Vorsprung durch Wissen
schließen x
Suchbegriff
Rubrik
 Suchen
Das Informationszentrum für die Landwirtschaft
12.08.2023 | 09:48 | Hitzebelastung 
Diskutiere mit... 
   2   2

Hitze gefährdet alte Menschen

Berlin - Nach einem kurzen Ziehen am Strohhalm führt Brigitte Richter ihr mit Kaffee gefülltes Glas sofort wieder von den Lippen weg.

Gefahr durch Hitze
Bild vergrößern
Hitze gefährdet die Gesundheit - nicht zuletzt von alten Menschen. Die trinken aber oft nicht genug. Wie können Pflegebedürftige geschützt werden? (c) proplanta
«Scheiße, der ist kalt», flucht sie. Also geht Pflegerin Ramona Rössner zurück in die Küche und stellt das Glas in die Mikrowelle. Richter, die an diesem Sommermorgen im T-Shirt auf ihrem Bett in Berlin-Schöneberg sitzt, wartet. Rössner kehrt mit dem Glas zurück, Richter nimmt erneut einen Schluck. «Jetzt ist es gut», sagt die 97-Jährige.

Egal ob warm oder kalt - Rössner, die seit 20 Jahren Pflegerin ist, ist froh, wenn die Seniorinnen und Senioren, die sie ambulant zu Hause pflegt, überhaupt trinken. Vor allem im Sommer kann das überlebenswichtig sein. Denn hohe Außentemperaturen führen laut Robert Koch-Institut (RKI) im Sommer regelmäßig zu deutlich erhöhten Sterberaten, insbesondere bei Älteren.

Die Gründe werden als vielfältig beschrieben: Es gebe Todesfälle durch Hitzschlag, aber auch komplexere Fälle, etwa wenn vorher schon Herz-Kreislauf- oder Lungenerkrankungen bestanden. Für den Sommer 2022, den viertwärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen 1881, geht das RKI von geschätzt rund 4.500 Hitzetote bundesweit aus. In Berlin kamen 2022 dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg zufolge schätzungsweise mehr als 400 Menschen hitzebedingt ums Leben.

In den Sommermonaten schaut Rössner daher ganz genau hin. «Wenn man die Patienten kennt, merkt man schon am Reden, wenn sie nicht genug getrunken haben», sagt die 47-Jährige. Das Sprechen falle dann schwerer, die Patienten seien fahrig oder hätten eine trockene Zunge.

Regelmäßig müsse sie sie ans Trinken erinnern und stelle an mehreren Orten in der Wohnung Wasserflaschen auf. «Manche sagen, ihnen reicht ein Schluck.» Auch Richter, die sie liebevoll mit «meine Süße» anspricht, bittet sie mehrmals darum, noch einen Schluck zu nehmen oder stößt mit ihr an: «Du trinkst, ich trinke.» Halb im Scherz antwortet die 97-Jährige: «Auch das noch!»

Alte Menschen haben oft ein geringeres Durstgefühl. Dem Geschäftsführer der Diakoniestation in Schöneberg, Michael Nehls, zufolge wird zudem der Flüssigkeitsverlust bei Hitze stärker. Nehls leitet den ambulanten Pflegedienst, für den Rössner arbeitet. In der ambulanten Pflege sei ein genauer Blick auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr umso wichtiger, da die Patienten viel Zeit allein, also unbeobachtet, verbrächten.

Es handle sich oft um ältere Menschen, die stark dement oder altersvergesslich seien. Hinzu komme ein weiteres Problem: «Ältere Menschen, die inkontinent sind, neigen dazu, weniger zu trinken, um ihr Inkontinenz-Problem in den Griff zu kriegen», sagt Nehls.

Manche Patienten bemerken die Symptome von Dehydration dem gelernten Krankenpfleger zufolge zwar, führen sie aber nicht auf das wenige Trinken zurück. Wenn es mehr als 30 Grad Celsius warm werde, gebe es für die Patienten von Rössner und ihren Kolleginnen daher eine kleine Gedächtnisstütze: «Wir geben unseren Mitarbeitern entsprechend gestaltete Flaschen als Eye-Catcher für die Menschen mit, damit sie daran denken, mehr zu trinken.»

Auf dem blau-orangenen Etikett der Wasserflaschen steht «Achten Sie auf sich!» oder «Trinken Sie mehr!». Außerdem stehen auf den Flaschen weitere Tipps und für den Notfall die Nummer der Diakonie Schöneberg.

