimawandel eine untergeordnete Rolle spielen. Dafür sind die USA, die jüngsten Erfolge aus dem Gewinn von Schiefergas («Fracking») hin oder her, viel zu sehr auf Energienachschub angewiesen. «Obama ist ein klimapolitischer Hochstapler», schimpft die Webseite «Motherjones», und das Online-Magazin «Slate» schreibt: Um das mit dem Klima richtig hinzukriegen, sei er einfach nicht der richtige Anführer.
Umweltschützer waren hellauf entsetzt über die jüngste Erlaubnis der US-Regierung für Shell, in der Arktis zu bohren. Die Republikaner sehen das natürlich komplett anders. Obama tue (auch hier) noch viel zu wenig für Amerika.
Schnitt und Zoom an Bord der «Viewfinder», Resurrection Bay, Alaska. «20.000 Jahre lang war hier alles von Eis bedeckt», sagt die Rangerin Colleen Kelly. Nun seien die Gletscher Prospect, Spoon und Porcupine nicht mehr mit einem Eisfeld verbunden. Was Obama davon halte? «Das hier müssen auch unsere Enkel noch sehen können», antwortet der, «das ist wirklich spektakulär.»
Wie spektakulär das im echten Leben ist, erfahren die Dorfbewohner von Shishmaref fast am Polarkreis am eigenen Leib. «Wir können das Meer nicht aufhalten», sagt Shaorn Nayopuk zu NBC. Das Dorf wird es bald nicht mehr geben, seit Hunderten Jahren leben dort Inuit. Kosten einer möglichen Umsiedlung: 300.000 Dollar pro Einwohner. In Kotzebue (160 Kilometer nördlich, 3.200 Einwohner) überlegen sie dennoch, eine Mauer zu bauen gegen die steigende See. Kosten: 34 Millionen Dollar.
Öl, Klimawandel, Eisbrecher, Russland, wegbrechende Dörfer: Die Inszenierung und die spektakulären Bilder können die scharfen Gegensätze dieser Präsidentenreise nicht überdecken. (dpa)