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21.05.2024 | 04:37 | Was Stuhlproben verraten 

Darm-Mikrobiom unter der Lupe

Ingelheim - Was hier unter einer Art überdimensionaler Dunstabzugshaube und weitgehend hinter einer Glasscheibe portioniert wird, war mal Frühstück, Mittagessen oder Abendbrot.

Toilette
Stuhlproben können viele Hinweise enthalten, wie gesund die Menschen sind. In Laboren suchen Fachleute nach Viren, Bakterien und Parasiten. Dabei trifft Technik auf Tradition. (c) proplanta
Wenn gegen Mittag die Stuhlproben von Durchfallpatientinnen und -patienten aus Arztpraxen und Krankenhäusern im Labor der Firma Bioscientia ankommen, müssen Mitarbeitende das Material aufteilen. Mit einem Teil werden Kulturen für Bakterien wie Salmonellen und Campylobacter angelegt, der andere wird für sogenannte PCR-Tests - Testverfahren zum Nachweis spezifischer Gensequenzen - vorbereitet, wie Labormediziner Gergely Bodis erklärt.

Um die Frage vorwegzunehmen: Man riecht nichts von dem, was da aus den Plastikröhrchen kommt. In der Regel habe man sich auch schnell an die Arbeit gewöhnt, sagt Bodis. «Wenn man das ein, zwei Monate gemacht hat, ist es egal.» Mit Speichelproben zu arbeiten, sei bei manchen unbeliebter.

Was dann in den Laborhallen am Stammsitz Ingelheim passiert, ist gewissermaßen Detektivarbeit: Viele Viren, Bakterien und Parasiten können Magen-Darm-Probleme und Durchfallerkrankungen verursachen. Zu den wohl bekanntesten Erregern zählen Noroviren, von denen das Robert Koch-Institut (RKI) im Jahr meist mehrere Zehntausend Fälle in Deutschland erfasst. Doch am Ende sind auch die laut RKI nur für maximal etwa die Hälfte der nicht-bakteriellen Infektionen des Magen-Darm-Traktes verantwortlich. Es gilt also, aus einer Fülle von Möglichkeiten den tatsächlichen Verursacher zu finden.

Die Technik ist inzwischen so weit, dass Proben mithilfe sogenannter Multiplex-PCR-Analysen auf einen Schlag gleich auf gut zwei Dutzend gängige Erreger hin untersucht werden. Es wird nach speziellen Abfolgen von Nukleinsäuren - den Erbgutbausteinen - mehrerer Erreger in einem Reaktionsansatz gesucht, wie Biologe Peter Gohl erläutert. Ein Vorteil sei, dass der Prozess einfach zu automatisieren sei.

Seit knapp zwei Jahren sind solche Untersuchungen, die viele Labore anbieten, für Kassenpatienten möglich. 85 Euro darf die Analyse laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung höchstens kosten. Die Befunde sollen binnen 24 Stunden vorliegen.

Nicht immer ist der vermutete Erreger auch der tatsächliche Auslöser

Ein Team der Frankfurter Uniklinik hat diese Analysen mit konventionellen Methoden verglichen. Laut der im Februar veröffentlichten Studie war die Nachweisrate mit fast 40 Prozent bei der PCR-Variante deutlich höher (15,0 Prozent) und die Ergebnisse hätten viel schneller vorgelegen. «Die höheren Kosten eines solchen Multiplex-PCR-Panels könnten durch die höhere Nachweisrate, die einfache Handhabung, die schnellen Ergebnisse und die höchstwahrscheinlich verbesserte Patientenbehandlung aufgewogen werden», hieß es.

