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21.11.2009 | 15:46 | Klimaschutz  

Torfmoorwälder vor dem Kollaps - Zeitbombe für das Klima

Palangka Raya - Was das mit dem Bäume-Pflanzen auf sich hat, versteht Rosidah Gandhi nicht.

Torfmoorwälder vor dem Kollaps - Zeitbombe für das Klima
Die Indonesierin sitzt vor ihrer Hütte in Kelurahan Kameloh Baru im Süden der Insel Borneo und deutet auf das Brachland gegenüber. Fabriken sollten dort hin, sagt die 33- Jährige, oder Palmölplantagen - egal was, Hauptsache, es gibt Arbeitsplätze. Doch auf dem Brachland versuchen Umweltschützer verzweifelt, durch Aufforstung eine der größten Umweltsünden der jüngeren Geschichte wieder gutzumachen. Sie wollen die verheerende Freisetzung von Treibhausgasen beim Zerfall der austrocknenden Torfmoorböden stoppen. Mensch und Klima, Profit und Umwelt - auf Borneo zeigt sich, wie schwierig die richtige Balance zu finden ist.

«Die Abholzung der Torfmoorwälder ist eine tickende Zeitbombe für das Klima», sagt Guénola Kahlert von der Umweltstiftung WWF. In den Böden ist 50 Mal mehr Kohlenstoff gespeichert als in anderen Regenwäldern. Wenn die Wälder abgeholzt werden, trocknen die Böden aus, die über Jahrtausende gewachsenen Schichten werden zersetzt, massenhaft klimaschädliches CO2 gelangt in die Atmosphäre. Wenn die Vernichtung der Wälder in so rasantem Tempo wie derzeit weitergeht, sind sie bis 2020 verschwunden. Beim Zerfall der Böden entschwindet 23 Mal so viel Treibhausgas wie Deutschland in einem ganzen Jahr produziert. Mit der Erhaltung der Wälder stehen die Klimaschützer hier deshalb an vorderster Front im Kampf gegen den Klimawandel.

Rosidah Gandhi lebt mit ihrem Mann und vier Kindern direkt am einstigen «Mega-Reis-Projekt». «Wir sind hierher gezogen, weil hier die Straße gebaut wurde, und weil es Strom gibt und Arbeit geben sollte», sagt sie. Eine Million Hektar Wald ließ der damalige Diktator Suharto zwischen Palangka Raya und Benjarmasin 1996 abholzen - hier sollte Indonesiens Reiskammer entstehen. Das Projekt scheiterte komplett, weil die Böden viel zu sauer und nährstoffarm für Reis sind. Das Fatale: Die Abholzer haben 4000 Kilometer Kanäle in die Böden gezogen, um die Bäume abzutransportieren. In diese Kanäle fließt nun unaufhörlich das Wasser, das bei Torf-Moor-Böden sonst bis wenige Zentimeter unter der Oberfläche steht. Die Böden trocknen aus, in der Trockenzeit schwelen verheerende Brände, tonnenweise CO2 wird freigesetzt. «Eine der verheerendsten Umweltsünden, die weltweit je verübt wurden», sagt Zulfira Warta vom WWF Indonesien.

Die riesige Fläche liegt praktisch brach. Auf den Böden wächst so gut wie nichts ohne Dünger. Selbst Palmölplantagen wären hier ein teures Geschäft. Das Land wieder zum Leben zu erwecken, ist eine gigantische Aufgabe. Doch ohne Rettungsmaßnahmen zerfällt der Boden immer mehr und die Biomasse geht als CO2 in die Atmosphäre. Zuerst muss der Wasserspiegel angehoben, dann kann aufgeforstet werden. Angesichts des schieren Ausmaßes der Katastrophe geht das quälend langsam voran. Erst in 50.000 der eine Million Hektar ist der Wasserspiegel wieder genügend angehoben, 1.000 Hektar sind wieder aufgeforstet. Wie lange die Regeneration dauert, ist ungewiss.

Im benachbarten Sebangau-Nationalpark ist zu sehen, wie aufwendig die Wiederherstellung solcher einzigartigen Ökosysteme ist. Auch dort ziehen sich Gräben wie hässliche Narben durch den 600.000 Hektar großen Torfmoorwald. 15 Firmen haben hier jahrelang abgeholzt, ehe die Fläche zwischen den Flüssen Katingan und Sebangau 2004 Naturschutzgebiet wurde.