Ihren nächsten Patienten weckt Rössner gegen 11 Uhr aus dem Mittagsschlaf. Andreas Seltzer, ein kleiner Mann mit grauen Haare, bekommt erstmal ein Glas Wasser in die Hand gedrückt, während er noch etwas benommen auf seinem Bett sitzt. Vor sechs Jahren habe er seine Parkinson-Diagnose erhalten. «Du trinkst zu wenig», ermahnt Rössner ihn in bestimmtem aber liebevollem Ton.

Seltzer, der sein Alter nicht nennen möchte, sagt, er habe überhaupt kein Durstgefühl. «Ich muss quasi zum Trinken animiert werden.» Außerdem schmecke ihm Wasser einfach nicht. Sein Lieblingsgetränk sei Bier, sagt er und lacht.

Dass Rössner und andere Pflegekräfte ihn so oft ans Trinken erinnerten, finde er zum Teil nervig. «Dahinter steckt immer der pädagogische Zeigefinger.» Auch wenn er oft kraftlos sei und beim Sprechen immer wieder den Faden verliert, gehe es ihm gut, ist er überzeugt.

Damit das Pflegepersonal der Diakonie Schöneberg Symptome frühzeitig erkennt, hat Nehls vergangenes Jahr einen Hitzemaßnahmenplan entwickelt. Das rund 30 Seiten lange Dokument listet unter anderem Merkmale auf, die auf Gesundheitsprobleme hinweisen. Dazu zählen etwa Kurzatmigkeit, plötzliche Verwirrtheit, Erbrechen oder Schwächegefühl.

Es werden pflegerische Maßnahmen (leichte Kleidung, keine dicken Decken, wenig Sonneneinstrahlung) oder etwa Tipps für die Küche (kalte Suppe, wasserreiches Obst, Lieblingsgetränke) und die richtige Belüftung aufgelistet. Außerdem werden den Mitarbeitern Tipps für den eigenen Hitzeschutz an die Hand gegeben. Ab kommenden Jahr solle das Thema fest in das Fortbildungsprogramm integriert werden.

Auch wenn Rössner nicht müde wird, Wasserflaschen aufzustellen, Lieblingsgetränke zuzubereiten und mit Wasser oder Kaffee anzustoßen, weiß sie: «Wir können die Menschen nicht zum Trinken zwingen.» Durch gutes Zureden klappe es aber meistens. Wenn sich ein Patient in einem brenzlichen Zustand befinde, müsse im Notfall der Arzt gerufen werden. Aber: «So einen Fall hatte ich bisher Gott sei Dank noch nicht.»
dpa/bb
Kommentieren Kommentare lesen ( 2 )
weitere Artikel

Status:
Name / Pseudonym:
Kommentar:
Bitte Sicherheitsabfrage lösen:


Kommentare 
Jochen K. schrieb am 15.08.2023 11:42 Uhrzustimmen(2) widersprechen(2)
Es ist SOMMER - Ihr Menschen da draußen!
Freut Euch über jeden Sonnenstrahl!
Um wie vieles mehr Kälte den Menschen schadet, dürfen wir vermutlich in den kommenden Monaten schmerzlich erfahren, wenn das Heizen unbezahlbar wird. Ein Verbot ist dann gar nicht mehr notwendig.
agricola schrieb am 12.08.2023 16:29 Uhrzustimmen(9) widersprechen(3)
Oh, da bin ich aber froh, dass ich in dem kalten Deutschland mit einer Durchschnittstemperatur von 10 Grad C lebe und nicht etwa in Singapur mit fast 30 Grad Celsius.

Immerhin werden Frauen in Deutschland fast 83 Jahre alt. Und in dem heißen Singapur? Was sagen Sie? Fast 90 Jahre? OooH! Nee! Doch!!
  Weitere Artikel zum Thema

 Hitzebelastung am Arbeitsplatz nicht zu unterschätzen

 Heißester Apriltag in Tel Aviv seit 85 Jahren

 Hitzebelastung im Job - Unterschätztes Gesundheitsrisiko?

 Erster größerer Waldbrand des Jahres in Spanien

 Auch März mit weltweitem Hitzerekord

  Kommentierte Artikel

 Jäger sehen dringenden Handlungsbedarf bei Umgang mit Wölfen

 Söder setzt sich gegen Verbrenner-Aus ab 2035 ein

 2023 war Jahr der Wetterextreme in Europa

 Wind- und Freiflächen-Solaranlagen: Niedersachsen führt Abgabe ein

 Keine Reduzierung beim Fleischkonsum durch Aufklärung

 Größter Solarpark von Rheinland-Pfalz eröffnet

 Gipfelerklärung der EU setzt auf Lockerungen für Landwirte

 Grundwasser in Bayern wird weniger

 Lindnerbräu - Hoch die Krüge!

 Mutmaßlicher Wolfsangriff - mehrere Schafe in Aurich getötet