Zudem ermöglicht der breit angelegte Ansatz Zufallstreffer: Wurde früher nach einzelnen Erregern gezielt gesucht, finden Labore jetzt auch Hinweise, falls die behandelnden Ärzte und Ärztinnen mit ihrer Einschätzung danebenlagen. So geschehen neulich in einer Klinik, wie Bioscientia-Sprecherin Laura Ranzenberger erzählt: Statt wie vermutet an Noroviren war der Patient an den selteneren Sapoviren erkrankt. Der Befund bedeutete: Isolierzimmer, gezielte Behandlung und besserer Schutz für andere Menschen im Krankenhaus.

PCR-Tests können keine Hinweise darauf liefern, ob Erreger gegen Antibiotika resistent sind. «Wenn dies für eine gezielte Therapie oder zur Ausbruchsüberwachung und -kontrolle erforderlich ist, müssen die Proben daher weiterhin kultiviert werden», heißt es in der Studie.

Daher stehen auch im Bioscientia-Labor die klassischen Petrischalen mit meist bunten Nährböden stapelweise auf den Tischen. Hier wird geschaut, ob sich lebensfähige Bakterien in einer Stuhlprobe befinden, wie Mediziner Bodis erklärt.

Auch wenn es vielen schwerfällt, offen über das Thema Stuhlgang zu sprechen, ist es aus medizinischer Sicht oft geboten. So zählt die Suche nach Blut im Stuhl zu den wichtigsten Vorsorgeuntersuchungen etwa für Darmkrebs oder entzündliche Darmerkrankungen.

Selbsttests zum Darm-Mikrobiom umstritten

Inzwischen gebe es immer mehr Menschen, die sich aus Interesse für ihren Körper mit dem Mikrobiom ihres Darms auseinandersetzen, sagt Bodis. Also der Zusammensetzung der Mikroorganismen - vor allem jener, die auch in den Darm gehören. Seit einem Jahr etwa bietet Bioscientia daher Testkits, mit deren Hilfe man sich für rund 135 Euro aufwärts Ergebnisse liefern lassen kann. Mal gehe es den Kunden um unklare Beschwerden, sagt der Mediziner. Mal darum, zum Beispiel die Ernährung zu verbessern.

Dabei hinterlasse etwa der Besuch in einem exotischen Restaurant schon Spuren im Mikrobiom. Auch bei jemandem, der sich überwiegend vegetarisch ernährt, verändert es sich dem Arzt zufolge nach einer fleischhaltigen Mahlzeit. «Aber nach wenigen Tagen pendelt sich das wieder ein.» Langwieriger sind die Folgen, wenn man Antibiotika eingenommen hat.

Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten rät von Selbsttests ab, da diese unter anderem nicht standardisiert und für Anwender schwer zu interpretieren seien. Es mache etwa einen großen Unterschied, woher im Darm der Stuhlgang stammt, erklärt die Bonner Fachärztin Birgit Terjung. Es gebe bis dato keinen etablierten Standard, was etwa ein gesundes Darmmikrobiom ausmache.

«Man kennt Indikatorkeime, ansonsten variiert das individuelle Mikrobiom interindividuell - vergleichbar mit dem Fingerabdruck.» Daher sei es sehr problematisch, auf solchen Ergebnissen weiterführende Empfehlungen wie zur Ernährungsumstellung oder zur Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln aufzubauen.

Proben kommen auf ungewöhnlichen Wegen

Von den ärztlich angeordneten Stuhlproben kommen am Tag bei Bioscientia allein in Ingelheim rund 300 an, wie Daniela Sasma, Fachärztin für Laboratoriumsmedizin, sagt. Aus einem Umkreis von rund 250 Kilometern.

Für eine Analyse reiche eine geringe Menge Kot, sagt Bodis: haselnussgroß. «In der Regel sind die Patienten großzügiger.» Noch mehr irritiert die Bioscientia-Belegschaft aber, wenn die Menschen nicht das für die Stuhlproben vorgesehene Equipment nutzen. So berichtet ?a?ma, dass manche Proben in Marmeladengläsern kommen. «Die haben die Filmdöschen abgelöst. Die haben wir oft gekriegt, bis sich die Digitalfotografie durchgesetzt hat.»
dpa
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