Am Kanal 21 steht Adventus Panda, der für den WWF mit Anwohnern aus der Umgebung des Parks versucht, den Wasserabfluss zu stoppen. Der Kanal ist zehn Kilometer lang, einen Meter breit. Schwarzes Wasser fließt unablässig Richtung Fluss. «Das Wasser der Millionen Wurzeln» heißt es im Volksmund. «Wir brauchen mit fünf Leuten drei Tage für einen Damm», sagt Panda, der 50 Männer beschäftigt. Dazu werden Pfähle durch die zwei Meter dicke Torfschicht in den Kanal gerammt. Dahinter schichten die Männer mit Sand- und Erde gefüllte Säcke auf, um die Kanalöffnung zu verengen. In der Mitte bleibt ein schmaler Abfluss. «Damit die Anwohner noch Boote durchziehen können und der Druck auf den Damm nicht zu groß ist», sagt Panda.

Das Resultat ist schon nach zehn Monaten spektakulär: während der Boden vor dem Damm in der jüngsten Trockenperiode Feuer fing und verbrannte Erde und verkohlte Baumstümpfe zu sehen sind, ist die Landschaft dahinter prächtig grün. Der Wasserspiegel sei hinter dem Damm schon 40 bis 60 Zentimeter höher, sagt Panda. An Kanal 21 gibt es acht Dämme, jeweils im Abstand von 100 Metern.

Das Projekt finanziert die Deutsche Post. Wenn alles wie geplant läuft, müsste der Grundwasserspiegel innerhalb von fünf Jahren wieder hergestellt sein. Das würde Brände sowie den weiteren Zerfall der Böden aufhalten - und damit die CO2-Emissionen mindern, um insgesamt eine Million Tonnen im Jahr, schätzen Klimaschützer. Der WWF Deutschland hat hier auch ein Aufforstungsprojekt: 150 Hektar, auf denen ausprobiert wird, welche Bäume am besten wo und wie gepflanzt werden. «Man braucht etwa 400 Bäume pro Hektar», sagt Zulfira. Die Kosten: rund 1.000 Euro pro Hektar. Im Sebangau-Park haben sich die Schutzmaßnahmen auch auf andere Weise ausgezahlt. Die Zahl der Orang- Utans dort war zwischen 1995 und 2005 von 13.000 auf 6.900 gesunken. Vor zwei Jahren zählten Tierschützer wieder 9.000 Tiere.

Damit sich die Böden im Park schnell regenerieren, wäre es das Beste, die Kanäle ganz dicht zu machen. «Das bringt aber nichts, weil die Anwohner die Kanäle nutzen, um in den Wald zu kommen. Sie würden die Barrieren einfach einreißen» , sagt Panda. Eines haben Umweltschützer längst gelernt: Erfolgreich sind die Projekte nur, wenn die Anwohner mitziehen. Rund um den Sebangau-Park gibt es 46 Dörfer mit 62.000 Einwohnern. Viele haben jahrelang als Holzfäller ein gutes Auskommen gehabt. Um sie nun auf den Waldschutz einzuschwören, müssen andere Arbeitsplätze her.

Im Dorf Luwuk Kanan hat etwa Edon, der wie viele Indonesier nur einen Namen benutzt, ein Rattan-Geschäft aufgebaut. Bauern in der Umgebung schneiden die schnell nachwachsenden Lianen im Regenwald, er kauft sie auf, lässt sie von 25 Mitarbeiterinnen glätten und bleichen und verkauft das Material dann an Korb- und Möbelflechter weiter. Verdient man damit so viel wie als Holzfäller? Die Männerrunde im Dorf bricht in schallendes Gelächter aus. «Nie im Leben», sagt Edon.

Die Dörfer Baun Bango und Jahanjang versuchen es mit Ökotourismus. Baun Bango legt eine Kulturshow mit Tanz und «Feuerfußball» auf. Dabei wird unter dem Gejohle der Dorfjugend eine in Petroleum getränkte brennende Kokosnuss umhergekickt. Jahanjang hat an einem malerischen See ein paar Pavillons auf Stelzen gebaut, mit Häuschen zum Übernachten. Erst eine Handvoll Besucher sei vorbeigekommen, räumen die Dorfvorsteher ein. Die Anreise ist lang, die Unterbringung einfach, die Beschäftigungsmöglichkeiten begrenzt.

Deshalb sind auch die inzwischen bei vielen Umweltschützern so verhassten Palmölplantagen nicht nur zu verteufeln. Mit der ursprünglichen Begeisterung für Bio-Treibstoff in Europa hat der Plantagenbau hier in den letzten Jahren einen beispiellosen Boom erlebt. Noch werden 95 Prozent des Palmöls für Margarine, Schokolade, Seife und Shampoo verwendet, nur fünf Prozent als Beimischung zu Bio-Treibstoff. «Es stimmt zwar, dass Palmölplantagen inzwischen die größte Ursache der Abholzungen sind», sagt Zulfira. «Aber wenn Palmöl in Europa jetzt boykottiert wird, löst das eine Kettenreaktion aus, die uns auch nicht hilft: Die Menschen verlieren ihre Jobs und ihre Einkommen und gehen wieder in den Wald und holzen wertvolle Bäume ab. Das Beste ist: bei den Palmölplantagen auf Nachhaltigkeit dringen.»

Das ist leichter gesagt als getan. Es gibt den sogenannten Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl (RSPO). In der Organisation sind mehr als 260 Palmölkonzerne, Einkäufer, Nahrungsmittelhersteller und Umweltschutzorganisationen wie der WWF. Plantagenbesitzer bekommen ein Gütesiegel für nachhaltiges Palmöl, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen. Sie müssen unter anderem wertvolle Wälder schützen, die Plantagen umweltschonend betreiben und der lokalen Bevölkerung helfen. Ein Mitglied ist die Agro-Group, die im indonesischen Teil Borneos vier Plantagen hat. «Wir helfen den Bewohnern in der Region mit Schulen, Straßen, Kliniken und Medikamenten», sagt Kwin Hermiyarto, der als Manager für das Image der Firma als sozial verantwortliches Unternehmen zuständig ist.

«Die größte Herausforderung ist es, mit den Einwohnern in der Umgebung auszukommen», sagt er. «Wir wollen sie zivilisieren, damit sie den Wald in Ruhe lassen und nicht mehr abholzen.» Dabei haben die Dayak und andere Völker Jahrtausende zivilisiert und problemlos in den Wäldern von Borneo gelebt, ohne verheerende Verwüstungen anzurichten. Sie lebten von Waldprodukten - Früchten, Pflanzen, Tieren, Bäumen. Ihr Leben im Einklang mit der Natur ist erst durch die Zerstörung der Wälder aus dem Lot geraten. Kwin räumt ein, dass die Holz- und Plantagenkonzerne für das massive Abholzen verantwortlich sind. Aber daran sei ja nun nichts mehr zu ändern. «Wir wollen der Gemeinschaft etwas zurückgeben», sagt er. Es würden ja Jobs angeboten - ein Plantagenarbeiter bekommt umgerechnet 70 Euro im Monat. Die Agro-Group hat das Gütesiegel noch nicht.

In der EU muss ab 1. Januar 2010 Biomasse, die für die Strom- und Wärmeerzeugung oder als Biokraftstoff eingesetzt wird, nachgewiesenermaßen aus nachhaltiger Produktion stammen. Nach Angaben von RSPO wurden in den vergangenen zwölf Monaten rund 1,1 Millionen Palmöl mit dem Nachhaltigkeitssiegel produziert - kaum drei Prozent der Gesamtmenge. Die Regenwaldländer wollen bei der Weltklimakonferenz im Dezember in Kopenhagen durchsetzen, dass sie für den Schutz der Wälder und die Vermeidung von Treibhausgas-Emissionen entschädigt werden. Wenn der Erhalt der Wälder so lukrativ ist wie das Abholzen, haben die Wälder eine echte Chance. «Das Geld muss von den Industrieländern kommen», sagt Herry Purnomo vom Waldforschungsinstitut CIFOR. «Die stehen ökologisch gesehen bei den Entwicklungsländern in der Schuld.» (dpa)
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